Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

des Empirischen mit diesen Ideen zersetzen und durchdringen müsse, ehe
das neue Universum aufgerichtet, ehe die Menschheit in den Einen untheil-
baren Tempel des Einen und Allen geführt werden könnte."

Nur durch die vollständigste Durchdringung des Particulären, Eigen¬
thümlichen mit dem Geist des Humanismus könne die wahre Einheit des
Idealismus und Realismus herbeigeführt werden -- das war der Standpunkt,
in dem man im Jahr 1806 angekommen war. In diesem Standpunkte hat
sich Arnim's poetische Wirksamkeit sixirt, da seine Entwickelungsperiode da¬
mit abgeschlossen war. Wenn wir diesen Gesichtspunkt festhalten, so werden
wir Alles, auch das Wunderlichste in seinem Thun und Treiben begreifen.

Es kam noch ein äußerliches Moment dazu. So weit auch die revo¬
lutionären Tendenzen der deutsche" Literatur in den Jahren 1790--1806
auseinandergingen, so war doch ziemlich ohne Unterschied die Idee der Welt¬
bürgerschaft, welche die Sonderinteressen des nationalen verschlingen müsse,
das leitende Prinzip gewesen. Das reflectirte Heidenthum der Weimauer
Dichter, die künstliche Romantik der Schlegel's, der transcendentale Idea¬
lismus Fichte's, die Naturphilosophie Schelling's und die Neligionsphanta-
sien Schleiermacher'ö hatten denselben Sinn. Noch in seinen "Grundzügen
des gegenwärtigen Zeitalters" rief Fichte: Was soll der Mann thun, dessen
Staat hinter den Anforderungen der Zeit zurückbleibt? Das Kind des
Staubes wird an der Scholle kleben; der svnuenverwandte Geist aber wird
hinüberziehen, wo Licht ist und Recht!

Nun aber bethätigte sich diese Weltbürgcrschaft dem deutschen Volke auf
eine bittere Weise. Das Unglück der Schlacht bei Jena und die darauf er¬
folgende Unterdrückung und Entwürdigung des deutschen Volks regte in der
Tiefe des Herzens Empfindungen auf, die bisher latent gewesen waren.
Das deutsche Volk ging in sich , und die Träume seiner alten Herrlichkeit
dämmerten in seinem Bewußtsein auf; gerade das Particuläre, Geheim-
nißvolle, Unverständliche in seiner Natur, in der Natur überhaupt ward
wieder hervorgesucht, und den Theorien der Revolution das Evangelium der
Natur, der genialen Ursprünglichkeit entgegengesetzt. Die Gelehrsamkeit,
die Kunst und die Philosophie stieg in den dunkeln Schacht der spezifischen
Rationalität, der historischen Religion, der particulären Dichtung herab,
weil der Glaube an das Weltreich des Idealen zu einer Illusion geworden
war. Fichte erklärte nun in seinen Reden, mit dem Untergang der deut¬
schen Nationalität sei die Menschheit überhaupt in Gefahr unterzugehen;
Arndt, Görres, Werner, Ad. Müller und die übrigen der Schule erfüllten
sich mit den Tendenzen der Widergeburt des Ursprüngliche.


des Empirischen mit diesen Ideen zersetzen und durchdringen müsse, ehe
das neue Universum aufgerichtet, ehe die Menschheit in den Einen untheil-
baren Tempel des Einen und Allen geführt werden könnte."

Nur durch die vollständigste Durchdringung des Particulären, Eigen¬
thümlichen mit dem Geist des Humanismus könne die wahre Einheit des
Idealismus und Realismus herbeigeführt werden — das war der Standpunkt,
in dem man im Jahr 1806 angekommen war. In diesem Standpunkte hat
sich Arnim's poetische Wirksamkeit sixirt, da seine Entwickelungsperiode da¬
mit abgeschlossen war. Wenn wir diesen Gesichtspunkt festhalten, so werden
wir Alles, auch das Wunderlichste in seinem Thun und Treiben begreifen.

