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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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und ausgelaugten Menschen, habe ich ... uoch zu keinem ernsten Wort brin¬
gen können" u. s. w.

K. Schildener an Arndt. -- Greifswald, December 1813: "Die schwer
errungene Freiheit des Vaterlandes darf nicht geschmälert werden um ein
Haarbreit! Wo ich festen Fuß fassen kann, wirke ich mit der innersten Kraft
einer nnentweiheten Gesinnung hin, und ich liebe die Stelle wie meine Braut,
wo ich einst für Deutschland fallen kann. -- Einige Dinge werden künftig
nothwendig sein: 1) Alljährige freie Staatsbürger- nicht Stände-Repräsenta¬
tion in den Territorien. 2) Eine immerdanerndc Reichstagsversammlung der
fürstlichen Gesandten. 3) Ein Reichsgericht, bei dessen Besetzung Fürsten
und Völker concurriren. 4) Eine Militärmacht, die ganz Deutschland schleunig
in Bewegung setzen kann. 5) Nur Ein Hof, wo fremde Gesandte erscheinen."
Damals glaubte mau uoch an die Möglichkeit, die dynastischen Sonderinte-
rcssen mit dem gemeinsamen der Nation vereinigen zu können. Von demsel¬
ben (1814): "Jede Gemeinschaft muß sich selbst administriren, der Fürst hat
das Obcraufsichtsrecht, verfügt über das Heer und die Steuern, und da¬
mit gut. In diesem Verhältniß haben die bedeutenden Städte immer ge¬
standen. Von ihnen hat man die Staatswirthschaft zuerst gelernt, und sie
blühen noch, nachdem schon mehrere neumodische Dynastien untergegangen.
Welch' ein Unglück, daß Preußen in seiner Verfassung alles Deutsche zerstört
hat! Darum trägt aber auch jeder deutsche Mann einen Haß gegen diesen
Staat, den nur eine ungeheure Buße und eine sich selbst vernichtende Reue
versöhnen können." --

Schleiermacher an Arndt (1818): "Mir sind Provinzialstände,
die lange vor einer allgemeinen repräsentativen Versammlung hergehen,
etwas sehr Bedenkliches, nämlich für einen Staat in der Lage und von
der Zusammensetzung des unsrigen; denn je selbstständiger die einzelnen
Provinzen sich fühlen, ohne ans eine starke Weise an den Mittelpunkt ge¬
bunden zu sein, um desto leichter und leichtsinniger werden sie bei der ersten
Krisis an eine andere Herrschaft übergehen. Nur wenn Provinzialstände mit
einer allgemeinen Repräsentation innig verbunden sind, erreichen sie den
Zweck, die Eigenthümlichkeit und das unmittelbare Lebensgefühl in den Pro¬
vinzen .zu erhalten, ohne daß der Verband mit dem Ganzen dadurch leide...
Die Persönlichkeit des Königs wird immer ein ungeheures Hinderniß sein,
die allgemeinen Angelegenheiten vorwärts zu bringen; nie wird er sich in
ein frei öffentliches Wesen finden lernen, und wie ihm schon die Universität
hier zu viel ist, wie sollte er je eine freilebende Versammlung in seiner Nähe
dulden?" -- Unmittelbar nach dem Tode Kotzebue's schreibt derselbe (1819):


Grenzbott". II, 1847.

und ausgelaugten Menschen, habe ich ... uoch zu keinem ernsten Wort brin¬
gen können" u. s. w.

K. Schildener an Arndt. — Greifswald, December 1813: „Die schwer
errungene Freiheit des Vaterlandes darf nicht geschmälert werden um ein
Haarbreit! Wo ich festen Fuß fassen kann, wirke ich mit der innersten Kraft
einer nnentweiheten Gesinnung hin, und ich liebe die Stelle wie meine Braut,
wo ich einst für Deutschland fallen kann. — Einige Dinge werden künftig
nothwendig sein: 1) Alljährige freie Staatsbürger- nicht Stände-Repräsenta¬
tion in den Territorien. 2) Eine immerdanerndc Reichstagsversammlung der
fürstlichen Gesandten. 3) Ein Reichsgericht, bei dessen Besetzung Fürsten
und Völker concurriren. 4) Eine Militärmacht, die ganz Deutschland schleunig
in Bewegung setzen kann. 5) Nur Ein Hof, wo fremde Gesandte erscheinen."
Damals glaubte mau uoch an die Möglichkeit, die dynastischen Sonderinte-
rcssen mit dem gemeinsamen der Nation vereinigen zu können. Von demsel¬
ben (1814): „Jede Gemeinschaft muß sich selbst administriren, der Fürst hat
das Obcraufsichtsrecht, verfügt über das Heer und die Steuern, und da¬
mit gut. In diesem Verhältniß haben die bedeutenden Städte immer ge¬
standen. Von ihnen hat man die Staatswirthschaft zuerst gelernt, und sie
blühen noch, nachdem schon mehrere neumodische Dynastien untergegangen.
Welch' ein Unglück, daß Preußen in seiner Verfassung alles Deutsche zerstört
hat! Darum trägt aber auch jeder deutsche Mann einen Haß gegen diesen
Staat, den nur eine ungeheure Buße und eine sich selbst vernichtende Reue
versöhnen können." —

