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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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sich hinaus, und hängen es dann einem an, und nur draußen als Farben
schallen sie fröhlich ihren Strahl, und was an Zauber ringsum wirklich lebt,
das lassen sie sich in dem Schein erscheinen." "Selbstständig, unser eigen
ist das Glück, und was wir rein empfunden, bleibt in uns. Denn unsere
Gefühle waren um die goldnen Schlüssel, die uns alles Schöne im Erdsaal
aufgeschlossen: nicht um Dinge war uns zu thun, nein, um das innere
Werden im Herzen und im Geist." "Und was uns je bezaubert, wenn es
auch jetzt uns wie versunken scheint, einst werden wir uns hell all deß er¬
innern. Denn nicht ein Abgrund, eine Tiefe mir ist unsere Seele. Und es
trägt das Meer sogar oft seine Blumengärten oben, und seines Grundes
Tiefe ist verschwunden selbst für ein Kind, das dann zum ersten Mal am
Ufer spielt, geschweige für den Geist, der bang des Wunders harrt -- am
Weltmeerstrande!" -- Wenn wir in der pantheistischen Auffassung des Le¬
bens lernten, wir selbst seien nur eine Erscheinung, nur ein Traum der Na¬
tur, so hören wir jetzt, die Natur und die Gottheit ist nur eine Erscheinung, nur
ein Traum unseres Herzens. Das Herz, die Gottheit dieser Welt, zehrt
von Illusionen. "Klein nur bist du, Menschenbrust, die du selbst doch Alles
hast! Welche Seligkeit und Lust kann so still sein wie ein Traum! Was der
Himmel nicht umfaßt, hat in einem Herzen Raum." Eben darum aber be-
scheide sich das Herz, nichts zu wollen, als sich selber, damit sein Traum
nicht zum Fieber wird. "Glücklich wohl ein strebendes Gemüth, das die
träge Ruhe stetig flieht, mit der ziehenden Welt auch selber zieht. Glückli¬
cher ein ruhiges Gemüth, das zufrieden wohnt, zufrieden fleht: wie die wilde
Welt vorüberzieht." Wer also in Zweifel steht, wozu eigentlich dieser wilde
Wechsel der Welt Unendlichkeiten hindurch fliehe und wiederkehre, der schaue
in den Spiegel einer reinen Kinderseele. Die Welt ist für die Kinder, dar¬
in zu spielen. Nur im Kleinen, im Beschränkten entfaltet sich die eigent¬
liche Kraft des Herzens; im Grenzenlosen verliert sie sich. "Kindheiter,
schuldlos muß die Seele sein, kindstrebsam, ohne Sorg' und Furcht, nicht
weite Gedanken nähren, nahe nur und tiefe, ganz vom Vorhandenen erfüllt.
Dann auch genießen wir mit freier ganzer Seele uns selbst. Das Bewußt¬
sein kommt erst nach dem Glück."

In dieser kindlich träumerischen Auffassung des Naturzusammcnhangs
kann das Ethische keine Stelle finden; wenn das Göttliche sich in Allem
offenbaret, so gibt es keinen Unterschied, ohne Unterschied keine Entwickelung,
keine Geschichte. Wo Alles gut ist, wie es ist, hat die Kraft des Ideellen
keinen Spielraum und keine Wirksamkeit. "Des Menschen Hauptzweck ist


Grenzboten ,1. 1847. 57

sich hinaus, und hängen es dann einem an, und nur draußen als Farben
schallen sie fröhlich ihren Strahl, und was an Zauber ringsum wirklich lebt,
das lassen sie sich in dem Schein erscheinen." „Selbstständig, unser eigen
ist das Glück, und was wir rein empfunden, bleibt in uns. Denn unsere
Gefühle waren um die goldnen Schlüssel, die uns alles Schöne im Erdsaal
aufgeschlossen: nicht um Dinge war uns zu thun, nein, um das innere
Werden im Herzen und im Geist." „Und was uns je bezaubert, wenn es
auch jetzt uns wie versunken scheint, einst werden wir uns hell all deß er¬
innern. Denn nicht ein Abgrund, eine Tiefe mir ist unsere Seele. Und es
trägt das Meer sogar oft seine Blumengärten oben, und seines Grundes
Tiefe ist verschwunden selbst für ein Kind, das dann zum ersten Mal am
Ufer spielt, geschweige für den Geist, der bang des Wunders harrt — am
Weltmeerstrande!" — Wenn wir in der pantheistischen Auffassung des Le¬
bens lernten, wir selbst seien nur eine Erscheinung, nur ein Traum der Na¬
tur, so hören wir jetzt, die Natur und die Gottheit ist nur eine Erscheinung, nur
ein Traum unseres Herzens. Das Herz, die Gottheit dieser Welt, zehrt
von Illusionen. „Klein nur bist du, Menschenbrust, die du selbst doch Alles
hast! Welche Seligkeit und Lust kann so still sein wie ein Traum! Was der
Himmel nicht umfaßt, hat in einem Herzen Raum." Eben darum aber be-
scheide sich das Herz, nichts zu wollen, als sich selber, damit sein Traum
nicht zum Fieber wird. „Glücklich wohl ein strebendes Gemüth, das die
träge Ruhe stetig flieht, mit der ziehenden Welt auch selber zieht. Glückli¬
cher ein ruhiges Gemüth, das zufrieden wohnt, zufrieden fleht: wie die wilde
Welt vorüberzieht." Wer also in Zweifel steht, wozu eigentlich dieser wilde
Wechsel der Welt Unendlichkeiten hindurch fliehe und wiederkehre, der schaue
in den Spiegel einer reinen Kinderseele. Die Welt ist für die Kinder, dar¬
in zu spielen. Nur im Kleinen, im Beschränkten entfaltet sich die eigent¬
liche Kraft des Herzens; im Grenzenlosen verliert sie sich. „Kindheiter,
schuldlos muß die Seele sein, kindstrebsam, ohne Sorg' und Furcht, nicht
weite Gedanken nähren, nahe nur und tiefe, ganz vom Vorhandenen erfüllt.
Dann auch genießen wir mit freier ganzer Seele uns selbst. Das Bewußt¬
sein kommt erst nach dem Glück."

