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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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Armee fehlen, viel bitterer anrechnet, als es anderswo geschieht. Darum finden
in Oesterreich die vielen spöttischen und herabwürdigenden Anekdoten, die fremde
Geschichtschreiber, Memoiren- und Romandichter auftischen, viel eher Glauben als
der trockene offizielle Lobhndel, den die heimathliche cenfirte Presse den betreffen--
den Männern spendet und dem alle Wirkung abgeht, weil das Leben, die freie
Kritik, die psychologische und historische Gerechtigkeit darin fehlt, weil Alles den
Stempel der bevormundenden Beamtenhand daran trägt. Jenes richtige Gefühl,
mit welchem anderswo der Gebildete wohl zu unterscheiden weiß, was gegen den
Staat, dem er angehört, aus Nationalhaß und ans Eifersucht von fremden Schrift¬
stellern aufgetischt wird, fehlt der Masse der unter der Taucherglocke erzogenen
Oesterreicher völlig. Was draußen, in der Freiheit geschrieben wird, gleichviel ob
von Feind oder von Freund, wird unbedingt geglaubt, was unter der Aegide
österreichischer Censur erscheint, wird unbedingt bezweifelt. Das Ausland, seine
Anerkennung, seine Aburtheilung gibt der österreichischen Jugend den Maßstab
M Beurtheilung der heimathlichen Verdienste. Zu dieser Abnormität, die vielleicht
nirgends ihres Gleichen findet, hat die große Weisheit unseres Systems uns ge¬
bracht. Wo soll bei solcher Erziehung der Patriotismus herkommen, und jener
schöne Ehrgeiz, der andere Staaten befruchtet, der Ehrgeiz, den besten Männern
im Vaterlande nachzustreben?

Darum ist mit dem Erzherzog Karl so viel zu Grabe gegangen, weil er
einer der großen Ausnahmen war, in dem ganz Oesterreich einen der Haupt¬
träger der Nationalehre sah, weil er den gemeinsamen Stolz Aller bildete, welcher
Provinz sie auch angehörten.

Solche Eentralpunkte, solche gemeinsam erkannte und gewürdigte Männer des
Volkes, Wie wenige besitzt ihrer die österreichische Monarchie! Für welche himmel¬
weit von einander unterschiedenen Persönlichkeiten schwärmen die einzelnen Theile
des Staats! Die Einen schwärmen für Friedrich den streitbaren und Max I. ,
die Andern für Mathias Corvinus und Zrini, die Dritten für Karl IV. Und
Georg von Podiebrad. Das geistige Gesammtband, die Vendomcsänle, die West-
minsterabtei, in welchem alle Herzen sich begegnen, geht uns in dieser schweren
Zeit der immer drängenderen Sprach- und Nationaleifersucht mehr als je ab.
Und in dieser schwierigen Zeit steigt nun auch noch ein Mann zu Grabe, der,
obschon ein hoher Greis und fast vierzig Jahre vom Schauplätze eingreifenden
Wirkens verdrängt, immer noch die wärmste nicht blos offizielle Verehrung all der
Volksstämme der österreichische" Monarchie besaß. --


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VII.
Notizen.

Venedey und die französische Presse. -- Ein armenischer Prinz.

Man, dem die Freiheit nicht ein bloßes Stichwort für Vcrstcckung egoisti¬
scher Interessen ist, sondern der sie lebendig im Herzen trägt, mußte sich schmerz¬
lich berührt fühlen, als die liberale Partei in Baiern nach Entfernung des vori-


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Armee fehlen, viel bitterer anrechnet, als es anderswo geschieht. Darum finden
in Oesterreich die vielen spöttischen und herabwürdigenden Anekdoten, die fremde
Geschichtschreiber, Memoiren- und Romandichter auftischen, viel eher Glauben als
der trockene offizielle Lobhndel, den die heimathliche cenfirte Presse den betreffen--
den Männern spendet und dem alle Wirkung abgeht, weil das Leben, die freie
Kritik, die psychologische und historische Gerechtigkeit darin fehlt, weil Alles den
Stempel der bevormundenden Beamtenhand daran trägt. Jenes richtige Gefühl,
mit welchem anderswo der Gebildete wohl zu unterscheiden weiß, was gegen den
Staat, dem er angehört, aus Nationalhaß und ans Eifersucht von fremden Schrift¬
stellern aufgetischt wird, fehlt der Masse der unter der Taucherglocke erzogenen
Oesterreicher völlig. Was draußen, in der Freiheit geschrieben wird, gleichviel ob
von Feind oder von Freund, wird unbedingt geglaubt, was unter der Aegide
österreichischer Censur erscheint, wird unbedingt bezweifelt. Das Ausland, seine
Anerkennung, seine Aburtheilung gibt der österreichischen Jugend den Maßstab
M Beurtheilung der heimathlichen Verdienste. Zu dieser Abnormität, die vielleicht
nirgends ihres Gleichen findet, hat die große Weisheit unseres Systems uns ge¬
bracht. Wo soll bei solcher Erziehung der Patriotismus herkommen, und jener
schöne Ehrgeiz, der andere Staaten befruchtet, der Ehrgeiz, den besten Männern
im Vaterlande nachzustreben?

Darum ist mit dem Erzherzog Karl so viel zu Grabe gegangen, weil er
einer der großen Ausnahmen war, in dem ganz Oesterreich einen der Haupt¬
träger der Nationalehre sah, weil er den gemeinsamen Stolz Aller bildete, welcher
Provinz sie auch angehörten.

Solche Eentralpunkte, solche gemeinsam erkannte und gewürdigte Männer des
Volkes, Wie wenige besitzt ihrer die österreichische Monarchie! Für welche himmel¬
weit von einander unterschiedenen Persönlichkeiten schwärmen die einzelnen Theile
des Staats! Die Einen schwärmen für Friedrich den streitbaren und Max I. ,
die Andern für Mathias Corvinus und Zrini, die Dritten für Karl IV. Und
Georg von Podiebrad. Das geistige Gesammtband, die Vendomcsänle, die West-
minsterabtei, in welchem alle Herzen sich begegnen, geht uns in dieser schweren
Zeit der immer drängenderen Sprach- und Nationaleifersucht mehr als je ab.
Und in dieser schwierigen Zeit steigt nun auch noch ein Mann zu Grabe, der,
obschon ein hoher Greis und fast vierzig Jahre vom Schauplätze eingreifenden
Wirkens verdrängt, immer noch die wärmste nicht blos offizielle Verehrung all der
Volksstämme der österreichische» Monarchie besaß. —


5-1-
VII.
Notizen.

Venedey und die französische Presse. — Ein armenischer Prinz.

Man, dem die Freiheit nicht ein bloßes Stichwort für Vcrstcckung egoisti¬
scher Interessen ist, sondern der sie lebendig im Herzen trägt, mußte sich schmerz¬
lich berührt fühlen, als die liberale Partei in Baiern nach Entfernung des vori-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/283>, abgerufen am 22.07.2024.