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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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selbst erwachsen waren; während das neue Frankreich Frieden, nichts <M
Frieden wollte. Schon erfüllte der Absehen gegen die Revolution alle Höfe,
Und je kleiner sie waren, desto amnaßlicher sprachen sie ihre Verachtung ge¬
gen die Ideen aus, welche die Zeit bewegten. Man vergesse nicht, daß diese
Fürsten ebenso sehr der französischen Sittenlosigkeit in ihrem persönlichen Le¬
ben, wie in ihren Ansichten jenem bodenlosen Nationalismus huldigten, der,
wenn das Volk ihn geltend zu machen begann, als scheußlicher Frevel aus-
geschrieen würde. Die Fürsten und ihre Minister standen auf demselben Stand¬
punkt mit dem, was sie angriffen, nur daß sie sich rühmten, Prinzipien und
Pflichten zu vertheidigen, die ihnen selbst als solche nicht galten. Es ist
wahr, daß auch nach der Emigration des alten Sündengiftes in Frankreich
nnr zuviel nachgeblieben war, und fortan, aller conventionellen SchicklichkeiA-
formen entblößt, um um so widerwärtiger hervortrat; auch wird es Niemand
leugnen, daß in so ungeheuren Zeiten bei so tiefer Umkehr aller Verhält¬
nisse anch die niedrigsten Leidenschaften mit aus den Plan kamen, ja nur
zu bald sich als die eigentlichen Vorfechter und Bannerträger gebärdeten.
Die Gemüther wurden erbittert und verwildert durch die geheimnißvollen
Umtriebe des Königthums, die steten Drohungen der Nachbarn ringsumher.
Die bewaffnete Macht war im Zustand völliger Auflösung, der öffentliche
Credit vernichtet, drohende Hungersnot!), nirgends eine festleitende Hand,
ein allbestimmendes Ziel, überall Widerspruch, brennender Argwohn, wilde¬
ster Hader der Ansichten -- ein chaotischer Zustand. Und es hätte sich klä¬
ren können, wenn das Ausland sich zu einer allgemeinen Anerkennung der
französischen Verfassung entschlossen hätte; die Sehnsucht Frankreichs nach
Ruhe hätte man benutzen, man hätte eine starke Regierungspartei bilden,
sie ans den wohlhabenden Bürgerstand stützen müssen, und "menai gesammelt,
energisch geleitet, hätte sie die Umtriebe zu ersticken, die Einente niederzuhal¬
ten vermocht. Statt dessen erfolgte das berüchtigte Manifest, am französi¬
schen Hofe mitberathen. Die Nationalversammlung schwankte; aber es mußte
gehandelt werden; es erhob sich das souveräne Volk, von den Jacvbinem
geleitet, über seine Mandatare. Die Republik wurde erklärt. Jetzt mußte/
die Revolution all ihre Kräfte anspannen, sich zu retten; es war ein Kampf
um die Existenz; die Republik siegte, und wurde nun ihrerseits aggressiv.
Es war eine völlig neue Gewalt, die sich plötzlich, unwiderstehlich, man möchte
sagen, mit elementarischer Mächtigkeit erhoben hatte, alle Prinzipien, Gewöhn
selten, Vorurtheile, auf denen bisher Europa beruht hatte, negirend, sich
als vollzogene Empörung, als Republik constituirend, schon lavagleich über-
fluthend, überall von volkstümlichen Sympathien begrüßt, überall des Sie-


selbst erwachsen waren; während das neue Frankreich Frieden, nichts <M
Frieden wollte. Schon erfüllte der Absehen gegen die Revolution alle Höfe,
Und je kleiner sie waren, desto amnaßlicher sprachen sie ihre Verachtung ge¬
gen die Ideen aus, welche die Zeit bewegten. Man vergesse nicht, daß diese
Fürsten ebenso sehr der französischen Sittenlosigkeit in ihrem persönlichen Le¬
ben, wie in ihren Ansichten jenem bodenlosen Nationalismus huldigten, der,
wenn das Volk ihn geltend zu machen begann, als scheußlicher Frevel aus-
geschrieen würde. Die Fürsten und ihre Minister standen auf demselben Stand¬
punkt mit dem, was sie angriffen, nur daß sie sich rühmten, Prinzipien und
Pflichten zu vertheidigen, die ihnen selbst als solche nicht galten. Es ist
wahr, daß auch nach der Emigration des alten Sündengiftes in Frankreich
nnr zuviel nachgeblieben war, und fortan, aller conventionellen SchicklichkeiA-
formen entblößt, um um so widerwärtiger hervortrat; auch wird es Niemand
leugnen, daß in so ungeheuren Zeiten bei so tiefer Umkehr aller Verhält¬
nisse anch die niedrigsten Leidenschaften mit aus den Plan kamen, ja nur
zu bald sich als die eigentlichen Vorfechter und Bannerträger gebärdeten.
Die Gemüther wurden erbittert und verwildert durch die geheimnißvollen
Umtriebe des Königthums, die steten Drohungen der Nachbarn ringsumher.
Die bewaffnete Macht war im Zustand völliger Auflösung, der öffentliche
Credit vernichtet, drohende Hungersnot!), nirgends eine festleitende Hand,
ein allbestimmendes Ziel, überall Widerspruch, brennender Argwohn, wilde¬
ster Hader der Ansichten — ein chaotischer Zustand. Und es hätte sich klä¬
ren können, wenn das Ausland sich zu einer allgemeinen Anerkennung der
französischen Verfassung entschlossen hätte; die Sehnsucht Frankreichs nach
Ruhe hätte man benutzen, man hätte eine starke Regierungspartei bilden,
sie ans den wohlhabenden Bürgerstand stützen müssen, und »menai gesammelt,
energisch geleitet, hätte sie die Umtriebe zu ersticken, die Einente niederzuhal¬
ten vermocht. Statt dessen erfolgte das berüchtigte Manifest, am französi¬
schen Hofe mitberathen. Die Nationalversammlung schwankte; aber es mußte
gehandelt werden; es erhob sich das souveräne Volk, von den Jacvbinem
geleitet, über seine Mandatare. Die Republik wurde erklärt. Jetzt mußte/
die Revolution all ihre Kräfte anspannen, sich zu retten; es war ein Kampf
um die Existenz; die Republik siegte, und wurde nun ihrerseits aggressiv.
Es war eine völlig neue Gewalt, die sich plötzlich, unwiderstehlich, man möchte
sagen, mit elementarischer Mächtigkeit erhoben hatte, alle Prinzipien, Gewöhn
selten, Vorurtheile, auf denen bisher Europa beruht hatte, negirend, sich
als vollzogene Empörung, als Republik constituirend, schon lavagleich über-
fluthend, überall von volkstümlichen Sympathien begrüßt, überall des Sie-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/297>, abgerufen am 22.07.2024.