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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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diesen Kampf in seinen verschiedenen Phasen eben sowohl, wie die unver¬
meidliche Frage, die sich daran knüpft, mit Interesse verfolgen, werden es uns
Dank wissen, wenn wir hier einige Bemerkungen aus einem in der Achtung
der liberalen Katholiken hoch stehendem Blatte anführen.

"Wir können nicht den verehrten Namen Pius IX. aussprechen," sagt
der Korrespondent, "ohne die Aufmerksamkeit unserer Leser auf einige Augen¬
blicke für die schwierige Stellung in Anspruch zu nehmen, mit der das Genie
dieses Kirchelwberhauptes gegenwärtig zu kämpfen hat. Diese Periode der
Geschichte, welche eine der folgereichsten zu werden verspricht, war seit lange
vorhergesehen worden. Die Ungeduld der menschlichen Wünsche ist immer
außerordentlich, und die Einbildungskraft, welche die unvermeidlichen Hin¬
dernisse nicht in Anschlag bringt, trägt noch dazu bei, den Gegensatz dersel¬
ben zu dem Bestehenden augenfälliger zu machen. Der Widerstand ist, wenn
auch heimlich und verschleiert, doch überall gegen Pius IX. organisirt; er hat
Alles, was traurig und böse, sowohl in der Beschaffenheit des menschlichen
Herzens, als auch in deu vou dem Schicksale des Menschen unzertrennlichen
Uebelständen ist, zum Gegner. Die mönchischen Mißbräuche erheben sich
gegen ihn, wie gegen alle großen Männer, welche das religiöse Leben zu
seiner ursprünglichen Reinheit zurückführen wollten. Die erblichen Gehässig¬
keiten in dem Vaterlande der Weisen und Ghibellinen empören sich gegen
die Macht, welche sie versöhnen will. Nachdem das Uebergewicht der lie¬
benswürdigsten Tugend, die unsere Zeit hervorgebracht hat, alle bessern Sym-
pathieen, die es in dem Herzen der Italiener gab, sich errungen, blieb in
dem tiefsten Grunde der Gesellschaft eine hartnäckige, wenn auch nicht sehr
dichte Hefe zurück, welche gerne in die Höhe gelangen und verderblich wirken
möchte. Endlich treibt auch die Theuerung der Lebensmittel die rohen Massen
zu Gewaltthätigkeiten, deren Erfolg überall sehr beklagenswerth ist. Oesterreich,
eifersüchtig ans die Aufrechterhaltung seines Einflusses, beobachtet diese Elemente
der Auslösung sehr scharf und schützt sich gegen sie. Nach den Aussagen von
Augenzeugen tragen die Züge Pius IX., die noch vor Kurzem so freude¬
strahlend waren, jetzt den Ausdruck einer majestätischen Trauer. Aber mensch¬
licher Tröstungen bedarf dieser Fürst, den Gott leitet, nicht.

Wir kennen die vorhergegangene und geheime Geschichte jenes Decretes
nicht, welches die Censur in dem Kirchenstaate so eben auf neue Grundlagen
gestellt hat. Man hat behauptet, daß der österreichische Gesandte sich bitter
über die Freiheit beklagt habe, deren die Journale in dem Kirchenstaate
jetzt genießen. Man behauptet auch, daß Pius IX. bei dieser Gelegenheit


diesen Kampf in seinen verschiedenen Phasen eben sowohl, wie die unver¬
meidliche Frage, die sich daran knüpft, mit Interesse verfolgen, werden es uns
Dank wissen, wenn wir hier einige Bemerkungen aus einem in der Achtung
der liberalen Katholiken hoch stehendem Blatte anführen.

„Wir können nicht den verehrten Namen Pius IX. aussprechen," sagt
der Korrespondent, „ohne die Aufmerksamkeit unserer Leser auf einige Augen¬
blicke für die schwierige Stellung in Anspruch zu nehmen, mit der das Genie
dieses Kirchelwberhauptes gegenwärtig zu kämpfen hat. Diese Periode der
Geschichte, welche eine der folgereichsten zu werden verspricht, war seit lange
vorhergesehen worden. Die Ungeduld der menschlichen Wünsche ist immer
außerordentlich, und die Einbildungskraft, welche die unvermeidlichen Hin¬
dernisse nicht in Anschlag bringt, trägt noch dazu bei, den Gegensatz dersel¬
ben zu dem Bestehenden augenfälliger zu machen. Der Widerstand ist, wenn
auch heimlich und verschleiert, doch überall gegen Pius IX. organisirt; er hat
Alles, was traurig und böse, sowohl in der Beschaffenheit des menschlichen
Herzens, als auch in deu vou dem Schicksale des Menschen unzertrennlichen
Uebelständen ist, zum Gegner. Die mönchischen Mißbräuche erheben sich
gegen ihn, wie gegen alle großen Männer, welche das religiöse Leben zu
seiner ursprünglichen Reinheit zurückführen wollten. Die erblichen Gehässig¬
keiten in dem Vaterlande der Weisen und Ghibellinen empören sich gegen
die Macht, welche sie versöhnen will. Nachdem das Uebergewicht der lie¬
benswürdigsten Tugend, die unsere Zeit hervorgebracht hat, alle bessern Sym-
pathieen, die es in dem Herzen der Italiener gab, sich errungen, blieb in
dem tiefsten Grunde der Gesellschaft eine hartnäckige, wenn auch nicht sehr
dichte Hefe zurück, welche gerne in die Höhe gelangen und verderblich wirken
möchte. Endlich treibt auch die Theuerung der Lebensmittel die rohen Massen
zu Gewaltthätigkeiten, deren Erfolg überall sehr beklagenswerth ist. Oesterreich,
eifersüchtig ans die Aufrechterhaltung seines Einflusses, beobachtet diese Elemente
der Auslösung sehr scharf und schützt sich gegen sie. Nach den Aussagen von
Augenzeugen tragen die Züge Pius IX., die noch vor Kurzem so freude¬
strahlend waren, jetzt den Ausdruck einer majestätischen Trauer. Aber mensch¬
licher Tröstungen bedarf dieser Fürst, den Gott leitet, nicht.

