Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

sah, so sehr zu Herzen ging. Sein Zustand war traurig, seiue Klagen und
Thränen zerrissen mir das Herz, getäuschte Liebe und gekränkter Stolz wühl¬
ten furchtbar in seiner starken und energischen Statur. Als es tagte, sagte
er zu mir mit verweinten Augen: "Ich fordere einen Beweis Ihrer Freund¬
schaft! Sie müssen noch einmal auf den Landsitz der Baronin hinaus gehen,
mit Marien sprechen, ihr sagen, wie unglücklich ich bin, und sehen, ob ich
wirklich nichts mehr zu hoffen habe. Sie wollen morgen nach Insbruck
reisen und anch ich will nach Italien. Gut, so treffen wir uns heut Nacht
11 Uhr im Wirthskeller von F. Er liegt an der Chaussee und ist anch in
der Nähe des Schlosses, wir können uns nicht verfehlen und so bringen
Sie mir entweder Trost und Beruhigung oder den Befehl zu langem Exil
und ruhelosen Wandern." -- Die Bitte Lionel's, nochmals für ihn bei
Marie zu sprechen, war eine fast kindische. Ich sah ein, daß hier jeder
Schritt fruchtlos war und doch konnte ich dein Unglücklichen nicht das ver¬
sagen, was jetzt seine letzte Hoffnung war. So stand ich denn, mit einer
Mission zartester Art beauftragt, am Abend desselben Tages und bei strö¬
menden Negen vor dem Schlosse das ich vor drei Tagen mit so übermüthi¬
gem Herzen verlassen. -- Lärm und Gelächter, Gespräch vieler Menschen
und Zuwerfen der Thüren scholl mir daraus entgegen. -- Es waren Gäste
angekommen. -- Mein unerwartetes Erscheinen erregte nicht geringe Ver¬
wunderung, ich erklärte es so gut ich konnre damit, daß ich mein neulicheö
eben so unerwartetes Verschwinden entschuldigen wolle und meine Rechtfer¬
tigung ward angenommen. Ich betrachtete Marie, die schöne Urheberin so
vielen Leides und glaubte auf ihrem Gesichte Kummer lesen zu müssen,--
aber sie war kalt und ruhig und coquett wie sonst. Ich brachte das Ge¬
spräch auf Lionel, mau ließ es fallen und wendete sich zu Unterhaltenderem.
Das Versprechen des Freundes brannte mir in der Seele. Ob ich auch
die Thorheit und Nutzlosigkeit jedes Schrittes einsah, ich konnte nicht wei¬
chen ehe ich mein Versprechen gelöst. Ich suchte Marie bei Seite zu fuh¬
ren -- sie ging nicht, Hofmeister und Gouvernante bewachten sie und mich;
der schöne Vollmond des neulichen Abends hatte sich in Wolken verborgen.
Ich versuchte Anspielungen -- sie glitten wie Regen auf einem Felsen ab. --
Die Stunden vergingen und die Stunde, wo ich im Wirthshaus von F.
meinen Freund treffen sollte, rückte heran. Was sollte ich ihm sagen? Ich
war erschöpft, unwillig, ich bereute hierher gekommen zu sein. Aber ein
guter Dämon fügt die Geschicke, wenn sie am unzuverlässigsten scheinen.
Mit einem Male, wie wir um den Theetisch sitzen, ruft die alte Baronin:
"Wissen Sie, wie wir noch ein Stündchen fröhlich verbringen? wir wollen


sah, so sehr zu Herzen ging. Sein Zustand war traurig, seiue Klagen und
Thränen zerrissen mir das Herz, getäuschte Liebe und gekränkter Stolz wühl¬
ten furchtbar in seiner starken und energischen Statur. Als es tagte, sagte
er zu mir mit verweinten Augen: „Ich fordere einen Beweis Ihrer Freund¬
schaft! Sie müssen noch einmal auf den Landsitz der Baronin hinaus gehen,
mit Marien sprechen, ihr sagen, wie unglücklich ich bin, und sehen, ob ich
wirklich nichts mehr zu hoffen habe. Sie wollen morgen nach Insbruck
reisen und anch ich will nach Italien. Gut, so treffen wir uns heut Nacht
11 Uhr im Wirthskeller von F. Er liegt an der Chaussee und ist anch in
der Nähe des Schlosses, wir können uns nicht verfehlen und so bringen
Sie mir entweder Trost und Beruhigung oder den Befehl zu langem Exil
und ruhelosen Wandern." — Die Bitte Lionel's, nochmals für ihn bei
Marie zu sprechen, war eine fast kindische. Ich sah ein, daß hier jeder
Schritt fruchtlos war und doch konnte ich dein Unglücklichen nicht das ver¬
sagen, was jetzt seine letzte Hoffnung war. So stand ich denn, mit einer
Mission zartester Art beauftragt, am Abend desselben Tages und bei strö¬
menden Negen vor dem Schlosse das ich vor drei Tagen mit so übermüthi¬
gem Herzen verlassen. — Lärm und Gelächter, Gespräch vieler Menschen
und Zuwerfen der Thüren scholl mir daraus entgegen. — Es waren Gäste
angekommen. — Mein unerwartetes Erscheinen erregte nicht geringe Ver¬
wunderung, ich erklärte es so gut ich konnre damit, daß ich mein neulicheö
eben so unerwartetes Verschwinden entschuldigen wolle und meine Rechtfer¬
tigung ward angenommen. Ich betrachtete Marie, die schöne Urheberin so
vielen Leides und glaubte auf ihrem Gesichte Kummer lesen zu müssen,—
aber sie war kalt und ruhig und coquett wie sonst. Ich brachte das Ge¬
spräch auf Lionel, mau ließ es fallen und wendete sich zu Unterhaltenderem.
