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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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Entwürfe und Sammlungen, leichte Aufwallungen und Gefühle des Augen¬
blicks und der Stunde, wie sie in noch leichteren Worten und Briefen
an Freunde sich ungemessen und sorglos ergießen, hat man zu Verbrechen
zu verdenken gewagt und hat sie verstümmeln müssen, um nur den Schein
von etwas Gefährlichen hineinzubringen""). Man entgegnete ihm immer,
am Ende der Untersuchung werde 'man schon Alles für ihn thun, was
die Verhältnisse gestatten würden, und der Staatskanzler fand sich sogar
(14. Juli 1822) veranlaßt, ihm "den in seineu Eingaben angenommenen
Ton und die Art, wie er sich darin über die höchsten und achtbarsten Staats¬
beamten geäußert, ernstlich zu verweisen und ihn aufzufordern, in etwaigen
späteren Vorstellungen nicht weiter Veranlassung zu einer ähnlichen Rüge
zu geben."

A. analysirt nun seine sämmtlichen Schriften, um nachzuweisen, wie we¬
nig ihr Inhalt Veranlassung geben konnte zu dem Verdacht revolutionärer
Bestrebungen. A. hatte fast alle diese Bücher, wegen deren er in Untersuchung
gezogen wurde, gegen die Franzosen im Dienst der alliirten Könige geschrie¬
ben, und zwar als Unterthan und Beamter Schwedens uach dem Jahre
18N5, im Dienst und Auftrage der russischen Regierung in den Jahren
1812 u. 1?, endlich im Sold der Ccutralverwaltuug der hohen verbündeten
Mächte. Ueber alles dieses brachte er die anerkennendsten Zeugnisse von den
damaligen Gouvernements bei. Aber freilich war jetzt die Parole eine an¬
dere. -- Diese Schriften sind folgende: "Geschichte der Leibeigenschaft in
Pommern und Rügen 18V3", "Germanien und Europa 1803" (ein scharfer
Augriff auf die Eroberungssucht Bonaparte's und das nivellirende System
der Aufklärung^). "Fragmente über Menschenbildung 1805", "Geist der Zeit,
l. Theil 180K" (Zorn über die französische Herrschaft, nebst erneuter An-




*) Närrisch genug macht sich in einem Brief des Dr. Ebel an A. der Plan eines
deutschen Bundes zur -- Einführung und Anmahnung einer deutschen Volkstracht für beide
Geschlechter! Das sei nächst der Sprache das zweite Wichtigste! Alles Politische wird
ausdrücklich von dieser projectirten Gesellschaft ausgeschlossen.
**) Darin Folgendes: "Die französische Revolution selbst in ihrem Anfange und
Ende ist der sicherste Beweis der Entmenschung und Inhumanität des Zeitalters. -- Wie
wenige Züge von Edelmuth, Menschlichkeit, Kraft (!!!) in der französischen Revolution!
'--Es umschwärmten die windigsten Hoffnungen und buntesten Träume von Repu¬
bliken aller Art der politischen Himmel; ungeheure Begriffe von Freiheit bildeten sich,
wie sie theils nie, theils in den nächsten 2000 Jahren noch nicht möglich sein wird. Man
hatte fast alle Idee von Naturzwang verloren und bei der Geistigkeit den Leib der Erde
und des Staats vergessen, so daß man einseitig Gesetze für Engel und Teufel machte,
die auf leichten Schwingen in der Luft leben können u. s. w."

Entwürfe und Sammlungen, leichte Aufwallungen und Gefühle des Augen¬
blicks und der Stunde, wie sie in noch leichteren Worten und Briefen
an Freunde sich ungemessen und sorglos ergießen, hat man zu Verbrechen
zu verdenken gewagt und hat sie verstümmeln müssen, um nur den Schein
von etwas Gefährlichen hineinzubringen""). Man entgegnete ihm immer,
am Ende der Untersuchung werde 'man schon Alles für ihn thun, was
die Verhältnisse gestatten würden, und der Staatskanzler fand sich sogar
(14. Juli 1822) veranlaßt, ihm „den in seineu Eingaben angenommenen
Ton und die Art, wie er sich darin über die höchsten und achtbarsten Staats¬
beamten geäußert, ernstlich zu verweisen und ihn aufzufordern, in etwaigen
späteren Vorstellungen nicht weiter Veranlassung zu einer ähnlichen Rüge
zu geben."

