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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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setze (sei es auch nur vor einem spezialen Gesetze) in der Brust aller Staats"
bnrger erlischt?

Weder die Diener der Kirche, noch die Diener des Staates, weder der
Adel, noch der Bürger, noch weniger der gemeine Mann wird das Lesen
eines verbotenen Buches mit jenem Absehen betrachten, den eine Gesetzes¬
übertretung verdient. Man gewohnt sich an die Nichtbeachtung, an die Ueber¬
treibung der Gesetze, und verliert hierdurch an moralischem Werth.

Aber nicht nnr Gründe der Moralität, sondern auch Grüude der Po¬
litik widerstreiten der Beibehaltung des gegenwärtigen Censursysteins. Denn
während die hohe Staatsverwaltung den schonungsloser Angriffen der aus¬
ländischen Presse durch tausend verbreitete Druckschriften bloßgestellt bleibt,
entbehrt sie des Mittels, diesen oft ungerechten Angrissen auf eine wirksame
Weise zu begegne". Alle unter Censur erschienenen Vertheidigungen der
Regierungsmaßrcgeln werden von der großen Mehrzahl entweder nicht gele¬
sen oder nicht geglaubt, wo nicht gar als Miethlingsarbeiteu betrachtet.

Die treugehorsamsteu böhmischen Stände berufen sich zur Bestätigung
dieser Wahrheit auf die notorische Thatsache, daß selbst ausländische, ja so¬
gar verbotene Zeitschriften gewählt wurden, um durch diese Organe Regie¬
rungsmaßregeln zu beleuchten und zu vertheidige". Jeder Censor ist ver¬
antwortlich für das was er erlaubt, und unverantwortlich für das was er
verbietet! --

Zahlreiche und ausgezeichnete Producte des Geistes, welche sich nicht
in die engen Schranken unserer Censurvorschriften einengen ließen, wurden
entweder gänzlich unterdrückt oder gezwungen über die Grenze zu wandern,
um von dort aus meist in viel feindseligerer Richtung den Weg in's Vater¬
land zu finden. Wider Willen werden alle Kapacitäten, die sich uicht in
die kleinlichen Censnrneckereien fugen wollen, in die Reihen der Opposition
getrieben. Bei einer freien Presse aber, wo es allen Stimmen gestattet ist,
die großen Fragen der Zeit zu besprechen, verschwinden die gehaltloser Aus¬
wüchse einer verkehrte". Phantasie in ihr verdientes Nichts.

Nebst einer freisinnigen Oppofltionspresse, welche die Regierungsbehör¬
den in steter heilsamer Thätigkeit erhält, wird sich eine allgemein geachtete
Ncgierungspresse bilden, die auf Verstand und Herz der Unterthanen den
wohlthätigsten Einfluß üben kaun.

Gewiß wird eine freie, ernste und würdevolle Besprechung aller innern
Zustände unter gesetzlicher Anerkennung bei den gegenwärtig sich stets ver¬
mehrenden geistigen Berührungen ein immer dringenderes Bedürfniß, gewiß
ist es der einzige und sicherste Weg, die Bevölkerung zu einem klaren und


setze (sei es auch nur vor einem spezialen Gesetze) in der Brust aller Staats»
bnrger erlischt?

Weder die Diener der Kirche, noch die Diener des Staates, weder der
Adel, noch der Bürger, noch weniger der gemeine Mann wird das Lesen
eines verbotenen Buches mit jenem Absehen betrachten, den eine Gesetzes¬
übertretung verdient. Man gewohnt sich an die Nichtbeachtung, an die Ueber¬
treibung der Gesetze, und verliert hierdurch an moralischem Werth.

Aber nicht nnr Gründe der Moralität, sondern auch Grüude der Po¬
litik widerstreiten der Beibehaltung des gegenwärtigen Censursysteins. Denn
während die hohe Staatsverwaltung den schonungsloser Angriffen der aus¬
ländischen Presse durch tausend verbreitete Druckschriften bloßgestellt bleibt,
entbehrt sie des Mittels, diesen oft ungerechten Angrissen auf eine wirksame
Weise zu begegne». Alle unter Censur erschienenen Vertheidigungen der
Regierungsmaßrcgeln werden von der großen Mehrzahl entweder nicht gele¬
sen oder nicht geglaubt, wo nicht gar als Miethlingsarbeiteu betrachtet.

Die treugehorsamsteu böhmischen Stände berufen sich zur Bestätigung
dieser Wahrheit auf die notorische Thatsache, daß selbst ausländische, ja so¬
gar verbotene Zeitschriften gewählt wurden, um durch diese Organe Regie¬
rungsmaßregeln zu beleuchten und zu vertheidige». Jeder Censor ist ver¬
antwortlich für das was er erlaubt, und unverantwortlich für das was er
verbietet! —

Zahlreiche und ausgezeichnete Producte des Geistes, welche sich nicht
in die engen Schranken unserer Censurvorschriften einengen ließen, wurden
entweder gänzlich unterdrückt oder gezwungen über die Grenze zu wandern,
um von dort aus meist in viel feindseligerer Richtung den Weg in's Vater¬
land zu finden. Wider Willen werden alle Kapacitäten, die sich uicht in
die kleinlichen Censnrneckereien fugen wollen, in die Reihen der Opposition
getrieben. Bei einer freien Presse aber, wo es allen Stimmen gestattet ist,
die großen Fragen der Zeit zu besprechen, verschwinden die gehaltloser Aus¬
wüchse einer verkehrte». Phantasie in ihr verdientes Nichts.

Nebst einer freisinnigen Oppofltionspresse, welche die Regierungsbehör¬
den in steter heilsamer Thätigkeit erhält, wird sich eine allgemein geachtete
Ncgierungspresse bilden, die auf Verstand und Herz der Unterthanen den
wohlthätigsten Einfluß üben kaun.

Gewiß wird eine freie, ernste und würdevolle Besprechung aller innern
Zustände unter gesetzlicher Anerkennung bei den gegenwärtig sich stets ver¬
mehrenden geistigen Berührungen ein immer dringenderes Bedürfniß, gewiß
ist es der einzige und sicherste Weg, die Bevölkerung zu einem klaren und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/428>, abgerufen am 03.07.2024.