Wir kennen die vorhergegangene und geheime Geschichte jenes Decretes
nicht, welches die Censur in dem Kirchenstaate so eben auf neue Grundlagen
gestellt hat. Man hat behauptet, daß der österreichische Gesandte sich bitter
über die Freiheit beklagt habe, deren die Journale in dem Kirchenstaate
jetzt genießen. Man behauptet auch, daß Pius IX. bei dieser Gelegenheit


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[0168] diesen Kampf in seinen verschiedenen Phasen eben sowohl, wie die unver¬ meidliche Frage, die sich daran knüpft, mit Interesse verfolgen, werden es uns Dank wissen, wenn wir hier einige Bemerkungen aus einem in der Achtung der liberalen Katholiken hoch stehendem Blatte anführen. „Wir können nicht den verehrten Namen Pius IX. aussprechen," sagt der Korrespondent, „ohne die Aufmerksamkeit unserer Leser auf einige Augen¬ blicke für die schwierige Stellung in Anspruch zu nehmen, mit der das Genie dieses Kirchelwberhauptes gegenwärtig zu kämpfen hat. Diese Periode der Geschichte, welche eine der folgereichsten zu werden verspricht, war seit lange vorhergesehen worden. Die Ungeduld der menschlichen Wünsche ist immer außerordentlich, und die Einbildungskraft, welche die unvermeidlichen Hin¬ dernisse nicht in Anschlag bringt, trägt noch dazu bei, den Gegensatz dersel¬ ben zu dem Bestehenden augenfälliger zu machen. Der Widerstand ist, wenn auch heimlich und verschleiert, doch überall gegen Pius IX. organisirt; er hat Alles, was traurig und böse, sowohl in der Beschaffenheit des menschlichen Herzens, als auch in deu vou dem Schicksale des Menschen unzertrennlichen Uebelständen ist, zum Gegner. Die mönchischen Mißbräuche erheben sich gegen ihn, wie gegen alle großen Männer, welche das religiöse Leben zu seiner ursprünglichen Reinheit zurückführen wollten. Die erblichen Gehässig¬ keiten in dem Vaterlande der Weisen und Ghibellinen empören sich gegen die Macht, welche sie versöhnen will. Nachdem das Uebergewicht der lie¬ benswürdigsten Tugend, die unsere Zeit hervorgebracht hat, alle bessern Sym- pathieen, die es in dem Herzen der Italiener gab, sich errungen, blieb in dem tiefsten Grunde der Gesellschaft eine hartnäckige, wenn auch nicht sehr dichte Hefe zurück, welche gerne in die Höhe gelangen und verderblich wirken möchte. Endlich treibt auch die Theuerung der Lebensmittel die rohen Massen zu Gewaltthätigkeiten, deren Erfolg überall sehr beklagenswerth ist. Oesterreich, eifersüchtig ans die Aufrechterhaltung seines Einflusses, beobachtet diese Elemente der Auslösung sehr scharf und schützt sich gegen sie. Nach den Aussagen von Augenzeugen tragen die Züge Pius IX., die noch vor Kurzem so freude¬ strahlend waren, jetzt den Ausdruck einer majestätischen Trauer. Aber mensch¬ licher Tröstungen bedarf dieser Fürst, den Gott leitet, nicht. Wir kennen die vorhergegangene und geheime Geschichte jenes Decretes nicht, welches die Censur in dem Kirchenstaate so eben auf neue Grundlagen gestellt hat. Man hat behauptet, daß der österreichische Gesandte sich bitter über die Freiheit beklagt habe, deren die Journale in dem Kirchenstaate jetzt genießen. Man behauptet auch, daß Pius IX. bei dieser Gelegenheit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/168>, abgerufen am 22.07.2024.