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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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an Goethe reichten doch ziemlich weit hinaus, wo Bettina, das Kind, schon
glückliche Gattin und Mutter mehrer gesunden Kinder war, und in diesen
Briefen ist das Feuer der alten Liebe noch keineswegs verglommen. Wem:
in früherer Zeit Goethe's Rock ihr heiliger und werther gewesen war, als
ihre Nei'enmenscheu, so ist noch immer ihr höchster, seligster Traum zu des
Dichters Füßen zu liegen und seine Knie zu umfassen.

Als dieser Briefwechsel erschien, war Goethe schon drei Jahre todt,
und noch ein Jahr früher war Bettinen's Gatte gestorben, der in jenen
Briefen mit der kümmerlichen Bezeichnung "der Freund" abgespeist wird.
Es war L. Achin von Arnim, von dem man wohl gehört hatte, daß er
Volkslieder herausgegeben und zu deu romantischen Humoristen gehört hätte,
dessen Schriften im Uebrigen aber spurlos aus dem Gedächtnisse des Volks
entschwunden waren. Seit acht Jahren nun hat Bettina, im Verein
mit seinen germanistischen Freunden, den Gebrüdern Grimm, seineu litera¬
rischen Nachlaß geordnet, und so einen Dichter der Nation wieder in
Erinnerung gebracht, der uns als lebendiges Bild einer Gottlob überwun¬
denen Zeit von Interesse sein kann.

Daß seine Schriften lebendig in die Gegenwart eingreifen sollten, davon
ist nicht die Rede, so wunderbar auch die geistige Tiefe ist, die sich zuwei¬
len in ihnen ausschließt. Aber der wirkliche Pulsschlag des Lebens geht
ihnen ab; sie können nnr als werthvolle Studien gelten und gehören der
Literaturgeschichte an.

Arnim ist in Berlin geboren, im Jahr 1781; er gehört also zu den
jüngsten Dichtern derjenigen Generation, die man als die romantische zu
bezeichnen gewohnt ist Von seinem äußerlichen Leben ist wenig zu sagen,
er hat Medizin und Naturwissenschaften studirt, in seinem 18. Jahr eine
Theorie der elektrischen Erscheinungen geschrieben; er hat sich mit der Schwe¬
ster seines Freundes Clemens Brentano vevhcirathet, sein Gut Wiepersdorf
bewirthschaftet und ist im Jahr 1831 gestorben.

Sein eigentliches Leben scheint in der Phantasie gelegen zu haben; von
diesem gibt uns die Reihe seiner Schriften ein hinlängliches Zeugniß. --



") Es wird von Interesse sein, das Altersvcrhaltniß dieser Dichter anzudeuten
nach ihren Geburtsjahren. 1759: Schiller -- 1762: Fichte -- I7SZ: Jean Paul --
1767: A. W. Schlegel; E. Wagner; W. v. Humboldt -- ,768: Schleiermacher; Zach.
Werner -- I7K9: E. M. Arndt; A. v. Humboldt - 1770: Hegel; Hölderlin; Fakel
-- 1772: Friedrich Schlegel; Ronalis; Wackenroder -- I77Z: Tieck -- 1775: Schel-
ling -- 1776: H. v. Kleist; E. T. A. Hoffmann -- 1777: Brentano; Fouquv; Rahel
-- 1779- Oehlenschläger -- 1780: Solger I7SI: Chamissoz Achin v. Arnim.

an Goethe reichten doch ziemlich weit hinaus, wo Bettina, das Kind, schon
glückliche Gattin und Mutter mehrer gesunden Kinder war, und in diesen
Briefen ist das Feuer der alten Liebe noch keineswegs verglommen. Wem:
in früherer Zeit Goethe's Rock ihr heiliger und werther gewesen war, als
ihre Nei'enmenscheu, so ist noch immer ihr höchster, seligster Traum zu des
Dichters Füßen zu liegen und seine Knie zu umfassen.

Als dieser Briefwechsel erschien, war Goethe schon drei Jahre todt,
und noch ein Jahr früher war Bettinen's Gatte gestorben, der in jenen
Briefen mit der kümmerlichen Bezeichnung „der Freund" abgespeist wird.
Es war L. Achin von Arnim, von dem man wohl gehört hatte, daß er
Volkslieder herausgegeben und zu deu romantischen Humoristen gehört hätte,
dessen Schriften im Uebrigen aber spurlos aus dem Gedächtnisse des Volks
entschwunden waren. Seit acht Jahren nun hat Bettina, im Verein
mit seinen germanistischen Freunden, den Gebrüdern Grimm, seineu litera¬
rischen Nachlaß geordnet, und so einen Dichter der Nation wieder in
Erinnerung gebracht, der uns als lebendiges Bild einer Gottlob überwun¬
denen Zeit von Interesse sein kann.

Daß seine Schriften lebendig in die Gegenwart eingreifen sollten, davon
ist nicht die Rede, so wunderbar auch die geistige Tiefe ist, die sich zuwei¬
len in ihnen ausschließt. Aber der wirkliche Pulsschlag des Lebens geht
ihnen ab; sie können nnr als werthvolle Studien gelten und gehören der
Literaturgeschichte an.

