Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ist für sie selbst der traurige Umstand, daß sie durch diese Zwittererziehung
nicht Deutsche, aber auch nicht ganz Polen sind, was den verderblichsten Einfluß
auf den Charakter dieser Leute und so ans die Gesellschaft und den Staat aus¬
übt. Ein deutscher Vater soll auch seine Kinder deutsch erziehen und von der
polnischen Sprache können sie in der Folge immer so viel erlernen als sie brau¬
chen und Lust haben. Auch rächt sich diese Sünde am eignen Fleische, und verge¬
bens beweinen diese deutschen Eltern ihre Söhne, die entweder in der Ferne als
Verbannte leben oder in des Spiclbergs Mauern dahinwelken oder der Begeisterung
für Polens Freiheit als Opfer im Kampfe gefallen sind.

Eine andere Ursache dieser Erscheinung ist die an sich edle Theilnahme für das
tiefbedrückte Volk der Polen, welche Theilnahme, wenn nicht dnrch jene Erzie¬
hung bedingt, durch sie wenigstens befördert wird. Thöricht wäre es freilich zu
glauben, nnr unter den Slaven gebe es Unzufriedene, und die Deutschen der
Monarchie sehen mit stoischen Gleichmuth, ja mit naiver Freudigkeit dem Treiben
der Beamteuhcrrschaft z". Ja, ich behaupte, unsere hemmenden, alles eigenthüm¬
liche Leben zersetzenden Verwaltuugpriuzipi.er zählen nicht unter den vaterlandslie¬
benden Polen und übrigen Slaven, nicht uuter den feurigen Ungarn und Italie¬
nern, sondern unter den geduldigen Deutschen ihre edelsten, wenn auch vielleicht
nicht zahlreichsten Gegner, die es aber mit dem Herrscherhause ehrlicher meinen
als die Legionen der Theorie-Männer, die mit allem Geistesauswand den Staat
in diesen Zustand gebracht habe".

Bedurfte es nun der hier gebornen deutschen Sympathie für die Polensache einer
Rechtfertigung, so ist sie gegeben, insoweit sie in der tief empfundenen Gemein¬
samkeit der Mißbcständc ihren Urquell hat. Von dieser Gesinnung mögen vielleicht
Wenige beseelt gewesen sein, weil überhaupt nur Wenige eine Gesinnung haben,
und die Meisten folgten wohl dem Frciheitsruf ihrer vermeinten Landsleute in
instinctartigcr, blinder Erhitzung, und büßen nun in einer Sache, die in dieser
Form nicht die ihrige ist.


IV.
Aus Lemb"rg.

Zur Charakteristik des Grafen Franz Stadion. - Triester Studien. -- Frische Datteln,
eine Anekdote. -- Die Ueveriandspost. -- Die Regierung zwischen dem Adel und
dem Bauer.

Die Trennung Galiziens in zwei Gubernien ist endlich ausgesprochen und
der ältere Stadion, Gras Franz, bisher Gouverneur in Triest, ist zum Gou¬
verneur in Lemberg bestimmt, während Graf Deym provisorisch die Functionen
eines Gouverneurs in Krakau weiter versieht. Wenn der Zustand eines tief
zerrütteten Landes, dessen Organismus von jeher krankhaft, nun fieberhaft auf¬
geregt und mit einer vollständigen Zersetzung bedroht ist, durch einen Wechsel in
der Person des obersten Leiters geheilt werden könnte, so dürften wir uns Glück
wünschen z" der Wahl, die man in Wien getroffen hat. Beide Stations, der
jMgere wie der ältere, gehören zu den wenigen schöpferischen Administrations-


ist für sie selbst der traurige Umstand, daß sie durch diese Zwittererziehung
nicht Deutsche, aber auch nicht ganz Polen sind, was den verderblichsten Einfluß
auf den Charakter dieser Leute und so ans die Gesellschaft und den Staat aus¬
übt. Ein deutscher Vater soll auch seine Kinder deutsch erziehen und von der
polnischen Sprache können sie in der Folge immer so viel erlernen als sie brau¬
chen und Lust haben. Auch rächt sich diese Sünde am eignen Fleische, und verge¬
bens beweinen diese deutschen Eltern ihre Söhne, die entweder in der Ferne als
Verbannte leben oder in des Spiclbergs Mauern dahinwelken oder der Begeisterung
für Polens Freiheit als Opfer im Kampfe gefallen sind.

Eine andere Ursache dieser Erscheinung ist die an sich edle Theilnahme für das
tiefbedrückte Volk der Polen, welche Theilnahme, wenn nicht dnrch jene Erzie¬
hung bedingt, durch sie wenigstens befördert wird. Thöricht wäre es freilich zu
glauben, nnr unter den Slaven gebe es Unzufriedene, und die Deutschen der
Monarchie sehen mit stoischen Gleichmuth, ja mit naiver Freudigkeit dem Treiben
der Beamteuhcrrschaft z». Ja, ich behaupte, unsere hemmenden, alles eigenthüm¬
liche Leben zersetzenden Verwaltuugpriuzipi.er zählen nicht unter den vaterlandslie¬
benden Polen und übrigen Slaven, nicht uuter den feurigen Ungarn und Italie¬
nern, sondern unter den geduldigen Deutschen ihre edelsten, wenn auch vielleicht
nicht zahlreichsten Gegner, die es aber mit dem Herrscherhause ehrlicher meinen
als die Legionen der Theorie-Männer, die mit allem Geistesauswand den Staat
in diesen Zustand gebracht habe«.

