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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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gen gewisse alte Traditionen ankämpft und das Weck derselben auflöst. Ja
noch mehr, und das ist gerade der Hauptpunkt, das Zeichen, an welchem
man überall das Eindringen dieses neuen Geistes erkennt: das Laien-Ele¬
ment ist zum ersten Male als ein besonderer Bestandtheil in der Adami
strativverfassnng des Kirchenstaates anerkannt worden. Man wird leicht
einsehen, daß in einem Lande, in welchem die Souveränität und alle öffent¬
lichen Aemter in der Hand des Klerus sind, das Laien-Element viel später,
ja zu allerletzt zur Geltung gelangen müsse. "Warum," sagte Pius IX. selbst im
Augenblicke, wo er den päpstlichen Stuhl bestieg, "sollen die Güter, die man
verlangt, nicht eben so gut von geistlichen als von weltlichen Händen ge¬
währt werdeu können?" So sehen wir denn auch heut zu Tage, Dank
sei es den Admiuistrativ - Reformen der römischen Regierung, Dank sei es
diesem neuen Censuredikt, welches Laien Eintritt in jene Censurcommissioncn
gestattet, die bisher als ein dem Clerus und den Mönchen allein vorbehal-
teues Gebiet betrachtet wurden, jene anerkannte Wahrheit, daß der Grund¬
satz : der Staat ist weltlich, insoweit dies nur immer in dem Kirchenstaate
und von dem Oberhaupte der katholischen Kirche geschehen kann, zur Geltung
gebracht werden. -- Diese Neuerung ist viel gewagter als sie aussieht und
die entfernteren Folgen derselben werden noch einige Zeit lang unbemerkt
oder wenigstens unbestimmt bleiben.

Die zeitliche Gewalt der Päpste außerhalb ihres Gebietes war schon
seit Jahrhunderten zu Grnnde gegangen, und war es beinahe, ohne daß man
es in Rom bemerkte. Hat man nicht noch in unseren Tagen gesehen, wie
Gioberti und De Maistre vou der Wiederherstellung derselben träumten und
sie vorschlugen? Sie sahen keine Hindernisse als die vou Seite" der anderen
souveraine, und hofften dieselben zu überwinden. Das Prinzip der Freiheit hat
jedoch alle Welt zur Besinnung gebracht. Eine andere wichtige Frage bringt
die Katholiken, wie vormals, noch heut zu Tage in Verlegenheit. Wenn
das constitutionelle oder repräsentative Prinzip in Europa und in den christ¬
lichen Republiken zur Geltung gelangt, wie wird es sich mit der absoluten
Souverainität des Papstes in seinen Staaten vereinigen lassen?

Die letzte Nummer der hier erscheinenden katholisch-liberalen Revue
O'ri'ksnomliuil" enthält in ihrer politischen Uebersicht eine ungemein interessante
Beurtheilung der Vorgänge im Kirchenstaate bei Gelegenheit des CensuredicteS,
deren vorzüglichstes Verdienst es ist, nichts über die Art der Opposition zu
verhehlen, ans welche Pius IX. stößt, und eben so wenig die kritische sowohl
äußere wie innere Lage seiner Negierung zu bemänteln. Jene Leser, welche


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gen gewisse alte Traditionen ankämpft und das Weck derselben auflöst. Ja
noch mehr, und das ist gerade der Hauptpunkt, das Zeichen, an welchem
man überall das Eindringen dieses neuen Geistes erkennt: das Laien-Ele¬
ment ist zum ersten Male als ein besonderer Bestandtheil in der Adami
strativverfassnng des Kirchenstaates anerkannt worden. Man wird leicht
einsehen, daß in einem Lande, in welchem die Souveränität und alle öffent¬
lichen Aemter in der Hand des Klerus sind, das Laien-Element viel später,
ja zu allerletzt zur Geltung gelangen müsse. „Warum," sagte Pius IX. selbst im
Augenblicke, wo er den päpstlichen Stuhl bestieg, „sollen die Güter, die man
verlangt, nicht eben so gut von geistlichen als von weltlichen Händen ge¬
währt werdeu können?" So sehen wir denn auch heut zu Tage, Dank
sei es den Admiuistrativ - Reformen der römischen Regierung, Dank sei es
diesem neuen Censuredikt, welches Laien Eintritt in jene Censurcommissioncn
gestattet, die bisher als ein dem Clerus und den Mönchen allein vorbehal-
teues Gebiet betrachtet wurden, jene anerkannte Wahrheit, daß der Grund¬
satz : der Staat ist weltlich, insoweit dies nur immer in dem Kirchenstaate
und von dem Oberhaupte der katholischen Kirche geschehen kann, zur Geltung
gebracht werden. — Diese Neuerung ist viel gewagter als sie aussieht und
die entfernteren Folgen derselben werden noch einige Zeit lang unbemerkt
oder wenigstens unbestimmt bleiben.

Die zeitliche Gewalt der Päpste außerhalb ihres Gebietes war schon
seit Jahrhunderten zu Grnnde gegangen, und war es beinahe, ohne daß man
es in Rom bemerkte. Hat man nicht noch in unseren Tagen gesehen, wie
Gioberti und De Maistre vou der Wiederherstellung derselben träumten und
sie vorschlugen? Sie sahen keine Hindernisse als die vou Seite» der anderen
souveraine, und hofften dieselben zu überwinden. Das Prinzip der Freiheit hat
jedoch alle Welt zur Besinnung gebracht. Eine andere wichtige Frage bringt
die Katholiken, wie vormals, noch heut zu Tage in Verlegenheit. Wenn
das constitutionelle oder repräsentative Prinzip in Europa und in den christ¬
lichen Republiken zur Geltung gelangt, wie wird es sich mit der absoluten
Souverainität des Papstes in seinen Staaten vereinigen lassen?

Die letzte Nummer der hier erscheinenden katholisch-liberalen Revue
O'ri'ksnomliuil" enthält in ihrer politischen Uebersicht eine ungemein interessante
Beurtheilung der Vorgänge im Kirchenstaate bei Gelegenheit des CensuredicteS,
deren vorzüglichstes Verdienst es ist, nichts über die Art der Opposition zu
verhehlen, ans welche Pius IX. stößt, und eben so wenig die kritische sowohl
äußere wie innere Lage seiner Negierung zu bemänteln. Jene Leser, welche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/167>, abgerufen am 22.07.2024.