Das Versprechen des Freundes brannte mir in der Seele. Ob ich auch
die Thorheit und Nutzlosigkeit jedes Schrittes einsah, ich konnte nicht wei¬
chen ehe ich mein Versprechen gelöst. Ich suchte Marie bei Seite zu fuh¬
ren — sie ging nicht, Hofmeister und Gouvernante bewachten sie und mich;
der schöne Vollmond des neulichen Abends hatte sich in Wolken verborgen.
Ich versuchte Anspielungen — sie glitten wie Regen auf einem Felsen ab. —
Die Stunden vergingen und die Stunde, wo ich im Wirthshaus von F.
meinen Freund treffen sollte, rückte heran. Was sollte ich ihm sagen? Ich
war erschöpft, unwillig, ich bereute hierher gekommen zu sein. Aber ein
guter Dämon fügt die Geschicke, wenn sie am unzuverlässigsten scheinen.
Mit einem Male, wie wir um den Theetisch sitzen, ruft die alte Baronin:
„Wissen Sie, wie wir noch ein Stündchen fröhlich verbringen? wir wollen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0211" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/272110"/>
            <p xml:id="ID_783" prev="#ID_782" next="#ID_784"> sah, so sehr zu Herzen ging. Sein Zustand war traurig, seiue Klagen und<lb/>
Thränen zerrissen mir das Herz, getäuschte Liebe und gekränkter Stolz wühl¬<lb/>
ten furchtbar in seiner starken und energischen Statur. Als es tagte, sagte<lb/>
er zu mir mit verweinten Augen: &#x201E;Ich fordere einen Beweis Ihrer Freund¬<lb/>
schaft! Sie müssen noch einmal auf den Landsitz der Baronin hinaus gehen,<lb/>
mit Marien sprechen, ihr sagen, wie unglücklich ich bin, und sehen, ob ich<lb/>
wirklich nichts mehr zu hoffen habe. Sie wollen morgen nach Insbruck<lb/>
reisen und anch ich will nach Italien. Gut, so treffen wir uns heut Nacht<lb/>
11 Uhr im Wirthskeller von F. Er liegt an der Chaussee und ist anch in<lb/>
der Nähe des Schlosses, wir können uns nicht verfehlen und so bringen<lb/>
Sie mir entweder Trost und Beruhigung oder den Befehl zu langem Exil<lb/>
und ruhelosen Wandern." &#x2014; Die Bitte Lionel's, nochmals für ihn bei<lb/>
Marie zu sprechen, war eine fast kindische. Ich sah ein, daß hier jeder<lb/>
Schritt fruchtlos war und doch konnte ich dein Unglücklichen nicht das ver¬<lb/>
sagen, was jetzt seine letzte Hoffnung war. So stand ich denn, mit einer<lb/>
Mission zartester Art beauftragt, am Abend desselben Tages und bei strö¬<lb/>
menden Negen vor dem Schlosse das ich vor drei Tagen mit so übermüthi¬<lb/>
gem Herzen verlassen. &#x2014; Lärm und Gelächter, Gespräch vieler Menschen<lb/>
und Zuwerfen der Thüren scholl mir daraus entgegen. &#x2014; Es waren Gäste<lb/>
angekommen. &#x2014; Mein unerwartetes Erscheinen erregte nicht geringe Ver¬<lb/>
wunderung, ich erklärte es so gut ich konnre damit, daß ich mein neulicheö<lb/>
eben so unerwartetes Verschwinden entschuldigen wolle und meine Rechtfer¬<lb/>
tigung ward angenommen. Ich betrachtete Marie, die schöne Urheberin so<lb/>
vielen Leides und glaubte auf ihrem Gesichte Kummer lesen zu müssen,&#x2014;<lb/>
aber sie war kalt und ruhig und coquett wie sonst. Ich brachte das Ge¬<lb/>
spräch auf Lionel, mau ließ es fallen und wendete sich zu Unterhaltenderem.<lb/>
Das Versprechen des Freundes brannte mir in der Seele. Ob ich auch<lb/>
die Thorheit und Nutzlosigkeit jedes Schrittes einsah, ich konnte nicht wei¬<lb/>
chen ehe ich mein Versprechen gelöst. Ich suchte Marie bei Seite zu fuh¬<lb/>
ren &#x2014; sie ging nicht, Hofmeister und Gouvernante bewachten sie und mich;<lb/>
der schöne Vollmond des neulichen Abends hatte sich in Wolken verborgen.<lb/>