Bedurfte es nun der hier gebornen deutschen Sympathie für die Polensache einer
Rechtfertigung, so ist sie gegeben, insoweit sie in der tief empfundenen Gemein¬
samkeit der Mißbcständc ihren Urquell hat. Von dieser Gesinnung mögen vielleicht
Wenige beseelt gewesen sein, weil überhaupt nur Wenige eine Gesinnung haben,
und die Meisten folgten wohl dem Frciheitsruf ihrer vermeinten Landsleute in
instinctartigcr, blinder Erhitzung, und büßen nun in einer Sache, die in dieser
Form nicht die ihrige ist.


IV.
Aus Lemb«rg.

Zur Charakteristik des Grafen Franz Stadion. - Triester Studien. — Frische Datteln,
eine Anekdote. — Die Ueveriandspost. — Die Regierung zwischen dem Adel und
dem Bauer.

Die Trennung Galiziens in zwei Gubernien ist endlich ausgesprochen und
der ältere Stadion, Gras Franz, bisher Gouverneur in Triest, ist zum Gou¬
verneur in Lemberg bestimmt, während Graf Deym provisorisch die Functionen
eines Gouverneurs in Krakau weiter versieht. Wenn der Zustand eines tief
zerrütteten Landes, dessen Organismus von jeher krankhaft, nun fieberhaft auf¬
geregt und mit einer vollständigen Zersetzung bedroht ist, durch einen Wechsel in
der Person des obersten Leiters geheilt werden könnte, so dürften wir uns Glück
wünschen z» der Wahl, die man in Wien getroffen hat. Beide Stations, der
jMgere wie der ältere, gehören zu den wenigen schöpferischen Administrations-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0182" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/272081"/>
            <p xml:id="ID_695" prev="#ID_694"> ist für sie selbst der traurige Umstand, daß sie durch diese Zwittererziehung<lb/>
nicht Deutsche, aber auch nicht ganz Polen sind, was den verderblichsten Einfluß<lb/>
auf den Charakter dieser Leute und so ans die Gesellschaft und den Staat aus¬<lb/>
übt. Ein deutscher Vater soll auch seine Kinder deutsch erziehen und von der<lb/>
polnischen Sprache können sie in der Folge immer so viel erlernen als sie brau¬<lb/>
chen und Lust haben. Auch rächt sich diese Sünde am eignen Fleische, und verge¬<lb/>
bens beweinen diese deutschen Eltern ihre Söhne, die entweder in der Ferne als<lb/>
Verbannte leben oder in des Spiclbergs Mauern dahinwelken oder der Begeisterung<lb/>
für Polens Freiheit als Opfer im Kampfe gefallen sind.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_696"> Eine andere Ursache dieser Erscheinung ist die an sich edle Theilnahme für das<lb/>
tiefbedrückte Volk der Polen, welche Theilnahme, wenn nicht dnrch jene Erzie¬<lb/>
hung bedingt, durch sie wenigstens befördert wird. Thöricht wäre es freilich zu<lb/>
glauben, nnr unter den Slaven gebe es Unzufriedene, und die Deutschen der<lb/>
Monarchie sehen mit stoischen Gleichmuth, ja mit naiver Freudigkeit dem Treiben<lb/>
der Beamteuhcrrschaft z». Ja, ich behaupte, unsere hemmenden, alles eigenthüm¬<lb/>
liche Leben zersetzenden Verwaltuugpriuzipi.er zählen nicht unter den vaterlandslie¬<lb/>
benden Polen und übrigen Slaven, nicht uuter den feurigen Ungarn und Italie¬<lb/>
nern, sondern unter den geduldigen Deutschen ihre edelsten, wenn auch vielleicht<lb/>
nicht zahlreichsten Gegner, die es aber mit dem Herrscherhause ehrlicher meinen<lb/>
als die Legionen der Theorie-Männer, die mit allem Geistesauswand den Staat<lb/>
in diesen Zustand gebracht habe«.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_697"> Bedurfte es nun der hier gebornen deutschen Sympathie für die Polensache einer<lb/>
Rechtfertigung, so ist sie gegeben, insoweit sie in der tief empfundenen Gemein¬<lb/>
samkeit der Mißbcständc ihren Urquell hat. Von dieser Gesinnung mögen vielleicht<lb/>
Wenige beseelt gewesen sein, weil überhaupt nur Wenige eine Gesinnung haben,<lb/>
und die Meisten folgten wohl dem Frciheitsruf ihrer vermeinten Landsleute in<lb/>
instinctartigcr, blinder Erhitzung, und büßen nun in einer Sache, die in dieser<lb/>
Form nicht die ihrige ist.</p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> IV.<lb/>
Aus Lemb«rg.</head><lb/>
            <note type="argument"> Zur Charakteristik des Grafen Franz Stadion. - Triester Studien. &#x2014; Frische Datteln,<lb/>