In dieser kindlich träumerischen Auffassung des Naturzusammcnhangs
kann das Ethische keine Stelle finden; wenn das Göttliche sich in Allem
offenbaret, so gibt es keinen Unterschied, ohne Unterschied keine Entwickelung,
keine Geschichte. Wo Alles gut ist, wie es ist, hat die Kraft des Ideellen
keinen Spielraum und keine Wirksamkeit. „Des Menschen Hauptzweck ist


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[0441] sich hinaus, und hängen es dann einem an, und nur draußen als Farben schallen sie fröhlich ihren Strahl, und was an Zauber ringsum wirklich lebt, das lassen sie sich in dem Schein erscheinen." „Selbstständig, unser eigen ist das Glück, und was wir rein empfunden, bleibt in uns. Denn unsere Gefühle waren um die goldnen Schlüssel, die uns alles Schöne im Erdsaal aufgeschlossen: nicht um Dinge war uns zu thun, nein, um das innere Werden im Herzen und im Geist." „Und was uns je bezaubert, wenn es auch jetzt uns wie versunken scheint, einst werden wir uns hell all deß er¬ innern. Denn nicht ein Abgrund, eine Tiefe mir ist unsere Seele. Und es trägt das Meer sogar oft seine Blumengärten oben, und seines Grundes Tiefe ist verschwunden selbst für ein Kind, das dann zum ersten Mal am Ufer spielt, geschweige für den Geist, der bang des Wunders harrt — am Weltmeerstrande!" — Wenn wir in der pantheistischen Auffassung des Le¬ bens lernten, wir selbst seien nur eine Erscheinung, nur ein Traum der Na¬ tur, so hören wir jetzt, die Natur und die Gottheit ist nur eine Erscheinung, nur ein Traum unseres Herzens. Das Herz, die Gottheit dieser Welt, zehrt von Illusionen. „Klein nur bist du, Menschenbrust, die du selbst doch Alles hast! Welche Seligkeit und Lust kann so still sein wie ein Traum! Was der Himmel nicht umfaßt, hat in einem Herzen Raum." Eben darum aber be- scheide sich das Herz, nichts zu wollen, als sich selber, damit sein Traum nicht zum Fieber wird. „Glücklich wohl ein strebendes Gemüth, das die träge Ruhe stetig flieht, mit der ziehenden Welt auch selber zieht. Glückli¬ cher ein ruhiges Gemüth, das zufrieden wohnt, zufrieden fleht: wie die wilde Welt vorüberzieht." Wer also in Zweifel steht, wozu eigentlich dieser wilde Wechsel der Welt Unendlichkeiten hindurch fliehe und wiederkehre, der schaue in den Spiegel einer reinen Kinderseele. Die Welt ist für die Kinder, dar¬ in zu spielen. Nur im Kleinen, im Beschränkten entfaltet sich die eigent¬ liche Kraft des Herzens; im Grenzenlosen verliert sie sich. „Kindheiter, schuldlos muß die Seele sein, kindstrebsam, ohne Sorg' und Furcht, nicht weite Gedanken nähren, nahe nur und tiefe, ganz vom Vorhandenen erfüllt. Dann auch genießen wir mit freier ganzer Seele uns selbst. Das Bewußt¬ sein kommt erst nach dem Glück." In dieser kindlich träumerischen Auffassung des Naturzusammcnhangs kann das Ethische keine Stelle finden; wenn das Göttliche sich in Allem offenbaret, so gibt es keinen Unterschied, ohne Unterschied keine Entwickelung, keine Geschichte. Wo Alles gut ist, wie es ist, hat die Kraft des Ideellen keinen Spielraum und keine Wirksamkeit. „Des Menschen Hauptzweck ist Grenzboten ,1. 1847. 57

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/441>, abgerufen am 22.07.2024.