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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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commentirt worden war; daß er nach den Erklärungen Beckeraths, Camphausens
und Mcvissen's (alle drei vom Rhein) ein ganz anderes Ansehn genommen hatte.

Die liberale Partei konnte keinen andern Entschluß fassen, als sich dem
Adreßentn'nrf anzuschließen. Blieb sie in der Majorität, so hatte sie das Recht
gewahrt und konnte dann den weitern Begebenheiten ruhig entgegensehen. Wurde
sie überstimmt, so blieb ihr das Recht, durch eine Resignation ihrer Stellung eine
Appellation an das Volk einzulegen.

In beiden Fällen wäre man um einen wichtigen Schritt weiter gekommen.--

Die Sitzung vom 16. April wurde eröffnet. Vincke versuchte noch einmal
umsonst, sich Gehör zu verschaffen. Daraus trat der Abgeordnete Milde aus
Breslau (Kaufmann), Mitglied des Comitv, zur Vertheidigung des Adrcßent-
Wurfs auf.

Graf Renard (Schlcssischcr Standesherr) der ihm folgt, will vor Allem
Einheit.

"Der königliche Erlaß ist gegeben, er ist eine historische Thatsache; keiner
menschlichen Macht ist es möglich, ihn aus den Annalen der Geschichte zu streichen.
Stehen bleiben kann Nichts in der Welt, das ist naturwidrig. Alles Bestehende
strebt nach Rundung, nach Ergänzung, nach Vollendung. Was der Natur ge¬
mäß ist, das wird kommen, das muß kommen zur rechten Zeit. . ." - - Indeß,
um der Einigkeit willen schließt er sich dem Arnnuscheu Amendement an.

In demselben Sinne spricht sich der Fürst zu Wied, die Abgeordneten
von Diettrich, Conze, Naumann aus. Letzterer trägt eine Art Widerlegung der Si-
monischcn Ansicht vor, und erklärt, es könnten zwar manche Wünsche zu begrün¬
den sein, aber keine Rechte.

Die Versammlung sängt an zu ermatten.

Aber das Interesse wurde sofort wieder angespannt durch den neuen Redner,
der nnn das Wort nahm, den Abgeordneten Hanse manu (vom Rhein). Er
dankte zuerst dem Minister, daß er die Mit-Verantwortlichkeit für die Verordnun¬
gen vom !!. Februar übernommen habe, und wies dann auf den prinzipiellen
Unterschied hin, der zwischen dem Adreßentwurf und dem Amendement stattfinde.
Der erste setzt sich klar und bestimmt auf den vorhandenen Rechtsboden und sagt,
wir haben Rechte; das Amendement setzt dieses noch in Zweifel. Der Adrefi-
entwnrf stellt sich bestimmt anf den Grund der frühern Gesetze; er erklärt, wir
sind die reichsständische Versammlung, und als solche gehen die frühern Rechte
auf uns über. (Beifall.) Das ist der große Unterschied, und wenn es zur Ab¬
stimmung kommt, so prüfen Sie wohl Ihr Gewissen. Es handelt sich um einen
wichtigen Moment, es handelt sich darüber, ob das lebendige Gefühl
des Rechts in Ihnen lebt, oder ob Sie nur vou Vertrauen, von
Gnade leben wollen. (Große Bewegung.) Ich liebe und achte meinen
König, aber als freier Mann gestehe ich; Recht, das ist der Boden der Vater¬
landsliebe. . . .

Was ist einer der großen Fehler unserer bisherigen Gesetzgebung über Rechte
der Stände? Es ist die Ungewißheit, die Unklarheit, es ist der Umstand, daß
man ändern kann nach Grund der Zweckmäßigkeit selbst, schnell ändern kann.
Indem wir uns um erklären: Wir sind die reichsständische Versammlung, wie


commentirt worden war; daß er nach den Erklärungen Beckeraths, Camphausens
und Mcvissen's (alle drei vom Rhein) ein ganz anderes Ansehn genommen hatte.

Die liberale Partei konnte keinen andern Entschluß fassen, als sich dem
Adreßentn'nrf anzuschließen. Blieb sie in der Majorität, so hatte sie das Recht
gewahrt und konnte dann den weitern Begebenheiten ruhig entgegensehen. Wurde
sie überstimmt, so blieb ihr das Recht, durch eine Resignation ihrer Stellung eine
Appellation an das Volk einzulegen.

In beiden Fällen wäre man um einen wichtigen Schritt weiter gekommen.—

Die Sitzung vom 16. April wurde eröffnet. Vincke versuchte noch einmal
umsonst, sich Gehör zu verschaffen. Daraus trat der Abgeordnete Milde aus
Breslau (Kaufmann), Mitglied des Comitv, zur Vertheidigung des Adrcßent-
Wurfs auf.

Graf Renard (Schlcssischcr Standesherr) der ihm folgt, will vor Allem
Einheit.

„Der königliche Erlaß ist gegeben, er ist eine historische Thatsache; keiner
menschlichen Macht ist es möglich, ihn aus den Annalen der Geschichte zu streichen.
Stehen bleiben kann Nichts in der Welt, das ist naturwidrig. Alles Bestehende
strebt nach Rundung, nach Ergänzung, nach Vollendung. Was der Natur ge¬
mäß ist, das wird kommen, das muß kommen zur rechten Zeit. . ." - - Indeß,
um der Einigkeit willen schließt er sich dem Arnnuscheu Amendement an.

In demselben Sinne spricht sich der Fürst zu Wied, die Abgeordneten
von Diettrich, Conze, Naumann aus. Letzterer trägt eine Art Widerlegung der Si-
monischcn Ansicht vor, und erklärt, es könnten zwar manche Wünsche zu begrün¬
den sein, aber keine Rechte.

Die Versammlung sängt an zu ermatten.

Aber das Interesse wurde sofort wieder angespannt durch den neuen Redner,
der nnn das Wort nahm, den Abgeordneten Hanse manu (vom Rhein). Er
dankte zuerst dem Minister, daß er die Mit-Verantwortlichkeit für die Verordnun¬
gen vom !!. Februar übernommen habe, und wies dann auf den prinzipiellen
Unterschied hin, der zwischen dem Adreßentwurf und dem Amendement stattfinde.
Der erste setzt sich klar und bestimmt auf den vorhandenen Rechtsboden und sagt,
wir haben Rechte; das Amendement setzt dieses noch in Zweifel. Der Adrefi-
entwnrf stellt sich bestimmt anf den Grund der frühern Gesetze; er erklärt, wir
sind die reichsständische Versammlung, und als solche gehen die frühern Rechte
auf uns über. (Beifall.) Das ist der große Unterschied, und wenn es zur Ab¬
stimmung kommt, so prüfen Sie wohl Ihr Gewissen. Es handelt sich um einen
wichtigen Moment, es handelt sich darüber, ob das lebendige Gefühl
des Rechts in Ihnen lebt, oder ob Sie nur vou Vertrauen, von
Gnade leben wollen. (Große Bewegung.) Ich liebe und achte meinen
König, aber als freier Mann gestehe ich; Recht, das ist der Boden der Vater¬
landsliebe. . . .

Was ist einer der großen Fehler unserer bisherigen Gesetzgebung über Rechte
der Stände? Es ist die Ungewißheit, die Unklarheit, es ist der Umstand, daß
man ändern kann nach Grund der Zweckmäßigkeit selbst, schnell ändern kann.
Indem wir uns um erklären: Wir sind die reichsständische Versammlung, wie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/153>, abgerufen am 22.07.2024.