Arnim ist in Berlin geboren, im Jahr 1781; er gehört also zu den
jüngsten Dichtern derjenigen Generation, die man als die romantische zu
bezeichnen gewohnt ist Von seinem äußerlichen Leben ist wenig zu sagen,
er hat Medizin und Naturwissenschaften studirt, in seinem 18. Jahr eine
Theorie der elektrischen Erscheinungen geschrieben; er hat sich mit der Schwe¬
ster seines Freundes Clemens Brentano vevhcirathet, sein Gut Wiepersdorf
bewirthschaftet und ist im Jahr 1831 gestorben.

Sein eigentliches Leben scheint in der Phantasie gelegen zu haben; von
diesem gibt uns die Reihe seiner Schriften ein hinlängliches Zeugniß. —



») Es wird von Interesse sein, das Altersvcrhaltniß dieser Dichter anzudeuten
nach ihren Geburtsjahren. 1759: Schiller — 1762: Fichte — I7SZ: Jean Paul —
1767: A. W. Schlegel; E. Wagner; W. v. Humboldt — ,768: Schleiermacher; Zach.
Werner — I7K9: E. M. Arndt; A. v. Humboldt - 1770: Hegel; Hölderlin; Fakel
— 1772: Friedrich Schlegel; Ronalis; Wackenroder — I77Z: Tieck — 1775: Schel-
ling — 1776: H. v. Kleist; E. T. A. Hoffmann — 1777: Brentano; Fouquv; Rahel
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[0334] an Goethe reichten doch ziemlich weit hinaus, wo Bettina, das Kind, schon glückliche Gattin und Mutter mehrer gesunden Kinder war, und in diesen Briefen ist das Feuer der alten Liebe noch keineswegs verglommen. Wem: in früherer Zeit Goethe's Rock ihr heiliger und werther gewesen war, als ihre Nei'enmenscheu, so ist noch immer ihr höchster, seligster Traum zu des Dichters Füßen zu liegen und seine Knie zu umfassen. Als dieser Briefwechsel erschien, war Goethe schon drei Jahre todt, und noch ein Jahr früher war Bettinen's Gatte gestorben, der in jenen Briefen mit der kümmerlichen Bezeichnung „der Freund" abgespeist wird. Es war L. Achin von Arnim, von dem man wohl gehört hatte, daß er Volkslieder herausgegeben und zu deu romantischen Humoristen gehört hätte, dessen Schriften im Uebrigen aber spurlos aus dem Gedächtnisse des Volks entschwunden waren. Seit acht Jahren nun hat Bettina, im Verein mit seinen germanistischen Freunden, den Gebrüdern Grimm, seineu litera¬ rischen Nachlaß geordnet, und so einen Dichter der Nation wieder in Erinnerung gebracht, der uns als lebendiges Bild einer Gottlob überwun¬ denen Zeit von Interesse sein kann. Daß seine Schriften lebendig in die Gegenwart eingreifen sollten, davon ist nicht die Rede, so wunderbar auch die geistige Tiefe ist, die sich zuwei¬ len in ihnen ausschließt. Aber der wirkliche Pulsschlag des Lebens geht ihnen ab; sie können nnr als werthvolle Studien gelten und gehören der Literaturgeschichte an. Arnim ist in Berlin geboren, im Jahr 1781; er gehört also zu den jüngsten Dichtern derjenigen Generation, die man als die romantische zu bezeichnen gewohnt ist Von seinem äußerlichen Leben ist wenig zu sagen, er hat Medizin und Naturwissenschaften studirt, in seinem 18. Jahr eine Theorie der elektrischen Erscheinungen geschrieben; er hat sich mit der Schwe¬ ster seines Freundes Clemens Brentano vevhcirathet, sein Gut Wiepersdorf bewirthschaftet und ist im Jahr 1831 gestorben. Sein eigentliches Leben scheint in der Phantasie gelegen zu haben; von diesem gibt uns die Reihe seiner Schriften ein hinlängliches Zeugniß. — ») Es wird von Interesse sein, das Altersvcrhaltniß dieser Dichter anzudeuten nach ihren Geburtsjahren. 1759: Schiller — 1762: Fichte — I7SZ: Jean Paul — 1767: A. W. Schlegel; E. Wagner; W. v. Humboldt — ,768: Schleiermacher; Zach. Werner — I7K9: E. M. Arndt; A. v. Humboldt - 1770: Hegel; Hölderlin; Fakel — 1772: Friedrich Schlegel; Ronalis; Wackenroder — I77Z: Tieck — 1775: Schel- ling — 1776: H. v. Kleist; E. T. A. Hoffmann — 1777: Brentano; Fouquv; Rahel — 1779- Oehlenschläger — 1780: Solger I7SI: Chamissoz Achin v. Arnim.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/334>, abgerufen am 01.07.2024.