Schleiermacher an Arndt (1818): „Mir sind Provinzialstände,
die lange vor einer allgemeinen repräsentativen Versammlung hergehen,
etwas sehr Bedenkliches, nämlich für einen Staat in der Lage und von
der Zusammensetzung des unsrigen; denn je selbstständiger die einzelnen
Provinzen sich fühlen, ohne ans eine starke Weise an den Mittelpunkt ge¬
bunden zu sein, um desto leichter und leichtsinniger werden sie bei der ersten
Krisis an eine andere Herrschaft übergehen. Nur wenn Provinzialstände mit
einer allgemeinen Repräsentation innig verbunden sind, erreichen sie den
Zweck, die Eigenthümlichkeit und das unmittelbare Lebensgefühl in den Pro¬
vinzen .zu erhalten, ohne daß der Verband mit dem Ganzen dadurch leide...
Die Persönlichkeit des Königs wird immer ein ungeheures Hinderniß sein,
die allgemeinen Angelegenheiten vorwärts zu bringen; nie wird er sich in
ein frei öffentliches Wesen finden lernen, und wie ihm schon die Universität
hier zu viel ist, wie sollte er je eine freilebende Versammlung in seiner Nähe
dulden?" — Unmittelbar nach dem Tode Kotzebue's schreibt derselbe (1819):


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[0473] und ausgelaugten Menschen, habe ich ... uoch zu keinem ernsten Wort brin¬ gen können" u. s. w. K. Schildener an Arndt. — Greifswald, December 1813: „Die schwer errungene Freiheit des Vaterlandes darf nicht geschmälert werden um ein Haarbreit! Wo ich festen Fuß fassen kann, wirke ich mit der innersten Kraft einer nnentweiheten Gesinnung hin, und ich liebe die Stelle wie meine Braut, wo ich einst für Deutschland fallen kann. — Einige Dinge werden künftig nothwendig sein: 1) Alljährige freie Staatsbürger- nicht Stände-Repräsenta¬ tion in den Territorien. 2) Eine immerdanerndc Reichstagsversammlung der fürstlichen Gesandten. 3) Ein Reichsgericht, bei dessen Besetzung Fürsten und Völker concurriren. 4) Eine Militärmacht, die ganz Deutschland schleunig in Bewegung setzen kann. 5) Nur Ein Hof, wo fremde Gesandte erscheinen." Damals glaubte mau uoch an die Möglichkeit, die dynastischen Sonderinte- rcssen mit dem gemeinsamen der Nation vereinigen zu können. Von demsel¬ ben (1814): „Jede Gemeinschaft muß sich selbst administriren, der Fürst hat das Obcraufsichtsrecht, verfügt über das Heer und die Steuern, und da¬ mit gut. In diesem Verhältniß haben die bedeutenden Städte immer ge¬ standen. Von ihnen hat man die Staatswirthschaft zuerst gelernt, und sie blühen noch, nachdem schon mehrere neumodische Dynastien untergegangen. Welch' ein Unglück, daß Preußen in seiner Verfassung alles Deutsche zerstört hat! Darum trägt aber auch jeder deutsche Mann einen Haß gegen diesen Staat, den nur eine ungeheure Buße und eine sich selbst vernichtende Reue versöhnen können." — Schleiermacher an Arndt (1818): „Mir sind Provinzialstände, die lange vor einer allgemeinen repräsentativen Versammlung hergehen, etwas sehr Bedenkliches, nämlich für einen Staat in der Lage und von der Zusammensetzung des unsrigen; denn je selbstständiger die einzelnen Provinzen sich fühlen, ohne ans eine starke Weise an den Mittelpunkt ge¬ bunden zu sein, um desto leichter und leichtsinniger werden sie bei der ersten Krisis an eine andere Herrschaft übergehen. Nur wenn Provinzialstände mit einer allgemeinen Repräsentation innig verbunden sind, erreichen sie den Zweck, die Eigenthümlichkeit und das unmittelbare Lebensgefühl in den Pro¬ vinzen .zu erhalten, ohne daß der Verband mit dem Ganzen dadurch leide... Die Persönlichkeit des Königs wird immer ein ungeheures Hinderniß sein, die allgemeinen Angelegenheiten vorwärts zu bringen; nie wird er sich in ein frei öffentliches Wesen finden lernen, und wie ihm schon die Universität hier zu viel ist, wie sollte er je eine freilebende Versammlung in seiner Nähe dulden?" — Unmittelbar nach dem Tode Kotzebue's schreibt derselbe (1819): Grenzbott». II, 1847.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/473>, abgerufen am 24.08.2024.