Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

aber ein Geistesverwandter von Lenz, von Hölderlin, von Grabbe (ich mochte
noch Kleist hinzufügen), und je tiefer er fühlt, desto gefährlicher ist es mit
seinen eigenen Phantasien zu spielen. Wenn einige Modeschriftsteller mit der
unheimlichen Nacht des Geistes tändeln, so will das nicht viel sagen, sie
sind zu oberflächlich um ihre Schrecken innerlich zu empfinden; aber in dem
wahren Dichter schlummert ein Dämon, den er vorsichtig behandeln muß, um
Meister über ihn zu bleiben.

Man pflegt es dem Dichter als eine Verirrung auszulegen, wenn er
sich neben seiner schöpferischen Thätigkeit auch in weitgehende Reflexionen
vertieft; man hat es namentlich seit dem Vorgang den Romantiker Schiller
vorgeworfen, er habe die natürliche Schärfe seines Gesichts durch die Brille
der Reflexion abgestumpft. An so etwas kann nnr derjenige glauben, dem
als das Höchste des Menschen dieses Unbewußte, Unklare und Trübe in
der Tiefe der Seele erscheint, was sich nie verständlich wird, der den Ge¬
nius wie ein wunderbar in den Naturzusammenhang einbrechendes, über¬
natürliches Licht ansieht, von dem man nicht weiß, woher es kommt und
wohin es geht. Wer aber Geist und Natur in ihrer Einheit begreift, wird
den echten Gedanken auch als eine Quelle der echten Poesie verehren. In
unserer Zeit liegt das Gold nicht'mehr auf dem Nasen verstreut, eS wird
nicht durch Beschwörungen, nicht durch die Wünschelruthe gehoben; mit Fleiß
und Wissenschaft muß man in der Tiefe der Erde nachgraben, um sich sei¬
nes Scheins zu erfreuen.

Darum wollen wir über die Reflexionen, mit denen Hebbel seine poe¬
tischen Erzeugnisse begleitet, keineswegs leichtfertig hinweggehen, wie es
manche legitime Kritiker gethan, abgeschreckt vou der Unbehilflichkeit jener
Reflexionen und ihrer scheinbaren logischen Verwirrung. Hebbel will nicht
ein Tagesdichter sein, er will nicht blos sür den unmittelbaren Bedarf der
Bühne scharrwerken, er will das Anrecht der Poesie auf ein neues Gebiet
bethätigen. Bei der Tiefe dieses Dichters müssen selbst seine Irrthümer
lehrreich sein.

"Der Mensch dieses Jahrhunderts will nicht, wie man ihm Schuld
gibt, neue und unerhörte Institutionen, er will nur ein besseres Fundament
für die schon vorhandenen, er will, daß sie sich auf Nichts als auf Sitt¬
lichkeit und Nothwendigkeit, die identisch sind, stützen, und also den äußern
Haken, an dem sie bis jetzt zum Theil befestigt waren, gegen den innern
Schwerpunkt, ans dem sie sich vollständig ableiten lassen, vertauschen sol¬
len .... Diesen welthistorischen Prozeß .. hat die Philosophie, zersetzend
und auflösend, vorbereitet . . und die Kunst hat die Ausgabe, in großen,


aber ein Geistesverwandter von Lenz, von Hölderlin, von Grabbe (ich mochte
noch Kleist hinzufügen), und je tiefer er fühlt, desto gefährlicher ist es mit
seinen eigenen Phantasien zu spielen. Wenn einige Modeschriftsteller mit der
unheimlichen Nacht des Geistes tändeln, so will das nicht viel sagen, sie
sind zu oberflächlich um ihre Schrecken innerlich zu empfinden; aber in dem
wahren Dichter schlummert ein Dämon, den er vorsichtig behandeln muß, um
Meister über ihn zu bleiben.

Man pflegt es dem Dichter als eine Verirrung auszulegen, wenn er
sich neben seiner schöpferischen Thätigkeit auch in weitgehende Reflexionen
vertieft; man hat es namentlich seit dem Vorgang den Romantiker Schiller
vorgeworfen, er habe die natürliche Schärfe seines Gesichts durch die Brille
der Reflexion abgestumpft. An so etwas kann nnr derjenige glauben, dem
als das Höchste des Menschen dieses Unbewußte, Unklare und Trübe in
der Tiefe der Seele erscheint, was sich nie verständlich wird, der den Ge¬
nius wie ein wunderbar in den Naturzusammenhang einbrechendes, über¬
natürliches Licht ansieht, von dem man nicht weiß, woher es kommt und
wohin es geht. Wer aber Geist und Natur in ihrer Einheit begreift, wird
den echten Gedanken auch als eine Quelle der echten Poesie verehren. In
unserer Zeit liegt das Gold nicht'mehr auf dem Nasen verstreut, eS wird
nicht durch Beschwörungen, nicht durch die Wünschelruthe gehoben; mit Fleiß
und Wissenschaft muß man in der Tiefe der Erde nachgraben, um sich sei¬
nes Scheins zu erfreuen.

