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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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repräsentirt; die kürzliche Flaggeugeschichte kann einigermaßen zur Charakte-
risirung dieser Behauptung dienen. Einige österreichische Matrosen kamen
mit Türken in Streit, und da sie natürlich den Kürzeren gezogen haben
würden, so hielten sie es für gerathen, sich auf ihr im Hafen liegendes
Schiff zurückzuziehen; die Türken verfolgten sie aber dahin und es entspann
sich am Bord des österreichischen Fahrzeugs eine Prügelei, wobei die auf¬
gezogene österreichische Flagge herabgerissen und, wie Einige behaupten, sogar
mit Füßen getreten wurde. Jede andere Nation Hütte solche Kerle über
Bord geworfen, und wer nicht hätte ersaufen wollen, den hätte man auf
die Galeere spedirt. Welche Genugthuung erbat sich unser deutscher Reprä¬
sentant? -- Die Missethäter erhielten eine Scheinstrafe, und das ganze
österreichische Gesandschaftspersonal verfügte sich an Bord des beschimpften
Schisses, wo die übelbehandelte Flagge, während die Musik eines türkischen
Regimentes dazu spielte, feierlichst aufgezogen wurde, was auf die Musel¬
männer übrigens keinen besonders erschütternde" Eindruck machte.

Dieser Zustand der Dinge hat schon zur Folge gehabt, daß Deutsche,
deuen es an eiuer kräftigen Vertretung gelegen war, sich unter englischen
Schutz stellten. Diese Lage der Dinge gereicht Deutschland nun eben nicht
zum Vortheil, doch ist die Art und Weise, wie England seine Unterthanen
im Auslande beschützt, auch eben nicht zu loben, weil öfters die öffentliche
Ruhe und Sicherheit dadurch gestört wird, wie dies in Galata und Pera
schon der Fall gewesen ist. Eine Menge schlechten Gestndcls kommt von
Malta und den griechischen Inseln Hieher, weil sie wegen begangener Ver¬
brechen vom englischen Boden verbannt sind, und diese treiben daun ein
sauberes Leben. Sie erbrechen die Magazine bei Nachtzeit, rauben, steh¬
len und plündern mit der größten Unverschämtheit, fallen die des Abends
auf der Straße Gehenden an und haben es so weit gebracht, daß man sich
nicht mehr ohne Waffen mit Sicherheit auswagen kann und daß die Läden
wie Festungen vcrbarricadirt werden müssen. Doch sind auch diese Ausge¬
burten noch Söhne Englands und folglich des völligen Schutzes seiner Ver¬
treter würdig. Die türkische Polizei sucht nach Kräften diese Missethäter
einzufangen; sie müssen dann aber der englischen Gesandtschaft ausgeliefert
werden, und diese läßt sie laufen -- im Fall kein englischer Unterthan
durch sie beeinträchtigt worden. Alle Vorstellungen und Bitten der Bewoh¬
ner von Galata und Pera diesem Uebel Einhalt zu thun, sind fruchtlos
geblieben, und so hat man denn auf Selbsthülfe denken müssen und eine
Privatpolizei angestellt, die Nacht und Tag abwechselnd ihre Häuser und
ihr Eigenthum bewacht. Wo man dies nicht hat, ist man übel daran und


repräsentirt; die kürzliche Flaggeugeschichte kann einigermaßen zur Charakte-
risirung dieser Behauptung dienen. Einige österreichische Matrosen kamen
mit Türken in Streit, und da sie natürlich den Kürzeren gezogen haben
würden, so hielten sie es für gerathen, sich auf ihr im Hafen liegendes
Schiff zurückzuziehen; die Türken verfolgten sie aber dahin und es entspann
sich am Bord des österreichischen Fahrzeugs eine Prügelei, wobei die auf¬
gezogene österreichische Flagge herabgerissen und, wie Einige behaupten, sogar
mit Füßen getreten wurde. Jede andere Nation Hütte solche Kerle über
Bord geworfen, und wer nicht hätte ersaufen wollen, den hätte man auf
die Galeere spedirt. Welche Genugthuung erbat sich unser deutscher Reprä¬
sentant? — Die Missethäter erhielten eine Scheinstrafe, und das ganze
österreichische Gesandschaftspersonal verfügte sich an Bord des beschimpften
Schisses, wo die übelbehandelte Flagge, während die Musik eines türkischen
Regimentes dazu spielte, feierlichst aufgezogen wurde, was auf die Musel¬
männer übrigens keinen besonders erschütternde» Eindruck machte.

Dieser Zustand der Dinge hat schon zur Folge gehabt, daß Deutsche,
deuen es an eiuer kräftigen Vertretung gelegen war, sich unter englischen
Schutz stellten. Diese Lage der Dinge gereicht Deutschland nun eben nicht
zum Vortheil, doch ist die Art und Weise, wie England seine Unterthanen
im Auslande beschützt, auch eben nicht zu loben, weil öfters die öffentliche
Ruhe und Sicherheit dadurch gestört wird, wie dies in Galata und Pera
schon der Fall gewesen ist. Eine Menge schlechten Gestndcls kommt von
Malta und den griechischen Inseln Hieher, weil sie wegen begangener Ver¬
brechen vom englischen Boden verbannt sind, und diese treiben daun ein
sauberes Leben. Sie erbrechen die Magazine bei Nachtzeit, rauben, steh¬
len und plündern mit der größten Unverschämtheit, fallen die des Abends
auf der Straße Gehenden an und haben es so weit gebracht, daß man sich
nicht mehr ohne Waffen mit Sicherheit auswagen kann und daß die Läden
wie Festungen vcrbarricadirt werden müssen. Doch sind auch diese Ausge¬
burten noch Söhne Englands und folglich des völligen Schutzes seiner Ver¬
treter würdig. Die türkische Polizei sucht nach Kräften diese Missethäter
einzufangen; sie müssen dann aber der englischen Gesandtschaft ausgeliefert
werden, und diese läßt sie laufen — im Fall kein englischer Unterthan
durch sie beeinträchtigt worden. Alle Vorstellungen und Bitten der Bewoh¬
ner von Galata und Pera diesem Uebel Einhalt zu thun, sind fruchtlos
geblieben, und so hat man denn auf Selbsthülfe denken müssen und eine
Privatpolizei angestellt, die Nacht und Tag abwechselnd ihre Häuser und
ihr Eigenthum bewacht. Wo man dies nicht hat, ist man übel daran und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/423>, abgerufen am 01.10.2024.