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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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bezaubert, dessen illegitime Zumuthungen sie aber beständig von sich gewiesen
hatte, kurz der Bösewicht wird bestraft und der gute Wicht von einem be¬
geisterten Publikum stürmisch herausgerufen.

Was an diesem Melodram, dessen poetische Hohlheit jeder mit einigem
Kunstsinn begabte Mensch schon aus dieser einfachen Erzählung entnehmen
konnte, dem man aber einzelne pikant angelegte und geistvoll durchgeführte
Scenen wie allenthalben Witz und Wärme nicht absprechen kann. Zunächst
auffällig ist die Absichtlichkeit womit das schlechte Prinzip in die hohen Re¬
gionen der Gesellschaft gebracht und aller Edelmuth, alle Tugend in die
untersten Schichten verwiesen ist. Es ist meine Sache nicht zu unter¬
suchen, wie sehr die Ideen des Volkes durch diese gewaltsamen Gegen¬
sätze verfälscht werden und welche Gefahr aus solcher Verdrehung für
die öffentliche Ordnung entstehen könne; das geht die Polizei mehr an
als die Kritik; aber daß solche Absichtlichkeit der Tod aller Kunst ist, das
läßt sich nicht genug in einer Zeit wiederholen, wo der gemeinste Sper>
ling, der den Parnaß besucht, mit seinem Gezwitscher etwas Außerordent¬
liches beweisen will. Daß künstlerische Schöpfung einen geistigen Inhalt
habe, ist ihrer Natur gemäß, und so wenig das regelmäßigste Gesicht,
aus dem keine Seele spräche, für schön gelten könnte, eben so wenig dürfte
eine Dichtung oder ein Gemälde, das zwar ein harmonisches Geflechte von
Worten oder Farben und Linien, aber nicht der lebendige Ausdruck einer
Wahrheit oder Stimmung wäre, für ein echtes Kunstwerk angesehen werden.
Sagen uns die griechischen Fechter nicht, daß menschlich geübte Kraft etwas
Göttliches, zeigt uns die Kirmeß von Teniers nicht, daß selbst die wildeste
Orgie als Offenbarung des Lebens der Betrachtung werth sei; der gothische
Dom der zu den Sternen ragt, verräth er uus nicht, daß der Menschengeist
in den Schranken des Endlichen sich zu eng fühlt und hinaus will über die
Grenzen alles Irdischen, hat uns Mozart in seinen Melodien nicht die ge¬
heimste Wonne der höchsten Liebeslust enthüllt, und wo von der Ilias bis
zum Faust gibt es eine Poesie, die nicht unsterbliche Lehren enthielte? In keinem
dieser Meisterwerke sehen wir die Kunst als Magd einer Meinung oder Lei¬
denschaft, überall sind Satz und Form so durch und durch verschmolzen, daß
sie trennen zu wollen vergebliche Mühe wäre. Das Wahre tritt in seinem
vollen Glänze vor uus hin, und das nennen wir dann mit dem größten der
attischen Weisen: das Schöne. Bei Pyat dagegen herrscht offenbar der
Parteimann und der Dichter dient; sein Drama ist ein verkleidetes Pam¬
phlet, man nehme ihm die paar Lumpen seiner Bühnenvermummung ab und
Ne demagogische Fratze steht in ihrer ganzen, mir scheint nicht, verführen-


bezaubert, dessen illegitime Zumuthungen sie aber beständig von sich gewiesen
hatte, kurz der Bösewicht wird bestraft und der gute Wicht von einem be¬
geisterten Publikum stürmisch herausgerufen.

Was an diesem Melodram, dessen poetische Hohlheit jeder mit einigem
Kunstsinn begabte Mensch schon aus dieser einfachen Erzählung entnehmen
konnte, dem man aber einzelne pikant angelegte und geistvoll durchgeführte
Scenen wie allenthalben Witz und Wärme nicht absprechen kann. Zunächst
auffällig ist die Absichtlichkeit womit das schlechte Prinzip in die hohen Re¬
gionen der Gesellschaft gebracht und aller Edelmuth, alle Tugend in die
untersten Schichten verwiesen ist. Es ist meine Sache nicht zu unter¬
suchen, wie sehr die Ideen des Volkes durch diese gewaltsamen Gegen¬
sätze verfälscht werden und welche Gefahr aus solcher Verdrehung für
die öffentliche Ordnung entstehen könne; das geht die Polizei mehr an
als die Kritik; aber daß solche Absichtlichkeit der Tod aller Kunst ist, das
läßt sich nicht genug in einer Zeit wiederholen, wo der gemeinste Sper>
ling, der den Parnaß besucht, mit seinem Gezwitscher etwas Außerordent¬
liches beweisen will. Daß künstlerische Schöpfung einen geistigen Inhalt
habe, ist ihrer Natur gemäß, und so wenig das regelmäßigste Gesicht,
aus dem keine Seele spräche, für schön gelten könnte, eben so wenig dürfte
eine Dichtung oder ein Gemälde, das zwar ein harmonisches Geflechte von
Worten oder Farben und Linien, aber nicht der lebendige Ausdruck einer
Wahrheit oder Stimmung wäre, für ein echtes Kunstwerk angesehen werden.
Sagen uns die griechischen Fechter nicht, daß menschlich geübte Kraft etwas
Göttliches, zeigt uns die Kirmeß von Teniers nicht, daß selbst die wildeste
Orgie als Offenbarung des Lebens der Betrachtung werth sei; der gothische
Dom der zu den Sternen ragt, verräth er uus nicht, daß der Menschengeist
in den Schranken des Endlichen sich zu eng fühlt und hinaus will über die
Grenzen alles Irdischen, hat uns Mozart in seinen Melodien nicht die ge¬
heimste Wonne der höchsten Liebeslust enthüllt, und wo von der Ilias bis
zum Faust gibt es eine Poesie, die nicht unsterbliche Lehren enthielte? In keinem
dieser Meisterwerke sehen wir die Kunst als Magd einer Meinung oder Lei¬
denschaft, überall sind Satz und Form so durch und durch verschmolzen, daß
sie trennen zu wollen vergebliche Mühe wäre. Das Wahre tritt in seinem
vollen Glänze vor uus hin, und das nennen wir dann mit dem größten der
attischen Weisen: das Schöne. Bei Pyat dagegen herrscht offenbar der
Parteimann und der Dichter dient; sein Drama ist ein verkleidetes Pam¬
phlet, man nehme ihm die paar Lumpen seiner Bühnenvermummung ab und
Ne demagogische Fratze steht in ihrer ganzen, mir scheint nicht, verführen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/490>, abgerufen am 22.07.2024.