Es kam noch ein äußerliches Moment dazu. So weit auch die revo¬
lutionären Tendenzen der deutsche» Literatur in den Jahren 1790—1806
auseinandergingen, so war doch ziemlich ohne Unterschied die Idee der Welt¬
bürgerschaft, welche die Sonderinteressen des nationalen verschlingen müsse,
das leitende Prinzip gewesen. Das reflectirte Heidenthum der Weimauer
Dichter, die künstliche Romantik der Schlegel's, der transcendentale Idea¬
lismus Fichte's, die Naturphilosophie Schelling's und die Neligionsphanta-
sien Schleiermacher'ö hatten denselben Sinn. Noch in seinen „Grundzügen
des gegenwärtigen Zeitalters" rief Fichte: Was soll der Mann thun, dessen
Staat hinter den Anforderungen der Zeit zurückbleibt? Das Kind des
Staubes wird an der Scholle kleben; der svnuenverwandte Geist aber wird
hinüberziehen, wo Licht ist und Recht!

Nun aber bethätigte sich diese Weltbürgcrschaft dem deutschen Volke auf
eine bittere Weise. Das Unglück der Schlacht bei Jena und die darauf er¬
folgende Unterdrückung und Entwürdigung des deutschen Volks regte in der
Tiefe des Herzens Empfindungen auf, die bisher latent gewesen waren.
Das deutsche Volk ging in sich , und die Träume seiner alten Herrlichkeit
dämmerten in seinem Bewußtsein auf; gerade das Particuläre, Geheim-
nißvolle, Unverständliche in seiner Natur, in der Natur überhaupt ward
wieder hervorgesucht, und den Theorien der Revolution das Evangelium der
Natur, der genialen Ursprünglichkeit entgegengesetzt. Die Gelehrsamkeit,
die Kunst und die Philosophie stieg in den dunkeln Schacht der spezifischen
Rationalität, der historischen Religion, der particulären Dichtung herab,
weil der Glaube an das Weltreich des Idealen zu einer Illusion geworden
war. Fichte erklärte nun in seinen Reden, mit dem Untergang der deut¬
schen Nationalität sei die Menschheit überhaupt in Gefahr unterzugehen;
Arndt, Görres, Werner, Ad. Müller und die übrigen der Schule erfüllten
sich mit den Tendenzen der Widergeburt des Ursprüngliche.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0336" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/272235"/>
          <p xml:id="ID_1169" prev="#ID_1168"> des Empirischen mit diesen Ideen zersetzen und durchdringen müsse, ehe<lb/>
das neue Universum aufgerichtet, ehe die Menschheit in den Einen untheil-<lb/>
baren Tempel des Einen und Allen geführt werden könnte."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1170"> Nur durch die vollständigste Durchdringung des Particulären, Eigen¬<lb/>
thümlichen mit dem Geist des Humanismus könne die wahre Einheit des<lb/>
Idealismus und Realismus herbeigeführt werden &#x2014; das war der Standpunkt,<lb/>
in dem man im Jahr 1806 angekommen war. In diesem Standpunkte hat<lb/>
sich Arnim's poetische Wirksamkeit sixirt, da seine Entwickelungsperiode da¬<lb/>
mit abgeschlossen war. Wenn wir diesen Gesichtspunkt festhalten, so werden<lb/>
wir Alles, auch das Wunderlichste in seinem Thun und Treiben begreifen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1171"> Es kam noch ein äußerliches Moment dazu. So weit auch die revo¬<lb/>
lutionären Tendenzen der deutsche» Literatur in den Jahren 1790&#x2014;1806<lb/>
auseinandergingen, so war doch ziemlich ohne Unterschied die Idee der Welt¬<lb/>
bürgerschaft, welche die Sonderinteressen des nationalen verschlingen müsse,<lb/>
das leitende Prinzip gewesen. Das reflectirte Heidenthum der Weimauer<lb/>
Dichter, die künstliche Romantik der Schlegel's, der transcendentale Idea¬<lb/>
lismus Fichte's, die Naturphilosophie Schelling's und die Neligionsphanta-<lb/>
sien Schleiermacher'ö hatten denselben Sinn. Noch in seinen &#x201E;Grundzügen<lb/>
des gegenwärtigen Zeitalters" rief Fichte: Was soll der Mann thun, dessen<lb/>
Staat hinter den Anforderungen der Zeit zurückbleibt? Das Kind des<lb/>
Staubes wird an der Scholle kleben; der svnuenverwandte Geist aber wird<lb/>
hinüberziehen, wo Licht ist und Recht!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1172"> Nun aber bethätigte sich diese Weltbürgcrschaft dem deutschen Volke auf<lb/>
