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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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die Wirksamkeit eines jeden Mißliebigen zu hemmen, denn wer steht so sicher,
daß ihn nicht irgend eine Anklage treffen könnte. Die gegenwärtige Proposition
der Regierung -- das Urtheil über die Bcscholtcnheit einer Jury von Stan¬
desgenossen zu überlassen, erregte doch manche Bedenken. Es ist z. B. bekannt,
daß bei dem Officierstande Begriffe über Ehre herrschen, die bei den übrigen
Ständen keineswegs Beifall fanden. Man machte darauf aufmerksam, daß z. B.
die Ausstoßung des Lieutenants Arrete aus dem Militairstand aus Gründen basirt
habe, die manchen in der Versammlung stolz machen würden, neben einem solchen
"Bescholtenen" zu sitzen. Man erinnerte an die Aufnahme O'Connel'S im engli¬
sche Parlament. Es war dies eine Frage, in der sich alle constitutionell Ge¬
sinnten von den verschiedensten Fraktionen begegnen mußten. Am entschiedensten
sprachen sich im liberalen Sinne aus: der preußische Abgeordnete v. Bardeleben
und der rheinische Abg. Hansemann. Uebrigens war auch bei dieser Debatte,
wie bei so mancher andern, eine gewisse Unsicherheit in dem augenblicklichen Ent¬
schluß nicht zu verkennen.

Was über die nicht officielle Thätigkeit der liberalen Opposition mitgetheilt
werden muß, hat wenig Erfreuliches. Es handelt sich um das öffentliche Ge¬
heimniß der Vinckcschen Protestation gegen die in der Antwort des Königs aus¬
gesprochenen Ansichten über den Rechtsboden der neuen Verfassung, die - bis
jetzt von 150 Mitgliedern unterzeichnet -- dem Landtagsmarschall übergeben, der
Versammluttg angetragen, und wenn sie hier, wie zu erwarten steht, die Majorität
nicht erlangt, als Spezial-Protest der Unterzeichner in das Landtagsprotokoll
niedergelegt werden soll.

Was. würde ein solcher Schritt für Folgen haben, wie die Sache gegen¬
wärtig steht? Die Schwäche der liberalen Partei vollends sichtbar machen und
das Einverständnis! mit der Krone, durch welches für jetzt allein etwas gewirkt
werden kann, auf eine um so bedenklichere Weise stören, da die vom Gouverne¬
ment unterstützte Partei dadurch ihre Stärke kennen lernt. Was wollen die pro-
tcstirenden Mitglieder thun, wenn sie in der Minorität bleiben? Jetzt auftre-
ten, nachdem sie sich ans Alles eingelassen haben? das wäre unter diesen Um¬
ständen eine reine Eapriee und hätte keinen andern Sinn, als -- die liberale
Partei noch weiter zu schwächen. Nicht austreten? Dann ist der Protest kindisch.

Einzelne Führer von den Rheinländern sollen sich haben verleiten lassen,
diesem Protest beizutreten. Mögen sie nicht, durch einen falschen I>"int-iZ'lwn-
i,";",- verleitet, sich in eine Bahn begeben, die nicht die ihrige sein kann. Denn
was bleibt jetzt, nach Beendigung des prinzipiellen Rechtsstreits, den Ständen
übrig? Nach bestem Gewissen und nach bester Einsicht sich aus die Delutver-
handlung einlassen;' den Kampf um das Prinzip aber auf die nächste Versamm¬
lung vertagen, die schon eine bessere Borschule hat.

Unglaublich ist das Gerücht, das Gouvernement beabsichtige die prvtestiren-
den Mitglieder von dem Landtag auszuschließen. Ein solcher Schritt würde der
Sache eine neue Wendung geben, aber nur zum Nachtheil der konservativen Partei.


Renköln.

die Wirksamkeit eines jeden Mißliebigen zu hemmen, denn wer steht so sicher,
daß ihn nicht irgend eine Anklage treffen könnte. Die gegenwärtige Proposition
der Regierung — das Urtheil über die Bcscholtcnheit einer Jury von Stan¬
desgenossen zu überlassen, erregte doch manche Bedenken. Es ist z. B. bekannt,
daß bei dem Officierstande Begriffe über Ehre herrschen, die bei den übrigen
Ständen keineswegs Beifall fanden. Man machte darauf aufmerksam, daß z. B.
die Ausstoßung des Lieutenants Arrete aus dem Militairstand aus Gründen basirt
habe, die manchen in der Versammlung stolz machen würden, neben einem solchen
„Bescholtenen" zu sitzen. Man erinnerte an die Aufnahme O'Connel'S im engli¬
sche Parlament. Es war dies eine Frage, in der sich alle constitutionell Ge¬
sinnten von den verschiedensten Fraktionen begegnen mußten. Am entschiedensten
sprachen sich im liberalen Sinne aus: der preußische Abgeordnete v. Bardeleben
und der rheinische Abg. Hansemann. Uebrigens war auch bei dieser Debatte,
wie bei so mancher andern, eine gewisse Unsicherheit in dem augenblicklichen Ent¬
schluß nicht zu verkennen.

Was über die nicht officielle Thätigkeit der liberalen Opposition mitgetheilt
werden muß, hat wenig Erfreuliches. Es handelt sich um das öffentliche Ge¬
heimniß der Vinckcschen Protestation gegen die in der Antwort des Königs aus¬
gesprochenen Ansichten über den Rechtsboden der neuen Verfassung, die - bis
jetzt von 150 Mitgliedern unterzeichnet — dem Landtagsmarschall übergeben, der
Versammluttg angetragen, und wenn sie hier, wie zu erwarten steht, die Majorität
nicht erlangt, als Spezial-Protest der Unterzeichner in das Landtagsprotokoll
niedergelegt werden soll.