eine Anekdote. &#x2014; Die Ueveriandspost. &#x2014; Die Regierung zwischen dem Adel und<lb/>
dem Bauer.</note><lb/>
            <p xml:id="ID_698" next="#ID_699"> Die Trennung Galiziens in zwei Gubernien ist endlich ausgesprochen und<lb/>
der ältere Stadion, Gras Franz, bisher Gouverneur in Triest, ist zum Gou¬<lb/>
verneur in Lemberg bestimmt, während Graf Deym provisorisch die Functionen<lb/>
eines Gouverneurs in Krakau weiter versieht. Wenn der Zustand eines tief<lb/>
zerrütteten Landes, dessen Organismus von jeher krankhaft, nun fieberhaft auf¬<lb/>
geregt und mit einer vollständigen Zersetzung bedroht ist, durch einen Wechsel in<lb/>
der Person des obersten Leiters geheilt werden könnte, so dürften wir uns Glück<lb/>
wünschen z» der Wahl, die man in Wien getroffen hat. Beide Stations, der<lb/>
jMgere wie der ältere, gehören zu den wenigen schöpferischen Administrations-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0182] ist für sie selbst der traurige Umstand, daß sie durch diese Zwittererziehung nicht Deutsche, aber auch nicht ganz Polen sind, was den verderblichsten Einfluß auf den Charakter dieser Leute und so ans die Gesellschaft und den Staat aus¬ übt. Ein deutscher Vater soll auch seine Kinder deutsch erziehen und von der polnischen Sprache können sie in der Folge immer so viel erlernen als sie brau¬ chen und Lust haben. Auch rächt sich diese Sünde am eignen Fleische, und verge¬ bens beweinen diese deutschen Eltern ihre Söhne, die entweder in der Ferne als Verbannte leben oder in des Spiclbergs Mauern dahinwelken oder der Begeisterung für Polens Freiheit als Opfer im Kampfe gefallen sind. Eine andere Ursache dieser Erscheinung ist die an sich edle Theilnahme für das tiefbedrückte Volk der Polen, welche Theilnahme, wenn nicht dnrch jene Erzie¬ hung bedingt, durch sie wenigstens befördert wird. Thöricht wäre es freilich zu glauben, nnr unter den Slaven gebe es Unzufriedene, und die Deutschen der Monarchie sehen mit stoischen Gleichmuth, ja mit naiver Freudigkeit dem Treiben der Beamteuhcrrschaft z». Ja, ich behaupte, unsere hemmenden, alles eigenthüm¬ liche Leben zersetzenden Verwaltuugpriuzipi.er zählen nicht unter den vaterlandslie¬ benden Polen und übrigen Slaven, nicht uuter den feurigen Ungarn und Italie¬ nern, sondern unter den geduldigen Deutschen ihre edelsten, wenn auch vielleicht nicht zahlreichsten Gegner, die es aber mit dem Herrscherhause ehrlicher meinen als die Legionen der Theorie-Männer, die mit allem Geistesauswand den Staat in diesen Zustand gebracht habe«. Bedurfte es nun der hier gebornen deutschen Sympathie für die Polensache einer Rechtfertigung, so ist sie gegeben, insoweit sie in der tief empfundenen Gemein¬ samkeit der Mißbcständc ihren Urquell hat. Von dieser Gesinnung mögen vielleicht Wenige beseelt gewesen sein, weil überhaupt nur Wenige eine Gesinnung haben, und die Meisten folgten wohl dem Frciheitsruf ihrer vermeinten Landsleute in instinctartigcr, blinder Erhitzung, und büßen nun in einer Sache, die in dieser Form nicht die ihrige ist. IV. Aus Lemb«rg. Zur Charakteristik des Grafen Franz Stadion. - Triester Studien. — Frische Datteln, eine Anekdote. — Die Ueveriandspost. — Die Regierung zwischen dem Adel und dem Bauer. Die Trennung Galiziens in zwei Gubernien ist endlich ausgesprochen und der ältere Stadion, Gras Franz, bisher Gouverneur in Triest, ist zum Gou¬ verneur in Lemberg bestimmt, während Graf Deym provisorisch die Functionen eines Gouverneurs in Krakau weiter versieht. Wenn der Zustand eines tief zerrütteten Landes, dessen Organismus von jeher krankhaft, nun fieberhaft auf¬ geregt und mit einer vollständigen Zersetzung bedroht ist, durch einen Wechsel in der Person des obersten Leiters geheilt werden könnte, so dürften wir uns Glück wünschen z» der Wahl, die man in Wien getroffen hat. Beide Stations, der jMgere wie der ältere, gehören zu den wenigen schöpferischen Administrations-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/182
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/182>, abgerufen am 01.07.2024.