eine bittere Weise. Das Unglück der Schlacht bei Jena und die darauf er¬<lb/>
folgende Unterdrückung und Entwürdigung des deutschen Volks regte in der<lb/>
Tiefe des Herzens Empfindungen auf, die bisher latent gewesen waren.<lb/>
Das deutsche Volk ging in sich , und die Träume seiner alten Herrlichkeit<lb/>
dämmerten in seinem Bewußtsein auf; gerade das Particuläre, Geheim-<lb/>
nißvolle, Unverständliche in seiner Natur, in der Natur überhaupt ward<lb/>
wieder hervorgesucht, und den Theorien der Revolution das Evangelium der<lb/>
Natur, der genialen Ursprünglichkeit entgegengesetzt. Die Gelehrsamkeit,<lb/>
die Kunst und die Philosophie stieg in den dunkeln Schacht der spezifischen<lb/>
Rationalität, der historischen Religion, der particulären Dichtung herab,<lb/>
weil der Glaube an das Weltreich des Idealen zu einer Illusion geworden<lb/>
war. Fichte erklärte nun in seinen Reden, mit dem Untergang der deut¬<lb/>
schen Nationalität sei die Menschheit überhaupt in Gefahr unterzugehen;<lb/>
Arndt, Görres, Werner, Ad. Müller und die übrigen der Schule erfüllten<lb/>
sich mit den Tendenzen der Widergeburt des Ursprüngliche.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0336] des Empirischen mit diesen Ideen zersetzen und durchdringen müsse, ehe das neue Universum aufgerichtet, ehe die Menschheit in den Einen untheil- baren Tempel des Einen und Allen geführt werden könnte." Nur durch die vollständigste Durchdringung des Particulären, Eigen¬ thümlichen mit dem Geist des Humanismus könne die wahre Einheit des Idealismus und Realismus herbeigeführt werden — das war der Standpunkt, in dem man im Jahr 1806 angekommen war. In diesem Standpunkte hat sich Arnim's poetische Wirksamkeit sixirt, da seine Entwickelungsperiode da¬ mit abgeschlossen war. Wenn wir diesen Gesichtspunkt festhalten, so werden wir Alles, auch das Wunderlichste in seinem Thun und Treiben begreifen. Es kam noch ein äußerliches Moment dazu. So weit auch die revo¬ lutionären Tendenzen der deutsche» Literatur in den Jahren 1790—1806 auseinandergingen, so war doch ziemlich ohne Unterschied die Idee der Welt¬ bürgerschaft, welche die Sonderinteressen des nationalen verschlingen müsse, das leitende Prinzip gewesen. Das reflectirte Heidenthum der Weimauer Dichter, die künstliche Romantik der Schlegel's, der transcendentale Idea¬ lismus Fichte's, die Naturphilosophie Schelling's und die Neligionsphanta- sien Schleiermacher'ö hatten denselben Sinn. Noch in seinen „Grundzügen des gegenwärtigen Zeitalters" rief Fichte: Was soll der Mann thun, dessen Staat hinter den Anforderungen der Zeit zurückbleibt? Das Kind des Staubes wird an der Scholle kleben; der svnuenverwandte Geist aber wird hinüberziehen, wo Licht ist und Recht! Nun aber bethätigte sich diese Weltbürgcrschaft dem deutschen Volke auf eine bittere Weise. Das Unglück der Schlacht bei Jena und die darauf er¬ folgende Unterdrückung und Entwürdigung des deutschen Volks regte in der Tiefe des Herzens Empfindungen auf, die bisher latent gewesen waren. Das deutsche Volk ging in sich , und die Träume seiner alten Herrlichkeit dämmerten in seinem Bewußtsein auf; gerade das Particuläre, Geheim- nißvolle, Unverständliche in seiner Natur, in der Natur überhaupt ward wieder hervorgesucht, und den Theorien der Revolution das Evangelium der Natur, der genialen Ursprünglichkeit entgegengesetzt. Die Gelehrsamkeit, die Kunst und die Philosophie stieg in den dunkeln Schacht der spezifischen Rationalität, der historischen Religion, der particulären Dichtung herab, weil der Glaube an das Weltreich des Idealen zu einer Illusion geworden war. Fichte erklärte nun in seinen Reden, mit dem Untergang der deut¬ schen Nationalität sei die Menschheit überhaupt in Gefahr unterzugehen; Arndt, Görres, Werner, Ad. Müller und die übrigen der Schule erfüllten sich mit den Tendenzen der Widergeburt des Ursprüngliche.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/336
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/336>, abgerufen am 22.07.2024.