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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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vorliegen, und von. denen einzelne, z. B. "die weiße Henne", "der Bauch¬
redner", durchaus werthlos send. Wie dem aber sei, die vorliegende Samm¬
lung reicht vollkommen aus, uns von seiner dichterischen Wirksamkeit ein
Bild zu geben, und wir wollen uns ausdrücklich auf sie beschränken.

Zu den populären Dichtern gehört Schefer keineswegs; seine Lieder
sind uicht sangbar, seine Geschichten nichts weniger als gut erzählt, seine
Sinnsprüche, wie man ans dem vorgesetzten Motto ersehen kann, oft durch¬
aus unverständlich, obgleich sie viel ahnen lassen. Ich habe dieses Motto
ausgewählt, weil es trotz seiner Unbestimmtheit für Schefer charakteristisch
ist. Ein Spaßvogel im Anfang dieses Jahrhunderts legte dem großen Teu¬
tonischen Philosophen Schelling den Stoßseufzer in den Mund: "Vater Gö-
the, schaffe mir Licht! geschaffen ist die Welt, doch seh'ich sie noch nicht!" --
Schefer ist, wie wir hören, auf diesem Standpunkt noch nicht angelangt;
nach ihm ist die Welt erst Schafs bar.

Unter seinen lyrischen Gedichten finden wir Lieder, Legenden, Balladen,
Epigramme, Hymnen, Dithyramben. Die Lieder sind meist ziemlich inhalt¬
los, in einer gezwungen naiven Form, höchst unmusikalisch; die Legenden
in der dnrch Göthe fixirten Weise; die Balladen in übertrieben Schiller'scher
Manier, etwa wie "Hero und Leander", aber noch viel schwülstiger und
ohne alle Plastik, so daß man häufig, wenn man bis auf die Mitte der
Ballade kommt, vergessen hat, wovon eigentlich die Rede war; die Epi¬
gramme sind ohne Witz; es sind Gedichte in elegischem VerSmaß, die irgend
einen unbedeutenden Einfall formell zu einer künstlichen Wichtigkeit hinauf¬
schrauben; die Hymnen sind Gedichte in heroischen Versmaß, ans verschie¬
dene Naturgegenstände, Sonne, Mond, Erde u. f. w., in denen der Dich¬
ter ein Bild auf das andere häuft, um seinem Gegenstand gerecht zu wer¬
den, z.B.:


Himmelbeschiffendc Wolken, ihr göttliche wehenden Schleier,
O ihr Götterpaläste, ihr sonnenbeglänzten Gebirge,
Purpurne Bäume, ihr Burgen von Stahl und silberne Lämmer,
Fliehend alles (?), verschoben, vermischt und verwandelt im Anblick,
Tausendgestaltige--
Sausend den tragenden Weg in der Nacht -- u. s. w.

Die Dithyramben find Gedichte in unbestimmtem Rhythmus und ver¬
schwommener, zerflossener Sprache. Das Laienbrevier besteht ans einem Cy-
clus von S65 Gedichten in reimlosen fünffüßigen Jamben, worin eine Menge
eigenthümlicher Naturanschauungen und ethischer Reflexionen sich ineincmder-
fädeln.

Nach diesem sollte man von Schefer's Lyrik nicht viel erwarten, und


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vorliegen, und von. denen einzelne, z. B. „die weiße Henne", „der Bauch¬
redner", durchaus werthlos send. Wie dem aber sei, die vorliegende Samm¬
lung reicht vollkommen aus, uns von seiner dichterischen Wirksamkeit ein
Bild zu geben, und wir wollen uns ausdrücklich auf sie beschränken.

Zu den populären Dichtern gehört Schefer keineswegs; seine Lieder
sind uicht sangbar, seine Geschichten nichts weniger als gut erzählt, seine
Sinnsprüche, wie man ans dem vorgesetzten Motto ersehen kann, oft durch¬
aus unverständlich, obgleich sie viel ahnen lassen. Ich habe dieses Motto
ausgewählt, weil es trotz seiner Unbestimmtheit für Schefer charakteristisch
ist. Ein Spaßvogel im Anfang dieses Jahrhunderts legte dem großen Teu¬
tonischen Philosophen Schelling den Stoßseufzer in den Mund: „Vater Gö-
the, schaffe mir Licht! geschaffen ist die Welt, doch seh'ich sie noch nicht!" —
Schefer ist, wie wir hören, auf diesem Standpunkt noch nicht angelangt;
nach ihm ist die Welt erst Schafs bar.