Was. würde ein solcher Schritt für Folgen haben, wie die Sache gegen¬
wärtig steht? Die Schwäche der liberalen Partei vollends sichtbar machen und
das Einverständnis! mit der Krone, durch welches für jetzt allein etwas gewirkt
werden kann, auf eine um so bedenklichere Weise stören, da die vom Gouverne¬
ment unterstützte Partei dadurch ihre Stärke kennen lernt. Was wollen die pro-
tcstirenden Mitglieder thun, wenn sie in der Minorität bleiben? Jetzt auftre-
ten, nachdem sie sich ans Alles eingelassen haben? das wäre unter diesen Um¬
ständen eine reine Eapriee und hätte keinen andern Sinn, als — die liberale
Partei noch weiter zu schwächen. Nicht austreten? Dann ist der Protest kindisch.

Einzelne Führer von den Rheinländern sollen sich haben verleiten lassen,
diesem Protest beizutreten. Mögen sie nicht, durch einen falschen I>»int-iZ'lwn-
i,«;»,- verleitet, sich in eine Bahn begeben, die nicht die ihrige sein kann. Denn
was bleibt jetzt, nach Beendigung des prinzipiellen Rechtsstreits, den Ständen
übrig? Nach bestem Gewissen und nach bester Einsicht sich aus die Delutver-
handlung einlassen;' den Kampf um das Prinzip aber auf die nächste Versamm¬
lung vertagen, die schon eine bessere Borschule hat.

Unglaublich ist das Gerücht, das Gouvernement beabsichtige die prvtestiren-
den Mitglieder von dem Landtag auszuschließen. Ein solcher Schritt würde der
Sache eine neue Wendung geben, aber nur zum Nachtheil der konservativen Partei.


Renköln.
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[0225] die Wirksamkeit eines jeden Mißliebigen zu hemmen, denn wer steht so sicher, daß ihn nicht irgend eine Anklage treffen könnte. Die gegenwärtige Proposition der Regierung — das Urtheil über die Bcscholtcnheit einer Jury von Stan¬ desgenossen zu überlassen, erregte doch manche Bedenken. Es ist z. B. bekannt, daß bei dem Officierstande Begriffe über Ehre herrschen, die bei den übrigen Ständen keineswegs Beifall fanden. Man machte darauf aufmerksam, daß z. B. die Ausstoßung des Lieutenants Arrete aus dem Militairstand aus Gründen basirt habe, die manchen in der Versammlung stolz machen würden, neben einem solchen „Bescholtenen" zu sitzen. Man erinnerte an die Aufnahme O'Connel'S im engli¬ sche Parlament. Es war dies eine Frage, in der sich alle constitutionell Ge¬ sinnten von den verschiedensten Fraktionen begegnen mußten. Am entschiedensten sprachen sich im liberalen Sinne aus: der preußische Abgeordnete v. Bardeleben und der rheinische Abg. Hansemann. Uebrigens war auch bei dieser Debatte, wie bei so mancher andern, eine gewisse Unsicherheit in dem augenblicklichen Ent¬ schluß nicht zu verkennen. Was über die nicht officielle Thätigkeit der liberalen Opposition mitgetheilt werden muß, hat wenig Erfreuliches. Es handelt sich um das öffentliche Ge¬ heimniß der Vinckcschen Protestation gegen die in der Antwort des Königs aus¬ gesprochenen Ansichten über den Rechtsboden der neuen Verfassung, die - bis jetzt von 150 Mitgliedern unterzeichnet — dem Landtagsmarschall übergeben, der Versammluttg angetragen, und wenn sie hier, wie zu erwarten steht, die Majorität nicht erlangt, als Spezial-Protest der Unterzeichner in das Landtagsprotokoll niedergelegt werden soll. Was. würde ein solcher Schritt für Folgen haben, wie die Sache gegen¬ wärtig steht? Die Schwäche der liberalen Partei vollends sichtbar machen und das Einverständnis! mit der Krone, durch welches für jetzt allein etwas gewirkt werden kann, auf eine um so bedenklichere Weise stören, da die vom Gouverne¬ ment unterstützte Partei dadurch ihre Stärke kennen lernt. Was wollen die pro- tcstirenden Mitglieder thun, wenn sie in der Minorität bleiben? Jetzt auftre- ten, nachdem sie sich ans Alles eingelassen haben? das wäre unter diesen Um¬ ständen eine reine Eapriee und hätte keinen andern Sinn, als — die liberale Partei noch weiter zu schwächen. Nicht austreten? Dann ist der Protest kindisch. Einzelne Führer von den Rheinländern sollen sich haben verleiten lassen, diesem Protest beizutreten. Mögen sie nicht, durch einen falschen I>»int-iZ'lwn- i,«;»,- verleitet, sich in eine Bahn begeben, die nicht die ihrige sein kann. Denn was bleibt jetzt, nach Beendigung des prinzipiellen Rechtsstreits, den Ständen übrig? Nach bestem Gewissen und nach bester Einsicht sich aus die Delutver- handlung einlassen;' den Kampf um das Prinzip aber auf die nächste Versamm¬ lung vertagen, die schon eine bessere Borschule hat. Unglaublich ist das Gerücht, das Gouvernement beabsichtige die prvtestiren- den Mitglieder von dem Landtag auszuschließen. Ein solcher Schritt würde der Sache eine neue Wendung geben, aber nur zum Nachtheil der konservativen Partei. Renköln.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/225>, abgerufen am 03.07.2024.