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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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der von der Wirthin zum goldnen Löwen geschenkten Fahne entwickelt wurde,
und wie bei dieser Gelegenheit der Maler Pump als Fahnenjunker die Ehre
und Reputation der Compagnie durch sein feines und anmuthiges Betragen
wieder hergestellt. Indessen, es ist Schade; der Stadtprediger Pendelbein
hat durch seine salbungsvolle Rede uns den ganzen Spaß verdorben, und
ich für meine Person würde lieber sechs Reden des Magister Zimpler refe-
riren, als nur eine Periode aus der Rede des Stadtpredigers. Nur eines
Vorfalles, der dein armen Major beinahe übel bekommen wäre, will ich kurz
gedenken. Wahrend des Auszuges schritt nämlich ein junger fremder Mensch
immer dicht neben dem Major, gravitätisch wie der Major selber einher.
Statt daß dieser junge Mann nun aber dem Takt und Rythmus des Mar¬
sches hätte folgen müssen, hob er immer, sobald der Major das rechte Bein
aussetzte, selber das linke empor, welche Taktlosigkeit den Major so sehr außer
Haltung brachte, daß er fünf Minuten lang selbst nicht wußte, ob er Rechten
oder Linken zählen sollte (welches er beständig leise bei sich zu thun pflegte)
und endlich, weil Alles vor seinen Augen schwamm und er kaum sein Bein
von dem des Nebenmannes mehr zu unterscheiden im Stande war, Halt!
commandiren mußte. Kaum war die Compagnie wieder im Takte, so trat
jener junge Mensch nicht allein wieder falsch an, sondern sagte sogar Fol¬
gendes, offenbar in boshafter Absicht, als man bei dem Wirthshause zum
goldnen Löwen vorbei defilirte, zu dem Major: "Herr Obristlienteuant darf
nur.befehlen und alsbald hol' ich das Duplikat der Compagniefahne, näm¬
lich das Schild des Wirthshauses zum goldnen Löwen herab, und creire mich
selber zum zweiten Fahnenträger." -- "Rechten! Linken!" zählte der Major
ingrimmig weiter. -- "Die Compagnie," fuhr sein Spötter fort, "wird
sinnreich durch den Löwen repräsentirt. Das steht fest. Aber das Stück
Fleisch, welches selbige Compagnie zwischen den Tatzen hält, ist Gegenstand
vielfacher Auslegungen. Einige halten es für den Braten, welchen der Wirth
zum goldnen Löwen der bei ihm Speisenden Schützencompagnie vorzusetzen
pflegt und das Bild zeigt, wie sauer es der letztern wird, denselben zu zer¬
reißen. Andere sagen das Umgekehrte: der Löwe repräsentire den Wirth sel¬
ber, und das Fleisch seine Gäste die Schützen, denen er bereits -- --"
"Schikaniren Sie nicht!" donnerte der Major, ohne von seinen Füßen auf¬
zublicken. "Rechten! Linken!"

Der Fremde trat wieder mit dem unrechten Fuße an und sagte kalt¬
blütig: "Ich beabsichtige eine zweite Schützencompagnie zu bilden. Wir tra¬
gen keine Uniformen und wollen deu jetzigen Schützen den Garaus machen;
kampfbereit sind wir und todesverachteud. Dann werden wir der Löwe sein,


der von der Wirthin zum goldnen Löwen geschenkten Fahne entwickelt wurde,
und wie bei dieser Gelegenheit der Maler Pump als Fahnenjunker die Ehre
und Reputation der Compagnie durch sein feines und anmuthiges Betragen
wieder hergestellt. Indessen, es ist Schade; der Stadtprediger Pendelbein
hat durch seine salbungsvolle Rede uns den ganzen Spaß verdorben, und
ich für meine Person würde lieber sechs Reden des Magister Zimpler refe-
riren, als nur eine Periode aus der Rede des Stadtpredigers. Nur eines
Vorfalles, der dein armen Major beinahe übel bekommen wäre, will ich kurz
gedenken. Wahrend des Auszuges schritt nämlich ein junger fremder Mensch
immer dicht neben dem Major, gravitätisch wie der Major selber einher.
Statt daß dieser junge Mann nun aber dem Takt und Rythmus des Mar¬
sches hätte folgen müssen, hob er immer, sobald der Major das rechte Bein
aussetzte, selber das linke empor, welche Taktlosigkeit den Major so sehr außer
Haltung brachte, daß er fünf Minuten lang selbst nicht wußte, ob er Rechten
oder Linken zählen sollte (welches er beständig leise bei sich zu thun pflegte)
und endlich, weil Alles vor seinen Augen schwamm und er kaum sein Bein
von dem des Nebenmannes mehr zu unterscheiden im Stande war, Halt!
commandiren mußte. Kaum war die Compagnie wieder im Takte, so trat
jener junge Mensch nicht allein wieder falsch an, sondern sagte sogar Fol¬
gendes, offenbar in boshafter Absicht, als man bei dem Wirthshause zum
goldnen Löwen vorbei defilirte, zu dem Major: „Herr Obristlienteuant darf
nur.befehlen und alsbald hol' ich das Duplikat der Compagniefahne, näm¬
lich das Schild des Wirthshauses zum goldnen Löwen herab, und creire mich
selber zum zweiten Fahnenträger." — „Rechten! Linken!" zählte der Major
ingrimmig weiter. — „Die Compagnie," fuhr sein Spötter fort, „wird
sinnreich durch den Löwen repräsentirt. Das steht fest. Aber das Stück
Fleisch, welches selbige Compagnie zwischen den Tatzen hält, ist Gegenstand
vielfacher Auslegungen. Einige halten es für den Braten, welchen der Wirth
zum goldnen Löwen der bei ihm Speisenden Schützencompagnie vorzusetzen
pflegt und das Bild zeigt, wie sauer es der letztern wird, denselben zu zer¬
reißen. Andere sagen das Umgekehrte: der Löwe repräsentire den Wirth sel¬
ber, und das Fleisch seine Gäste die Schützen, denen er bereits — —"
„Schikaniren Sie nicht!" donnerte der Major, ohne von seinen Füßen auf¬
zublicken. „Rechten! Linken!"

Der Fremde trat wieder mit dem unrechten Fuße an und sagte kalt¬
blütig: „Ich beabsichtige eine zweite Schützencompagnie zu bilden. Wir tra¬
gen keine Uniformen und wollen deu jetzigen Schützen den Garaus machen;
kampfbereit sind wir und todesverachteud. Dann werden wir der Löwe sein,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/116>, abgerufen am 22.07.2024.