Darum wollen wir über die Reflexionen, mit denen Hebbel seine poe¬
tischen Erzeugnisse begleitet, keineswegs leichtfertig hinweggehen, wie es
manche legitime Kritiker gethan, abgeschreckt vou der Unbehilflichkeit jener
Reflexionen und ihrer scheinbaren logischen Verwirrung. Hebbel will nicht
ein Tagesdichter sein, er will nicht blos sür den unmittelbaren Bedarf der
Bühne scharrwerken, er will das Anrecht der Poesie auf ein neues Gebiet
bethätigen. Bei der Tiefe dieses Dichters müssen selbst seine Irrthümer
lehrreich sein.

„Der Mensch dieses Jahrhunderts will nicht, wie man ihm Schuld
gibt, neue und unerhörte Institutionen, er will nur ein besseres Fundament
für die schon vorhandenen, er will, daß sie sich auf Nichts als auf Sitt¬
lichkeit und Nothwendigkeit, die identisch sind, stützen, und also den äußern
Haken, an dem sie bis jetzt zum Theil befestigt waren, gegen den innern
Schwerpunkt, ans dem sie sich vollständig ableiten lassen, vertauschen sol¬
len .... Diesen welthistorischen Prozeß .. hat die Philosophie, zersetzend
und auflösend, vorbereitet . . und die Kunst hat die Ausgabe, in großen,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0510" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/272409"/>
          <p xml:id="ID_1644" prev="#ID_1643"> aber ein Geistesverwandter von Lenz, von Hölderlin, von Grabbe (ich mochte<lb/>
noch Kleist hinzufügen), und je tiefer er fühlt, desto gefährlicher ist es mit<lb/>
seinen eigenen Phantasien zu spielen. Wenn einige Modeschriftsteller mit der<lb/>
unheimlichen Nacht des Geistes tändeln, so will das nicht viel sagen, sie<lb/>
sind zu oberflächlich um ihre Schrecken innerlich zu empfinden; aber in dem<lb/>
wahren Dichter schlummert ein Dämon, den er vorsichtig behandeln muß, um<lb/>
Meister über ihn zu bleiben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1645"> Man pflegt es dem Dichter als eine Verirrung auszulegen, wenn er<lb/>
sich neben seiner schöpferischen Thätigkeit auch in weitgehende Reflexionen<lb/>
vertieft; man hat es namentlich seit dem Vorgang den Romantiker Schiller<lb/>
vorgeworfen, er habe die natürliche Schärfe seines Gesichts durch die Brille<lb/>
der Reflexion abgestumpft. An so etwas kann nnr derjenige glauben, dem<lb/>
als das Höchste des Menschen dieses Unbewußte, Unklare und Trübe in<lb/>
der Tiefe der Seele erscheint, was sich nie verständlich wird, der den Ge¬<lb/>
nius wie ein wunderbar in den Naturzusammenhang einbrechendes, über¬<lb/>
natürliches Licht ansieht, von dem man nicht weiß, woher es kommt und<lb/>
wohin es geht. Wer aber Geist und Natur in ihrer Einheit begreift, wird<lb/>
den echten Gedanken auch als eine Quelle der echten Poesie verehren. In<lb/>
unserer Zeit liegt das Gold nicht'mehr auf dem Nasen verstreut, eS wird<lb/>
nicht durch Beschwörungen, nicht durch die Wünschelruthe gehoben; mit Fleiß<lb/>
und Wissenschaft muß man in der Tiefe der Erde nachgraben, um sich sei¬<lb/>
nes Scheins zu erfreuen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1646"> Darum wollen wir über die Reflexionen, mit denen Hebbel seine poe¬<lb/>
tischen Erzeugnisse begleitet, keineswegs leichtfertig hinweggehen, wie es<lb/>
manche legitime Kritiker gethan, abgeschreckt vou der Unbehilflichkeit jener<lb/>
Reflexionen und ihrer scheinbaren logischen Verwirrung. Hebbel will nicht<lb/>
ein Tagesdichter sein, er will nicht blos sür den unmittelbaren Bedarf der<lb/>
Bühne scharrwerken, er will das Anrecht der Poesie auf ein neues Gebiet<lb/>
bethätigen. Bei der Tiefe dieses Dichters müssen selbst seine Irrthümer<lb/>
