Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

"wehmuthschöne" Zug der Trauer auf der edlen Stirn des Sterblichen ver¬
leiht ihm den Adel der Geisterwelt. "Nicht so verstehen wir das Glück des
Menschen, daß er leidlvs sei, und wandellos auf Erden reine Göttergunst
erfahre!" "Die eine Wehmuth theilst dn mit dem Himmel, dem Frühling,
ja dn theilst sie mit dem Gott, auf den sie als der Wiederschein der Welt
von allem, was da lebt, zurückfallt: daß sich die reine frohe Himmelsseele
hier an die alte Erde knüpfen muß und an den alten Tod." Aber "weß
Auge nicht geweint, der hatte keins, nicht sehen lernte der, wie Menschen
sehen! wem nicht das Herz geblutet, hatte keins, dem konnt' es so nicht schla¬
gen, wie dem Menschen. Wer nicht gestorben ist -- hat nicht ge¬
lebt!" "Nachdem die Welt so schon gelungen war, blieb nichts mehr übrig,
als sie zu zerstören; und heilige Wehmuth ist das höchste Leben, denn in
ihr glüht, was jemals selig war." Dieser Tod ist ja nicht wahrhafte Ver¬
nichtung. "Vergißt je Gott das Sein? Gott ist das Leben! Alles, was da
lebt! Und was gestorben ist, noch ist er Alles; wie könnte Gott vergessen,
daß er ist!" "Kann der Gott zum Menschen werden? Kann sterblich der
Unsterbliche erscheinen? -- Daß ist des alten Meisters Kunst, sich selber zu
verwandeln, zu verklemm in Splitter fliehend wie ein Diamant, sterblich
zu scheinen, gleich unsterblich bleibend."

Wenn wir nun näher fragen, was im Menschen diese Offenbarung des
ewigen Gottes sei, so wird uus geantwortet: Nur die Innerlichkeit! nur das
Gemüth in seineu Tiefe"; denn dieses ist das Centrum der Natur, das Wort
des Räthsels. "Nur wer die ganze Stimme der Natur heraushört, dem wird
sie zur Harmonie. Wie mischen die Gefühle sich im Herzen zu schönem Eben¬
maß ! "Was hab' ich von dem, das mir da draußen noch zurückbleibt! Was ich
denken kaun, das bin ich selbst auch, oder hab' ich selbst geschaffen, wären's
auch die schönen Götter." "Die ganze Welt ist voll von Gott, und Nie¬
mand weiß nur, woher der Name Gottes stammt! Die Welt lehrt ihn dich
nicht, und dennoch ahnest du, daß jeuer Name kein leerer Hall. Im Herzen
kündigt er sich an. Er ist es, der sich selbst in dir gefunden." So sind
wir von zwei Himmeln runfangen, von der Unermeßlichkeit der Natur und
der Tiefe des Herzens, in der die Ewigkeit mit all' ihren Geheimnissen ver¬
borgen ruht. "Wenig sind die Dinge, wenig ist das Leben selber; am Ende
ist es nichts, als unser Traum davon, als unsre Sehnsucht darnach; in un¬
serm Herzen liegt der Werth der Welt." "Ein jeder Mensch hat soviel
Freude und ist so groß, als er den Gott begreift; und Gott ist das -- was
wir nicht fassen können! sein eignes Wunder, selbst das Nichtbegreiseu!"
"Die Menschenherzen gleichen Diamanten; sie werfen gern das Göttliche aus


„wehmuthschöne" Zug der Trauer auf der edlen Stirn des Sterblichen ver¬
leiht ihm den Adel der Geisterwelt. „Nicht so verstehen wir das Glück des
Menschen, daß er leidlvs sei, und wandellos auf Erden reine Göttergunst
erfahre!" „Die eine Wehmuth theilst dn mit dem Himmel, dem Frühling,
ja dn theilst sie mit dem Gott, auf den sie als der Wiederschein der Welt
von allem, was da lebt, zurückfallt: daß sich die reine frohe Himmelsseele
hier an die alte Erde knüpfen muß und an den alten Tod." Aber „weß
Auge nicht geweint, der hatte keins, nicht sehen lernte der, wie Menschen
sehen! wem nicht das Herz geblutet, hatte keins, dem konnt' es so nicht schla¬
gen, wie dem Menschen. Wer nicht gestorben ist — hat nicht ge¬
lebt!" „Nachdem die Welt so schon gelungen war, blieb nichts mehr übrig,
als sie zu zerstören; und heilige Wehmuth ist das höchste Leben, denn in
ihr glüht, was jemals selig war." Dieser Tod ist ja nicht wahrhafte Ver¬
nichtung. „Vergißt je Gott das Sein? Gott ist das Leben! Alles, was da
lebt! Und was gestorben ist, noch ist er Alles; wie könnte Gott vergessen,
daß er ist!" „Kann der Gott zum Menschen werden? Kann sterblich der
Unsterbliche erscheinen? — Daß ist des alten Meisters Kunst, sich selber zu
verwandeln, zu verklemm in Splitter fliehend wie ein Diamant, sterblich
zu scheinen, gleich unsterblich bleibend."

