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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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unmusikalisch, und sang gar nicht, sprach ein schlechtes Deutsch und ein ge¬
meines Böhmisch -- er war aufgegeben, als Betel den Kandidaten der Hof¬
meisterschaft zum erstenmal gesehen und spielen gehört hatte. Andererseits
hat den Töchtern der Bräuer, Wirthschastsbeamtcn und Handwerker gegen¬
über jeder böhmische Student den frischen kecken Muth, der ihn augenblick¬
lich verläßt, wenn er einer deutschgebildetcn, etwas gesteifter und geschnür¬
ten Dame gegenüber steht. Diese Töchter find seinesgleichen, ihnen zu Eh¬
ren ziehn die Studenten auf dein Lande herum, singend und jubelnd -- und
nehmen die alte Gastfreiheit in Anspruch, mit ihnen tanzt man auf den länd¬
lichen Bällen und begleitet sie zärtlich nach Hanse. Theodor begann die
Konversation, .....- wie sich vou selbst versteht, in böhmischer Sprache, denn
deutsch spricht ein guter Böhme nur, wenn er muß: "Guten Morgen, Be¬
tinka ! -- die gnädige Frau ist uicht da?"
'

"Sie sindfortgefahren, Herr Nest-isuy, aber sie werden bald wieder¬
kommen -- die Frau Baronin will uur für ihren Herrn einkaufen! Na, in
acht Tagen gehen wir nach Nischlowicz zurück."

"Ich freue mich schou darauf; wie ist es denn dort?"

"O, sehr hübsch--Sie werden schou sehen, wir unterhalten uns präch¬
tig -- es ist nicht weit nach Hollin, nur eine Stunde, und da kennen wir
die ganze Stadt. Meine Schwester ist dort an den Gruudbuchführer ver-
heirathet, dann fahren wir nach Choo zu die Graf Kosinskischen und nach
Styrwicz, zu die Baron Ecksteinischen, da sind Schreiber und ein sehr
lustiger Kaplan'. Von Daudleb kommen auch die Offiziers und da ist im¬
mer was!"

"Es wird mir freilich schwer ankommen, von Prag wegzugehen."

"I, was ist denn in Prag? nur Theater, sonst aber bin ich lieber in
Nischlowicz, hier sind die Mädeln alle so falsch und bilden sich ein, wer weiß
was sie sind! Na, die Marie von der Gräfin, kaum daß sie mit einem spricht
-- was ist sie denn? Kammerjungfer bin ich auch, ihr Bater war Justiziär,
aber wissen Sie -- hat weggehen müssen, und hat sie die Gräfin nur ans
Gnaden genommen, und mein Vater ist Bräuer!"

Ein Bräuer ist in Böhmen eine wichtige Person -- er heißt "Herr
Alter" und genießt des größten Ansehens bei den Bauern, ist guter Freund
des Pfarrers, sehr intim mit den Aintschreibern und steht auf dem anstän-
digsten Fuße mit dem Amtsdirektor. Eine Bräuerstochter gehört unbedingt
zu den Honoratioren, rangirt nach den Beamtentöchtern und geht auf dem
Lande in den meisten Fällen der Pfarrerköchin vor, welche sie kurzweg mit
ihrem Vornamen nennt. Theodor hatte kaum den Stand seiner neuen Freun-


unmusikalisch, und sang gar nicht, sprach ein schlechtes Deutsch und ein ge¬
meines Böhmisch — er war aufgegeben, als Betel den Kandidaten der Hof¬
meisterschaft zum erstenmal gesehen und spielen gehört hatte. Andererseits
hat den Töchtern der Bräuer, Wirthschastsbeamtcn und Handwerker gegen¬
über jeder böhmische Student den frischen kecken Muth, der ihn augenblick¬
lich verläßt, wenn er einer deutschgebildetcn, etwas gesteifter und geschnür¬
ten Dame gegenüber steht. Diese Töchter find seinesgleichen, ihnen zu Eh¬
ren ziehn die Studenten auf dein Lande herum, singend und jubelnd — und
nehmen die alte Gastfreiheit in Anspruch, mit ihnen tanzt man auf den länd¬
lichen Bällen und begleitet sie zärtlich nach Hanse. Theodor begann die
Konversation, .....- wie sich vou selbst versteht, in böhmischer Sprache, denn
deutsch spricht ein guter Böhme nur, wenn er muß: „Guten Morgen, Be¬
tinka ! — die gnädige Frau ist uicht da?"
'

„Sie sindfortgefahren, Herr Nest-isuy, aber sie werden bald wieder¬
kommen — die Frau Baronin will uur für ihren Herrn einkaufen! Na, in
acht Tagen gehen wir nach Nischlowicz zurück."

„Ich freue mich schou darauf; wie ist es denn dort?"