lehrreich sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1647" next="#ID_1648"> &#x201E;Der Mensch dieses Jahrhunderts will nicht, wie man ihm Schuld<lb/>
gibt, neue und unerhörte Institutionen, er will nur ein besseres Fundament<lb/>
für die schon vorhandenen, er will, daß sie sich auf Nichts als auf Sitt¬<lb/>
lichkeit und Nothwendigkeit, die identisch sind, stützen, und also den äußern<lb/>
Haken, an dem sie bis jetzt zum Theil befestigt waren, gegen den innern<lb/>
Schwerpunkt, ans dem sie sich vollständig ableiten lassen, vertauschen sol¬<lb/>
len .... Diesen welthistorischen Prozeß .. hat die Philosophie, zersetzend<lb/>
und auflösend, vorbereitet . . und die Kunst hat die Ausgabe, in großen,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0510] aber ein Geistesverwandter von Lenz, von Hölderlin, von Grabbe (ich mochte noch Kleist hinzufügen), und je tiefer er fühlt, desto gefährlicher ist es mit seinen eigenen Phantasien zu spielen. Wenn einige Modeschriftsteller mit der unheimlichen Nacht des Geistes tändeln, so will das nicht viel sagen, sie sind zu oberflächlich um ihre Schrecken innerlich zu empfinden; aber in dem wahren Dichter schlummert ein Dämon, den er vorsichtig behandeln muß, um Meister über ihn zu bleiben. Man pflegt es dem Dichter als eine Verirrung auszulegen, wenn er sich neben seiner schöpferischen Thätigkeit auch in weitgehende Reflexionen vertieft; man hat es namentlich seit dem Vorgang den Romantiker Schiller vorgeworfen, er habe die natürliche Schärfe seines Gesichts durch die Brille der Reflexion abgestumpft. An so etwas kann nnr derjenige glauben, dem als das Höchste des Menschen dieses Unbewußte, Unklare und Trübe in der Tiefe der Seele erscheint, was sich nie verständlich wird, der den Ge¬ nius wie ein wunderbar in den Naturzusammenhang einbrechendes, über¬ natürliches Licht ansieht, von dem man nicht weiß, woher es kommt und wohin es geht. Wer aber Geist und Natur in ihrer Einheit begreift, wird den echten Gedanken auch als eine Quelle der echten Poesie verehren. In unserer Zeit liegt das Gold nicht'mehr auf dem Nasen verstreut, eS wird nicht durch Beschwörungen, nicht durch die Wünschelruthe gehoben; mit Fleiß und Wissenschaft muß man in der Tiefe der Erde nachgraben, um sich sei¬ nes Scheins zu erfreuen. Darum wollen wir über die Reflexionen, mit denen Hebbel seine poe¬ tischen Erzeugnisse begleitet, keineswegs leichtfertig hinweggehen, wie es manche legitime Kritiker gethan, abgeschreckt vou der Unbehilflichkeit jener Reflexionen und ihrer scheinbaren logischen Verwirrung. Hebbel will nicht ein Tagesdichter sein, er will nicht blos sür den unmittelbaren Bedarf der Bühne scharrwerken, er will das Anrecht der Poesie auf ein neues Gebiet bethätigen. Bei der Tiefe dieses Dichters müssen selbst seine Irrthümer lehrreich sein. „Der Mensch dieses Jahrhunderts will nicht, wie man ihm Schuld gibt, neue und unerhörte Institutionen, er will nur ein besseres Fundament für die schon vorhandenen, er will, daß sie sich auf Nichts als auf Sitt¬ lichkeit und Nothwendigkeit, die identisch sind, stützen, und also den äußern Haken, an dem sie bis jetzt zum Theil befestigt waren, gegen den innern Schwerpunkt, ans dem sie sich vollständig ableiten lassen, vertauschen sol¬ len .... Diesen welthistorischen Prozeß .. hat die Philosophie, zersetzend und auflösend, vorbereitet . . und die Kunst hat die Ausgabe, in großen,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/510
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/510>, abgerufen am 01.07.2024.