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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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Privileg "to coutume hätten. Seit den Zeiten, wo Sachsens Herzöge die
Krone von Polen trugen in der Elbresideuz, Versaille und Tuilerien spiel¬
ten, bildeten Franzosen, Polen und Italiener immer eine ansehnliche Colonie
in Dresden. Während Letztere allmälig sich verloren, vermehrte sich die Zahl
und der Einfluß der erstem durch die Verbindung mit Napoleon. Als end¬
lich der Umschwung der Dinge seit dem Pariser Frieden auch sie zum Rück¬
zug veranlaßte, da entdeckten plötzlich die Engländer die Stadt. Sir John
mit dem magern Bauche, der die Welt durchzieht, um zu sehen, an welchem
Orte man für die wenigsten Pfunde die meiste Anmaßung haben kann, kam
hierher; er sah das Land und fand, daß es gut und wohlfeil sei. Zu ihm
gesellte sich allmälig auch der Rubel auf Reisen, der in den böhmischen Bä¬
dern alljährlich für das im moskowitischen Orgion verpraßte Mark seiner
Leibeigenen und seines eigenen Leibes Stärkung sucht und die Straßen des
großen Czaren zu schlecht und zu öde findet, um zwischen einer Badesaison
und der audern die Heimreise zu unternehmen. So gewann die Stadt durch
aus der Fremde zuströmende Elemente wieder, was sie an Wohlhabenheit,
und Glanz durch den Pariser Frieden als Centrum eines früher viel um¬
fangreichen Landes verloren hat.

In den letzten zwei Jahren hat Preußen jedoch auch hierin den Sach¬
sen zu Ader gelassen. Die Vollendung der Eisenbahn hat viele Fremde, die
sonst den Winter in Dresden verlebten, nach Berlin geführt. Ob diese da¬
bei einen vortheilhaften Tausch gemacht haben? Wir glauben kaum. Berlin
ist ein tyrannischer Ort. Es nimmt keine Notiz von fremden Individualitä¬
ten und dringt ihnen despotisch seine eignen Lebensgesetze und Brauche auf.
Die Dresdner Atmosphäre ist conservativ, politisch wie social, sie conservirt
und schont den Fremden, das Wasser färbt nicht ab, der Fremde steigt aus
dem Bade grade so, wie er hineingestiegen ist. Die Stadt hat den Culmi-
nationspunkt ihrer Geschichte hinter sich und ist nun zu bequem, zu müde,
zu nachgiebig, zu höflich, zu wenig energisch und selbständig, sie hat zu
wenig Stadttheile in sich, um auf die moralische Haut, auf den geistigen
Organismus der Fremden einen Einfluß zu üben. Die Berliner Lust da¬
gegen ist ätzend, scheidewasserartig, die junge Stadt, in aufsteigender Linie
begriffen, ist kampflustig, eroberungssüchtig, und wie jede junge Nationalität
durch die Reibung mit einer andern sich zu schärfen und ?zu stärken sucht,
so wetzt Berlin seinen Schnabel an allem Andersgearteten, Widerstehenden,
und diese viermalhunderttausend Schnäbel (in denen die gelben eine große
Rolle spielen!) reißen den Fremden, gegen den sie sich wenden, manche sei¬
ner Lieblingsfedern und Gewohnheiten aus.


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Privileg «to coutume hätten. Seit den Zeiten, wo Sachsens Herzöge die
Krone von Polen trugen in der Elbresideuz, Versaille und Tuilerien spiel¬
ten, bildeten Franzosen, Polen und Italiener immer eine ansehnliche Colonie
in Dresden. Während Letztere allmälig sich verloren, vermehrte sich die Zahl
und der Einfluß der erstem durch die Verbindung mit Napoleon. Als end¬
lich der Umschwung der Dinge seit dem Pariser Frieden auch sie zum Rück¬
zug veranlaßte, da entdeckten plötzlich die Engländer die Stadt. Sir John
mit dem magern Bauche, der die Welt durchzieht, um zu sehen, an welchem
Orte man für die wenigsten Pfunde die meiste Anmaßung haben kann, kam
hierher; er sah das Land und fand, daß es gut und wohlfeil sei. Zu ihm
gesellte sich allmälig auch der Rubel auf Reisen, der in den böhmischen Bä¬
dern alljährlich für das im moskowitischen Orgion verpraßte Mark seiner
Leibeigenen und seines eigenen Leibes Stärkung sucht und die Straßen des
großen Czaren zu schlecht und zu öde findet, um zwischen einer Badesaison
und der audern die Heimreise zu unternehmen. So gewann die Stadt durch
aus der Fremde zuströmende Elemente wieder, was sie an Wohlhabenheit,
und Glanz durch den Pariser Frieden als Centrum eines früher viel um¬
fangreichen Landes verloren hat.

In den letzten zwei Jahren hat Preußen jedoch auch hierin den Sach¬
sen zu Ader gelassen. Die Vollendung der Eisenbahn hat viele Fremde, die
sonst den Winter in Dresden verlebten, nach Berlin geführt. Ob diese da¬
bei einen vortheilhaften Tausch gemacht haben? Wir glauben kaum. Berlin
ist ein tyrannischer Ort. Es nimmt keine Notiz von fremden Individualitä¬
ten und dringt ihnen despotisch seine eignen Lebensgesetze und Brauche auf.
Die Dresdner Atmosphäre ist conservativ, politisch wie social, sie conservirt
und schont den Fremden, das Wasser färbt nicht ab, der Fremde steigt aus
dem Bade grade so, wie er hineingestiegen ist. Die Stadt hat den Culmi-
nationspunkt ihrer Geschichte hinter sich und ist nun zu bequem, zu müde,
zu nachgiebig, zu höflich, zu wenig energisch und selbständig, sie hat zu
wenig Stadttheile in sich, um auf die moralische Haut, auf den geistigen
Organismus der Fremden einen Einfluß zu üben. Die Berliner Lust da¬
gegen ist ätzend, scheidewasserartig, die junge Stadt, in aufsteigender Linie
begriffen, ist kampflustig, eroberungssüchtig, und wie jede junge Nationalität
durch die Reibung mit einer andern sich zu schärfen und ?zu stärken sucht,
so wetzt Berlin seinen Schnabel an allem Andersgearteten, Widerstehenden,
und diese viermalhunderttausend Schnäbel (in denen die gelben eine große
Rolle spielen!) reißen den Fremden, gegen den sie sich wenden, manche sei¬
ner Lieblingsfedern und Gewohnheiten aus.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/27>, abgerufen am 01.07.2024.