Unter seinen lyrischen Gedichten finden wir Lieder, Legenden, Balladen,
Epigramme, Hymnen, Dithyramben. Die Lieder sind meist ziemlich inhalt¬
los, in einer gezwungen naiven Form, höchst unmusikalisch; die Legenden
in der dnrch Göthe fixirten Weise; die Balladen in übertrieben Schiller'scher
Manier, etwa wie „Hero und Leander", aber noch viel schwülstiger und
ohne alle Plastik, so daß man häufig, wenn man bis auf die Mitte der
Ballade kommt, vergessen hat, wovon eigentlich die Rede war; die Epi¬
gramme sind ohne Witz; es sind Gedichte in elegischem VerSmaß, die irgend
einen unbedeutenden Einfall formell zu einer künstlichen Wichtigkeit hinauf¬
schrauben; die Hymnen sind Gedichte in heroischen Versmaß, ans verschie¬
dene Naturgegenstände, Sonne, Mond, Erde u. f. w., in denen der Dich¬
ter ein Bild auf das andere häuft, um seinem Gegenstand gerecht zu wer¬
den, z.B.:


Himmelbeschiffendc Wolken, ihr göttliche wehenden Schleier,
O ihr Götterpaläste, ihr sonnenbeglänzten Gebirge,
Purpurne Bäume, ihr Burgen von Stahl und silberne Lämmer,
Fliehend alles (?), verschoben, vermischt und verwandelt im Anblick,
Tausendgestaltige--
Sausend den tragenden Weg in der Nacht — u. s. w.

Die Dithyramben find Gedichte in unbestimmtem Rhythmus und ver¬
schwommener, zerflossener Sprache. Das Laienbrevier besteht ans einem Cy-
clus von S65 Gedichten in reimlosen fünffüßigen Jamben, worin eine Menge
eigenthümlicher Naturanschauungen und ethischer Reflexionen sich ineincmder-
fädeln.

Nach diesem sollte man von Schefer's Lyrik nicht viel erwarten, und


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[0435] vorliegen, und von. denen einzelne, z. B. „die weiße Henne", „der Bauch¬ redner", durchaus werthlos send. Wie dem aber sei, die vorliegende Samm¬ lung reicht vollkommen aus, uns von seiner dichterischen Wirksamkeit ein Bild zu geben, und wir wollen uns ausdrücklich auf sie beschränken. Zu den populären Dichtern gehört Schefer keineswegs; seine Lieder sind uicht sangbar, seine Geschichten nichts weniger als gut erzählt, seine Sinnsprüche, wie man ans dem vorgesetzten Motto ersehen kann, oft durch¬ aus unverständlich, obgleich sie viel ahnen lassen. Ich habe dieses Motto ausgewählt, weil es trotz seiner Unbestimmtheit für Schefer charakteristisch ist. Ein Spaßvogel im Anfang dieses Jahrhunderts legte dem großen Teu¬ tonischen Philosophen Schelling den Stoßseufzer in den Mund: „Vater Gö- the, schaffe mir Licht! geschaffen ist die Welt, doch seh'ich sie noch nicht!" — Schefer ist, wie wir hören, auf diesem Standpunkt noch nicht angelangt; nach ihm ist die Welt erst Schafs bar. Unter seinen lyrischen Gedichten finden wir Lieder, Legenden, Balladen, Epigramme, Hymnen, Dithyramben. Die Lieder sind meist ziemlich inhalt¬ los, in einer gezwungen naiven Form, höchst unmusikalisch; die Legenden in der dnrch Göthe fixirten Weise; die Balladen in übertrieben Schiller'scher Manier, etwa wie „Hero und Leander", aber noch viel schwülstiger und ohne alle Plastik, so daß man häufig, wenn man bis auf die Mitte der Ballade kommt, vergessen hat, wovon eigentlich die Rede war; die Epi¬ gramme sind ohne Witz; es sind Gedichte in elegischem VerSmaß, die irgend einen unbedeutenden Einfall formell zu einer künstlichen Wichtigkeit hinauf¬ schrauben; die Hymnen sind Gedichte in heroischen Versmaß, ans verschie¬ dene Naturgegenstände, Sonne, Mond, Erde u. f. w., in denen der Dich¬ ter ein Bild auf das andere häuft, um seinem Gegenstand gerecht zu wer¬ den, z.B.: Himmelbeschiffendc Wolken, ihr göttliche wehenden Schleier, O ihr Götterpaläste, ihr sonnenbeglänzten Gebirge, Purpurne Bäume, ihr Burgen von Stahl und silberne Lämmer, Fliehend alles (?), verschoben, vermischt und verwandelt im Anblick, Tausendgestaltige-- Sausend den tragenden Weg in der Nacht — u. s. w. Die Dithyramben find Gedichte in unbestimmtem Rhythmus und ver¬ schwommener, zerflossener Sprache. Das Laienbrevier besteht ans einem Cy- clus von S65 Gedichten in reimlosen fünffüßigen Jamben, worin eine Menge eigenthümlicher Naturanschauungen und ethischer Reflexionen sich ineincmder- fädeln. Nach diesem sollte man von Schefer's Lyrik nicht viel erwarten, und 5s>"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/435>, abgerufen am 01.07.2024.