Wenn wir nun näher fragen, was im Menschen diese Offenbarung des
ewigen Gottes sei, so wird uus geantwortet: Nur die Innerlichkeit! nur das
Gemüth in seineu Tiefe»; denn dieses ist das Centrum der Natur, das Wort
des Räthsels. „Nur wer die ganze Stimme der Natur heraushört, dem wird
sie zur Harmonie. Wie mischen die Gefühle sich im Herzen zu schönem Eben¬
maß ! „Was hab' ich von dem, das mir da draußen noch zurückbleibt! Was ich
denken kaun, das bin ich selbst auch, oder hab' ich selbst geschaffen, wären's
auch die schönen Götter." „Die ganze Welt ist voll von Gott, und Nie¬
mand weiß nur, woher der Name Gottes stammt! Die Welt lehrt ihn dich
nicht, und dennoch ahnest du, daß jeuer Name kein leerer Hall. Im Herzen
kündigt er sich an. Er ist es, der sich selbst in dir gefunden." So sind
wir von zwei Himmeln runfangen, von der Unermeßlichkeit der Natur und
der Tiefe des Herzens, in der die Ewigkeit mit all' ihren Geheimnissen ver¬
borgen ruht. „Wenig sind die Dinge, wenig ist das Leben selber; am Ende
ist es nichts, als unser Traum davon, als unsre Sehnsucht darnach; in un¬
serm Herzen liegt der Werth der Welt." „Ein jeder Mensch hat soviel
Freude und ist so groß, als er den Gott begreift; und Gott ist das — was
wir nicht fassen können! sein eignes Wunder, selbst das Nichtbegreiseu!"
„Die Menschenherzen gleichen Diamanten; sie werfen gern das Göttliche aus


