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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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ges gewiß über die gedankenlos gewordenen Formen, in denen die Welt ge¬
bunden lag. In dem furchtbaren Kampfe gegen ganz Europa traten nun
die dunkleren Mächte an's Licht; es begann der Proceß des Königs. Die
Einen waren der Ueberzeugung, ein großes Opfer bringen zu müssen, um
ihre Hingebung an die Sache der Freiheit zu erweisen, jede Möglichkeit ei¬
ner Versöhnung mit den Thronen dahinzugeben; die Andern lehrte ihr In¬
stinkt, daß noch eine tiefe Kluft bis zur Herrschaft der Masse sei, und daß
diese durch ein ungeheures Verbrechen ausgefüllt werden müsse. Mit dem
Königsmorde war der Bruch zwischen der Revolution und der alten Legiti¬
mität vollendet. Die 25 Millionen mußten, ans daß jedes Zerfallen un¬
möglich wurde, wie vulkanisch zusammengeschmolzen werden zu einer sich völ¬
lig gleichen granitnen Masse, zu einer politischen Monade; es ist die ein¬
zige Sittlichkeit, die es noch gibt, jeden sonstigen Inhalt der Persönlichkeit
dahinzugeben in den fanatischen Dienst des Allgemeinen. Die drei Jahr¬
hunderte lang von den Monarchen angestrebte Herrschaft der Staatsidee er¬
füllt sich in dem Augenblick, wo sie in die Masse zurückgesunken und verlo¬
ren ist. Aber das Prinzip legitimer Berechtigung, maßloser Allgewalt der
Cabinetspolitik stellte sich im Osten in eben so schauderhafter Vernichtung
alles Rechtes dar, als im Westen die wahnsinnige Nothwehr der Volkssou-
veränität. Ruhte auf dem Volke Frankreichs der Fluch des Königsmordes,
so übernahmen die drei Monarchen des Ostens mit heiterer Zuversicht die
Schuld eiues Volksmordes, nur daß dort das Volk im wilden Fanatismus
weiterstürmt, während die Cabinete ihre Ländergier nur dürftig mit dem
Vorwand der Besorgniß vor jacobinischen Umtrieben verhüllten.

Mit Robespierres Fall kehrte die Revolution um; aber die Resultate
derselben gab UM keineswegs auf, sie waren nun einmal im Saft und Blut
des Volkslebens. Der weitere Gang der Dinge war, daß man sie, so arm
und so reich sie nnn waren, zu einem praktischen System, zu einer Zustand-
lichkeit, zu einer politischen Macht umzugestalten suchte. Es galt, einen
Staat auf den sittlichen Grundlagen, die man blutig genug errungen, auf¬
zurichten; nun erst kam mau vom Zerstören zum Auferbauen, von der Ver¬
theidigung zum Erobern. Die Anerkennung als politische Macht war das
Erste, was die Republik errang. Die Erfolge dieser nationalen Macht
mußten um so größer werden, je weiter die Mächte, gegen die man kämpfte,
davon entfernt waren, nationale Staaten zu sein. Wie sich diese Sieges¬
gewalt der freien Nation als Macht constituirte, zersprengte sie die alten
irrationalen Staaten, nicht um die darin gebundenen Volksthümlichkeiten
zu selbsteigener Freiheit zu entlassen, sondern die dem Namen nach befreiten


ges gewiß über die gedankenlos gewordenen Formen, in denen die Welt ge¬
bunden lag. In dem furchtbaren Kampfe gegen ganz Europa traten nun
die dunkleren Mächte an's Licht; es begann der Proceß des Königs. Die
Einen waren der Ueberzeugung, ein großes Opfer bringen zu müssen, um
ihre Hingebung an die Sache der Freiheit zu erweisen, jede Möglichkeit ei¬
ner Versöhnung mit den Thronen dahinzugeben; die Andern lehrte ihr In¬
stinkt, daß noch eine tiefe Kluft bis zur Herrschaft der Masse sei, und daß
diese durch ein ungeheures Verbrechen ausgefüllt werden müsse. Mit dem
Königsmorde war der Bruch zwischen der Revolution und der alten Legiti¬
mität vollendet. Die 25 Millionen mußten, ans daß jedes Zerfallen un¬
möglich wurde, wie vulkanisch zusammengeschmolzen werden zu einer sich völ¬
lig gleichen granitnen Masse, zu einer politischen Monade; es ist die ein¬
zige Sittlichkeit, die es noch gibt, jeden sonstigen Inhalt der Persönlichkeit
dahinzugeben in den fanatischen Dienst des Allgemeinen. Die drei Jahr¬
hunderte lang von den Monarchen angestrebte Herrschaft der Staatsidee er¬
füllt sich in dem Augenblick, wo sie in die Masse zurückgesunken und verlo¬
ren ist. Aber das Prinzip legitimer Berechtigung, maßloser Allgewalt der
Cabinetspolitik stellte sich im Osten in eben so schauderhafter Vernichtung
alles Rechtes dar, als im Westen die wahnsinnige Nothwehr der Volkssou-
veränität. Ruhte auf dem Volke Frankreichs der Fluch des Königsmordes,
so übernahmen die drei Monarchen des Ostens mit heiterer Zuversicht die
Schuld eiues Volksmordes, nur daß dort das Volk im wilden Fanatismus
weiterstürmt, während die Cabinete ihre Ländergier nur dürftig mit dem
Vorwand der Besorgniß vor jacobinischen Umtrieben verhüllten.

Mit Robespierres Fall kehrte die Revolution um; aber die Resultate
derselben gab UM keineswegs auf, sie waren nun einmal im Saft und Blut
des Volkslebens. Der weitere Gang der Dinge war, daß man sie, so arm
und so reich sie nnn waren, zu einem praktischen System, zu einer Zustand-
lichkeit, zu einer politischen Macht umzugestalten suchte. Es galt, einen
Staat auf den sittlichen Grundlagen, die man blutig genug errungen, auf¬
zurichten; nun erst kam mau vom Zerstören zum Auferbauen, von der Ver¬
theidigung zum Erobern. Die Anerkennung als politische Macht war das
Erste, was die Republik errang. Die Erfolge dieser nationalen Macht
mußten um so größer werden, je weiter die Mächte, gegen die man kämpfte,
davon entfernt waren, nationale Staaten zu sein. Wie sich diese Sieges¬
gewalt der freien Nation als Macht constituirte, zersprengte sie die alten
irrationalen Staaten, nicht um die darin gebundenen Volksthümlichkeiten
zu selbsteigener Freiheit zu entlassen, sondern die dem Namen nach befreiten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/298>, abgerufen am 22.07.2024.