A. analysirt nun seine sämmtlichen Schriften, um nachzuweisen, wie we¬
nig ihr Inhalt Veranlassung geben konnte zu dem Verdacht revolutionärer
Bestrebungen. A. hatte fast alle diese Bücher, wegen deren er in Untersuchung
gezogen wurde, gegen die Franzosen im Dienst der alliirten Könige geschrie¬
ben, und zwar als Unterthan und Beamter Schwedens uach dem Jahre
18N5, im Dienst und Auftrage der russischen Regierung in den Jahren
1812 u. 1?, endlich im Sold der Ccutralverwaltuug der hohen verbündeten
Mächte. Ueber alles dieses brachte er die anerkennendsten Zeugnisse von den
damaligen Gouvernements bei. Aber freilich war jetzt die Parole eine an¬
dere. — Diese Schriften sind folgende: „Geschichte der Leibeigenschaft in
Pommern und Rügen 18V3", „Germanien und Europa 1803" (ein scharfer
Augriff auf die Eroberungssucht Bonaparte's und das nivellirende System
der Aufklärung^). „Fragmente über Menschenbildung 1805", „Geist der Zeit,
l. Theil 180K" (Zorn über die französische Herrschaft, nebst erneuter An-




*) Närrisch genug macht sich in einem Brief des Dr. Ebel an A. der Plan eines
deutschen Bundes zur — Einführung und Anmahnung einer deutschen Volkstracht für beide
Geschlechter! Das sei nächst der Sprache das zweite Wichtigste! Alles Politische wird
ausdrücklich von dieser projectirten Gesellschaft ausgeschlossen.
**) Darin Folgendes: „Die französische Revolution selbst in ihrem Anfange und
Ende ist der sicherste Beweis der Entmenschung und Inhumanität des Zeitalters. — Wie
wenige Züge von Edelmuth, Menschlichkeit, Kraft (!!!) in der französischen Revolution!
'--Es umschwärmten die windigsten Hoffnungen und buntesten Träume von Repu¬
bliken aller Art der politischen Himmel; ungeheure Begriffe von Freiheit bildeten sich,
wie sie theils nie, theils in den nächsten 2000 Jahren noch nicht möglich sein wird. Man
hatte fast alle Idee von Naturzwang verloren und bei der Geistigkeit den Leib der Erde
und des Staats vergessen, so daß man einseitig Gesetze für Engel und Teufel machte,
die auf leichten Schwingen in der Luft leben können u. s. w."
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[0469] Entwürfe und Sammlungen, leichte Aufwallungen und Gefühle des Augen¬ blicks und der Stunde, wie sie in noch leichteren Worten und Briefen an Freunde sich ungemessen und sorglos ergießen, hat man zu Verbrechen zu verdenken gewagt und hat sie verstümmeln müssen, um nur den Schein von etwas Gefährlichen hineinzubringen""). Man entgegnete ihm immer, am Ende der Untersuchung werde 'man schon Alles für ihn thun, was die Verhältnisse gestatten würden, und der Staatskanzler fand sich sogar (14. Juli 1822) veranlaßt, ihm „den in seineu Eingaben angenommenen Ton und die Art, wie er sich darin über die höchsten und achtbarsten Staats¬ beamten geäußert, ernstlich zu verweisen und ihn aufzufordern, in etwaigen späteren Vorstellungen nicht weiter Veranlassung zu einer ähnlichen Rüge zu geben." A. analysirt nun seine sämmtlichen Schriften, um nachzuweisen, wie we¬ nig ihr Inhalt Veranlassung geben konnte zu dem Verdacht revolutionärer Bestrebungen. A. hatte fast alle diese Bücher, wegen deren er in Untersuchung gezogen wurde, gegen die Franzosen im Dienst der alliirten Könige geschrie¬ ben, und zwar als Unterthan und Beamter Schwedens uach dem Jahre 18N5, im Dienst und Auftrage der russischen Regierung in den Jahren 1812 u. 1?, endlich im Sold der Ccutralverwaltuug der hohen verbündeten Mächte. Ueber alles dieses brachte er die anerkennendsten Zeugnisse von den damaligen Gouvernements bei. Aber freilich war jetzt die Parole eine an¬ dere. — Diese Schriften sind folgende: „Geschichte der Leibeigenschaft in Pommern und Rügen 18V3", „Germanien und Europa 1803" (ein scharfer Augriff auf die Eroberungssucht Bonaparte's und das nivellirende System der Aufklärung^). „Fragmente über Menschenbildung 1805", „Geist der Zeit, l. Theil 180K" (Zorn über die französische Herrschaft, nebst erneuter An- *) Närrisch genug macht sich in einem Brief des Dr. Ebel an A. der Plan eines deutschen Bundes zur — Einführung und Anmahnung einer deutschen Volkstracht für beide Geschlechter! Das sei nächst der Sprache das zweite Wichtigste! Alles Politische wird ausdrücklich von dieser projectirten Gesellschaft ausgeschlossen. **) Darin Folgendes: „Die französische Revolution selbst in ihrem Anfange und Ende ist der sicherste Beweis der Entmenschung und Inhumanität des Zeitalters. — Wie wenige Züge von Edelmuth, Menschlichkeit, Kraft (!!!) in der französischen Revolution! '--Es umschwärmten die windigsten Hoffnungen und buntesten Träume von Repu¬ bliken aller Art der politischen Himmel; ungeheure Begriffe von Freiheit bildeten sich, wie sie theils nie, theils in den nächsten 2000 Jahren noch nicht möglich sein wird. Man hatte fast alle Idee von Naturzwang verloren und bei der Geistigkeit den Leib der Erde und des Staats vergessen, so daß man einseitig Gesetze für Engel und Teufel machte, die auf leichten Schwingen in der Luft leben können u. s. w."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/469>, abgerufen am 22.07.2024.