„O, sehr hübsch--Sie werden schou sehen, wir unterhalten uns präch¬
tig — es ist nicht weit nach Hollin, nur eine Stunde, und da kennen wir
die ganze Stadt. Meine Schwester ist dort an den Gruudbuchführer ver-
heirathet, dann fahren wir nach Choo zu die Graf Kosinskischen und nach
Styrwicz, zu die Baron Ecksteinischen, da sind Schreiber und ein sehr
lustiger Kaplan'. Von Daudleb kommen auch die Offiziers und da ist im¬
mer was!"

„Es wird mir freilich schwer ankommen, von Prag wegzugehen."

„I, was ist denn in Prag? nur Theater, sonst aber bin ich lieber in
Nischlowicz, hier sind die Mädeln alle so falsch und bilden sich ein, wer weiß
was sie sind! Na, die Marie von der Gräfin, kaum daß sie mit einem spricht
— was ist sie denn? Kammerjungfer bin ich auch, ihr Bater war Justiziär,
aber wissen Sie — hat weggehen müssen, und hat sie die Gräfin nur ans
Gnaden genommen, und mein Vater ist Bräuer!"

Ein Bräuer ist in Böhmen eine wichtige Person — er heißt „Herr
Alter" und genießt des größten Ansehens bei den Bauern, ist guter Freund
des Pfarrers, sehr intim mit den Aintschreibern und steht auf dem anstän-
digsten Fuße mit dem Amtsdirektor. Eine Bräuerstochter gehört unbedingt
zu den Honoratioren, rangirt nach den Beamtentöchtern und geht auf dem
Lande in den meisten Fällen der Pfarrerköchin vor, welche sie kurzweg mit
ihrem Vornamen nennt. Theodor hatte kaum den Stand seiner neuen Freun-


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[0023] unmusikalisch, und sang gar nicht, sprach ein schlechtes Deutsch und ein ge¬ meines Böhmisch — er war aufgegeben, als Betel den Kandidaten der Hof¬ meisterschaft zum erstenmal gesehen und spielen gehört hatte. Andererseits hat den Töchtern der Bräuer, Wirthschastsbeamtcn und Handwerker gegen¬ über jeder böhmische Student den frischen kecken Muth, der ihn augenblick¬ lich verläßt, wenn er einer deutschgebildetcn, etwas gesteifter und geschnür¬ ten Dame gegenüber steht. Diese Töchter find seinesgleichen, ihnen zu Eh¬ ren ziehn die Studenten auf dein Lande herum, singend und jubelnd — und nehmen die alte Gastfreiheit in Anspruch, mit ihnen tanzt man auf den länd¬ lichen Bällen und begleitet sie zärtlich nach Hanse. Theodor begann die Konversation, .....- wie sich vou selbst versteht, in böhmischer Sprache, denn deutsch spricht ein guter Böhme nur, wenn er muß: „Guten Morgen, Be¬ tinka ! — die gnädige Frau ist uicht da?" ' „Sie sindfortgefahren, Herr Nest-isuy, aber sie werden bald wieder¬ kommen — die Frau Baronin will uur für ihren Herrn einkaufen! Na, in acht Tagen gehen wir nach Nischlowicz zurück." „Ich freue mich schou darauf; wie ist es denn dort?" „O, sehr hübsch--Sie werden schou sehen, wir unterhalten uns präch¬ tig — es ist nicht weit nach Hollin, nur eine Stunde, und da kennen wir die ganze Stadt. Meine Schwester ist dort an den Gruudbuchführer ver- heirathet, dann fahren wir nach Choo zu die Graf Kosinskischen und nach Styrwicz, zu die Baron Ecksteinischen, da sind Schreiber und ein sehr lustiger Kaplan'. Von Daudleb kommen auch die Offiziers und da ist im¬ mer was!" „Es wird mir freilich schwer ankommen, von Prag wegzugehen." „I, was ist denn in Prag? nur Theater, sonst aber bin ich lieber in Nischlowicz, hier sind die Mädeln alle so falsch und bilden sich ein, wer weiß was sie sind! Na, die Marie von der Gräfin, kaum daß sie mit einem spricht — was ist sie denn? Kammerjungfer bin ich auch, ihr Bater war Justiziär, aber wissen Sie — hat weggehen müssen, und hat sie die Gräfin nur ans Gnaden genommen, und mein Vater ist Bräuer!" Ein Bräuer ist in Böhmen eine wichtige Person — er heißt „Herr Alter" und genießt des größten Ansehens bei den Bauern, ist guter Freund des Pfarrers, sehr intim mit den Aintschreibern und steht auf dem anstän- digsten Fuße mit dem Amtsdirektor. Eine Bräuerstochter gehört unbedingt zu den Honoratioren, rangirt nach den Beamtentöchtern und geht auf dem Lande in den meisten Fällen der Pfarrerköchin vor, welche sie kurzweg mit ihrem Vornamen nennt. Theodor hatte kaum den Stand seiner neuen Freun-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/23>, abgerufen am 01.07.2024.