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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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bestrebt ist, wie wenig andere freisinnige Blätter, Allem, was bei- uns Lo¬
benswertes geschieht, Geltung zu verschaffen, ja sogar manche wichtige
Angelegenheit wie z. B. die ständischen Regungen meist in einer Art be¬
spricht, die den Absichten der Stillstandspartei nur willkommen sein kann."

Die Redaction der Grenzboten glaubt gegen diesen letztern Satz ent¬
schiedene Einsprache thun zu müssen, um so mehr, als der Vorwurf, der
hier gemacht wird, bei dem sonstigen Wohlwollen, den uns der Artikel schenkt,
um so gewichtiger in die Wagschale fällt.

Wir müssen dein unbekannten Verfasser gratuliren, daß er in seiner
Ansicht über die neuen ständischen Bewegungen in Oesterreich sich bereits so
klar geworden ist, um sie als einen Fortschritt bezeichnen zu können. Wir
unsererseits gestehen unverhohlen, daß wir noch nicht so weit sind.

Werfen wir einen raschen Blick ans die innere Lage Oesterreichs, so
sehen wir uus an der Schwelle einer Uebergangsepoche , deren Endpunkte
Niemand berechnen kann. Oesterreichs Stellung nach außen, Oesterreichs
Verhältnisse nach innen lockeren mit jedem Tage das Festhalten an dem star¬
ren conservativen Prinzip mehr und mehr auf. Wie wird Oesterreichs Zu¬
kunft sich gestalten, von welcher Seite wird der Stoß, die Initiative aus¬
gehen? Noch liegt Alles in den Händen der Regierung, noch kann sie die
Initiative zu eiuer bessern Organisation ergreifen und im Interesse des
Friedens, im Interesse des deutschen Geistes in Oesterreich, im Interesse der
Hemmung russischer Intriguen in den slavischen und halbslavischen Provinzen,
wünschen wir ans voller Seele, daß die Regierung die Zeit begreife und
ihre Position durchschaue und nütze, ehe es zu spät wird. Und wehe dem
Staat und wehe uns, wenn es zu spät wird! Eine Confusion in Oester¬
reich würde ein so fürchterliches Schauspiel bieten, wie die Geschichte ihrer
nur wenige auszuweisen hat. Denn hier stehen nicht blos Prinzipien, sondern
anch Nationalitäten einander gegenüber, Provinzen der verschiedenartigsten Be¬
völkerung, von denen im Augenblicke der Verwirrung jede ihren eigenen
Traditionen, jede ihrem eigenen Ehrgeiz folgen würde. Nicht blos jede
Provinz für sich, sondern im Herzen einer jeden würden die verschiedenen
Stämme ihre Leidenschaften gegen einander entzünden lassen, und die gleiß-
nerische, lechzende Politik Rußlands würde ihre Hand mit zahllosen vergifteten
Fingern in diese Wunden stecken und das Blut zersetzen in so viel Theile,
als nur möglich. Man sieht, wir sind kein Freund einer Volksbewegung
in Oesterreich, wir sind keine Liebhaber einer solchen Initiative, bei der das
souveräne Volk der slvvakischen Rastelbinder, und der galizischen Brannt¬
weinbauern eine Rolle zu spielen hätte, um hinterdrein von jener Macht


bestrebt ist, wie wenig andere freisinnige Blätter, Allem, was bei- uns Lo¬
benswertes geschieht, Geltung zu verschaffen, ja sogar manche wichtige
Angelegenheit wie z. B. die ständischen Regungen meist in einer Art be¬
spricht, die den Absichten der Stillstandspartei nur willkommen sein kann."

Die Redaction der Grenzboten glaubt gegen diesen letztern Satz ent¬
schiedene Einsprache thun zu müssen, um so mehr, als der Vorwurf, der
hier gemacht wird, bei dem sonstigen Wohlwollen, den uns der Artikel schenkt,
um so gewichtiger in die Wagschale fällt.

Wir müssen dein unbekannten Verfasser gratuliren, daß er in seiner
Ansicht über die neuen ständischen Bewegungen in Oesterreich sich bereits so
klar geworden ist, um sie als einen Fortschritt bezeichnen zu können. Wir
unsererseits gestehen unverhohlen, daß wir noch nicht so weit sind.

Werfen wir einen raschen Blick ans die innere Lage Oesterreichs, so
sehen wir uus an der Schwelle einer Uebergangsepoche , deren Endpunkte
Niemand berechnen kann. Oesterreichs Stellung nach außen, Oesterreichs
Verhältnisse nach innen lockeren mit jedem Tage das Festhalten an dem star¬
ren conservativen Prinzip mehr und mehr auf. Wie wird Oesterreichs Zu¬
kunft sich gestalten, von welcher Seite wird der Stoß, die Initiative aus¬
gehen? Noch liegt Alles in den Händen der Regierung, noch kann sie die
Initiative zu eiuer bessern Organisation ergreifen und im Interesse des
Friedens, im Interesse des deutschen Geistes in Oesterreich, im Interesse der
Hemmung russischer Intriguen in den slavischen und halbslavischen Provinzen,
wünschen wir ans voller Seele, daß die Regierung die Zeit begreife und
ihre Position durchschaue und nütze, ehe es zu spät wird. Und wehe dem
Staat und wehe uns, wenn es zu spät wird! Eine Confusion in Oester¬
reich würde ein so fürchterliches Schauspiel bieten, wie die Geschichte ihrer
nur wenige auszuweisen hat. Denn hier stehen nicht blos Prinzipien, sondern
anch Nationalitäten einander gegenüber, Provinzen der verschiedenartigsten Be¬
völkerung, von denen im Augenblicke der Verwirrung jede ihren eigenen
Traditionen, jede ihrem eigenen Ehrgeiz folgen würde. Nicht blos jede
Provinz für sich, sondern im Herzen einer jeden würden die verschiedenen
Stämme ihre Leidenschaften gegen einander entzünden lassen, und die gleiß-
nerische, lechzende Politik Rußlands würde ihre Hand mit zahllosen vergifteten
Fingern in diese Wunden stecken und das Blut zersetzen in so viel Theile,
als nur möglich. Man sieht, wir sind kein Freund einer Volksbewegung
in Oesterreich, wir sind keine Liebhaber einer solchen Initiative, bei der das
souveräne Volk der slvvakischen Rastelbinder, und der galizischen Brannt¬
weinbauern eine Rolle zu spielen hätte, um hinterdrein von jener Macht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/126>, abgerufen am 22.07.2024.