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0440" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/272339"/>
          <p xml:id="ID_1472" prev="#ID_1471"> &#x201E;wehmuthschöne" Zug der Trauer auf der edlen Stirn des Sterblichen ver¬<lb/>
leiht ihm den Adel der Geisterwelt. &#x201E;Nicht so verstehen wir das Glück des<lb/>
Menschen, daß er leidlvs sei, und wandellos auf Erden reine Göttergunst<lb/>
erfahre!" &#x201E;Die eine Wehmuth theilst dn mit dem Himmel, dem Frühling,<lb/>
ja dn theilst sie mit dem Gott, auf den sie als der Wiederschein der Welt<lb/>
von allem, was da lebt, zurückfallt: daß sich die reine frohe Himmelsseele<lb/>
hier an die alte Erde knüpfen muß und an den alten Tod." Aber &#x201E;weß<lb/>
Auge nicht geweint, der hatte keins, nicht sehen lernte der, wie Menschen<lb/>
sehen! wem nicht das Herz geblutet, hatte keins, dem konnt' es so nicht schla¬<lb/>
gen, wie dem Menschen. Wer nicht gestorben ist &#x2014; hat nicht ge¬<lb/>
lebt!" &#x201E;Nachdem die Welt so schon gelungen war, blieb nichts mehr übrig,<lb/>
als sie zu zerstören; und heilige Wehmuth ist das höchste Leben, denn in<lb/>
ihr glüht, was jemals selig war." Dieser Tod ist ja nicht wahrhafte Ver¬<lb/>
nichtung. &#x201E;Vergißt je Gott das Sein? Gott ist das Leben! Alles, was da<lb/>
lebt! Und was gestorben ist, noch ist er Alles; wie könnte Gott vergessen,<lb/>
daß er ist!" &#x201E;Kann der Gott zum Menschen werden? Kann sterblich der<lb/>
Unsterbliche erscheinen? &#x2014; Daß ist des alten Meisters Kunst, sich selber zu<lb/>
verwandeln, zu verklemm in Splitter fliehend wie ein Diamant, sterblich<lb/>
zu scheinen, gleich unsterblich bleibend."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1473" next="#ID_1474"> Wenn wir nun näher fragen, was im Menschen diese Offenbarung des<lb/>
ewigen Gottes sei, so wird uus geantwortet: Nur die Innerlichkeit! nur das<lb/>
Gemüth in seineu Tiefe»; denn dieses ist das Centrum der Natur, das Wort<lb/>
des Räthsels. &#x201E;Nur wer die ganze Stimme der Natur heraushört, dem wird<lb/>
sie zur Harmonie. Wie mischen die Gefühle sich im Herzen zu schönem Eben¬<lb/>
maß ! &#x201E;Was hab' ich von dem, das mir da draußen noch zurückbleibt! Was ich<lb/>
denken kaun, das bin ich selbst auch, oder hab' ich selbst geschaffen, wären's<lb/>
auch die schönen Götter." &#x201E;Die ganze Welt ist voll von Gott, und Nie¬<lb/>
mand weiß nur, woher der Name Gottes stammt! Die Welt lehrt ihn dich<lb/>
nicht, und dennoch ahnest du, daß jeuer Name kein leerer Hall. Im Herzen<lb/>
kündigt er sich an. Er ist es, der sich selbst in dir gefunden." So sind<lb/>
wir von zwei Himmeln runfangen, von der Unermeßlichkeit der Natur und<lb/>
der Tiefe des Herzens, in der die Ewigkeit mit all' ihren Geheimnissen ver¬<lb/>
borgen ruht. &#x201E;Wenig sind die Dinge, wenig ist das Leben selber; am Ende<lb/>
ist es nichts, als unser Traum davon, als unsre Sehnsucht darnach; in un¬<lb/>
serm Herzen liegt der Werth der Welt." &#x201E;Ein jeder Mensch hat soviel<lb/>
Freude und ist so groß, als er den Gott begreift; und Gott ist das &#x2014; was<lb/>
wir nicht fassen können! sein eignes Wunder, selbst das Nichtbegreiseu!"<lb/>
&#x201E;Die Menschenherzen gleichen Diamanten; sie werfen gern das Göttliche aus</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0440] „wehmuthschöne" Zug der Trauer auf der edlen Stirn des Sterblichen ver¬ leiht ihm den Adel der Geisterwelt. „Nicht so verstehen wir das Glück des Menschen, daß er leidlvs sei, und wandellos auf Erden reine Göttergunst erfahre!" „Die eine Wehmuth theilst dn mit dem Himmel, dem Frühling, ja dn theilst sie mit dem Gott, auf den sie als der Wiederschein der Welt von allem, was da lebt, zurückfallt: daß sich die reine frohe Himmelsseele hier an die alte Erde knüpfen muß und an den alten Tod." Aber „weß Auge nicht geweint, der hatte keins, nicht sehen lernte der, wie Menschen sehen! wem nicht das Herz geblutet, hatte keins, dem konnt' es so nicht schla¬ gen, wie dem Menschen. Wer nicht gestorben ist — hat nicht ge¬ lebt!" „Nachdem die Welt so schon gelungen war, blieb nichts mehr übrig, als sie zu zerstören; und heilige Wehmuth ist das höchste Leben, denn in ihr glüht, was jemals selig war." Dieser Tod ist ja nicht wahrhafte Ver¬ nichtung. „Vergißt je Gott das Sein? Gott ist das Leben! Alles, was da lebt! Und was gestorben ist, noch ist er Alles; wie könnte Gott vergessen, daß er ist!" „Kann der Gott zum Menschen werden? Kann sterblich der Unsterbliche erscheinen? — Daß ist des alten Meisters Kunst, sich selber zu verwandeln, zu verklemm in Splitter fliehend wie ein Diamant, sterblich zu scheinen, gleich unsterblich bleibend." Wenn wir nun näher fragen, was im Menschen diese Offenbarung des ewigen Gottes sei, so wird uus geantwortet: Nur die Innerlichkeit! nur das Gemüth in seineu Tiefe»; denn dieses ist das Centrum der Natur, das Wort des Räthsels. „Nur wer die ganze Stimme der Natur heraushört, dem wird sie zur Harmonie. Wie mischen die Gefühle sich im Herzen zu schönem Eben¬ maß ! „Was hab' ich von dem, das mir da draußen noch zurückbleibt! Was ich denken kaun, das bin ich selbst auch, oder hab' ich selbst geschaffen, wären's auch die schönen Götter." „Die ganze Welt ist voll von Gott, und Nie¬ mand weiß nur, woher der Name Gottes stammt! Die Welt lehrt ihn dich nicht, und dennoch ahnest du, daß jeuer Name kein leerer Hall. Im Herzen kündigt er sich an. Er ist es, der sich selbst in dir gefunden." So sind wir von zwei Himmeln runfangen, von der Unermeßlichkeit der Natur und der Tiefe des Herzens, in der die Ewigkeit mit all' ihren Geheimnissen ver¬ borgen ruht. „Wenig sind die Dinge, wenig ist das Leben selber; am Ende ist es nichts, als unser Traum davon, als unsre Sehnsucht darnach; in un¬ serm Herzen liegt der Werth der Welt." „Ein jeder Mensch hat soviel Freude und ist so groß, als er den Gott begreift; und Gott ist das — was wir nicht fassen können! sein eignes Wunder, selbst das Nichtbegreiseu!" „Die Menschenherzen gleichen Diamanten; sie werfen gern das Göttliche aus

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/440
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/440>, abgerufen am 22.07.2024.