Ich versuchte Anspielungen &#x2014; sie glitten wie Regen auf einem Felsen ab. &#x2014;<lb/>
Die Stunden vergingen und die Stunde, wo ich im Wirthshaus von F.<lb/>
meinen Freund treffen sollte, rückte heran. Was sollte ich ihm sagen? Ich<lb/>
war erschöpft, unwillig, ich bereute hierher gekommen zu sein. Aber ein<lb/>
guter Dämon fügt die Geschicke, wenn sie am unzuverlässigsten scheinen.<lb/>
Mit einem Male, wie wir um den Theetisch sitzen, ruft die alte Baronin:<lb/>
&#x201E;Wissen Sie, wie wir noch ein Stündchen fröhlich verbringen? wir wollen</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0211] sah, so sehr zu Herzen ging. Sein Zustand war traurig, seiue Klagen und Thränen zerrissen mir das Herz, getäuschte Liebe und gekränkter Stolz wühl¬ ten furchtbar in seiner starken und energischen Statur. Als es tagte, sagte er zu mir mit verweinten Augen: „Ich fordere einen Beweis Ihrer Freund¬ schaft! Sie müssen noch einmal auf den Landsitz der Baronin hinaus gehen, mit Marien sprechen, ihr sagen, wie unglücklich ich bin, und sehen, ob ich wirklich nichts mehr zu hoffen habe. Sie wollen morgen nach Insbruck reisen und anch ich will nach Italien. Gut, so treffen wir uns heut Nacht 11 Uhr im Wirthskeller von F. Er liegt an der Chaussee und ist anch in der Nähe des Schlosses, wir können uns nicht verfehlen und so bringen Sie mir entweder Trost und Beruhigung oder den Befehl zu langem Exil und ruhelosen Wandern." — Die Bitte Lionel's, nochmals für ihn bei Marie zu sprechen, war eine fast kindische. Ich sah ein, daß hier jeder Schritt fruchtlos war und doch konnte ich dein Unglücklichen nicht das ver¬ sagen, was jetzt seine letzte Hoffnung war. So stand ich denn, mit einer Mission zartester Art beauftragt, am Abend desselben Tages und bei strö¬ menden Negen vor dem Schlosse das ich vor drei Tagen mit so übermüthi¬ gem Herzen verlassen. — Lärm und Gelächter, Gespräch vieler Menschen und Zuwerfen der Thüren scholl mir daraus entgegen. — Es waren Gäste angekommen. — Mein unerwartetes Erscheinen erregte nicht geringe Ver¬ wunderung, ich erklärte es so gut ich konnre damit, daß ich mein neulicheö eben so unerwartetes Verschwinden entschuldigen wolle und meine Rechtfer¬ tigung ward angenommen. Ich betrachtete Marie, die schöne Urheberin so vielen Leides und glaubte auf ihrem Gesichte Kummer lesen zu müssen,— aber sie war kalt und ruhig und coquett wie sonst. Ich brachte das Ge¬ spräch auf Lionel, mau ließ es fallen und wendete sich zu Unterhaltenderem. Das Versprechen des Freundes brannte mir in der Seele. Ob ich auch die Thorheit und Nutzlosigkeit jedes Schrittes einsah, ich konnte nicht wei¬ chen ehe ich mein Versprechen gelöst. Ich suchte Marie bei Seite zu fuh¬ ren — sie ging nicht, Hofmeister und Gouvernante bewachten sie und mich; der schöne Vollmond des neulichen Abends hatte sich in Wolken verborgen. Ich versuchte Anspielungen — sie glitten wie Regen auf einem Felsen ab. — Die Stunden vergingen und die Stunde, wo ich im Wirthshaus von F. meinen Freund treffen sollte, rückte heran. Was sollte ich ihm sagen? Ich war erschöpft, unwillig, ich bereute hierher gekommen zu sein. Aber ein guter Dämon fügt die Geschicke, wenn sie am unzuverlässigsten scheinen. Mit einem Male, wie wir um den Theetisch sitzen, ruft die alte Baronin: „Wissen Sie, wie wir noch ein Stündchen fröhlich verbringen? wir wollen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/211
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/211>, abgerufen am 03.07.2024.