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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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prüfen, oder rechts und links nach den schweren , bordenreichen Epauletts
zu schielen. Neben ihm zur Rechten sitzt der Hauptmann Zimpler, ein eme-
ritirter Magister mit dünnem, grauem Haar, der am liebsten von den Oden
des Horaz spricht; zur Linken der zweite Hauptmann Roverstein, ein kleiner
untersetzter Mann, mit gestülpter Nase und stechenden Blick; dann folgten
rechts sechs Lieutenants und links sechs Lieutenants, rechts sechs Gemeine
und links die fünf übrigen Gemeinen. Die sechste Gemcinstelle auf der Lin¬
ken war valant. -- Der Hauptmann Zimpler, den man den Vorstand der
Compagnie nennen konnte, hatte den Major schon öfterer heimlich an
der Schärpe gezupft und geflüstert: "Herr Obristlieutenant, ich denke es ist
Zeit, die Rede zu halten;" aber der Major hatte immer geantwortet: "Sub¬
ordination, Herr Hauptmann, erst wollen wir speisen, dann reden;" woraus
der Magister jedesmal aus seiner gebückten Stellung auffuhr, ungemein
subordinire aussah und einige Minuten darauf wehmutsvoll lächelte. Denn
er glaubte, daß die herrliche Rede die er ausgearbeitet, mit gefülltem Magen
gesprochen und genossen lange nicht 'den Eindruck bereiten werde, als wenn
sie nüchtern gehalten wäre. Er hatte Cicero's Reden gegen den Varro.s für
die Rede, welche das Thema der heutigen Feierlichkeit abgeben sollte, eigends
noch einmal gelesen und zum Muster genommen; sehnlichst erwartete er den
Augenblick, wo seine Beredtsamkeit, wie der heilige Geist, über die Ver¬
sammlung ausgegossen würde. Endlich, als Herr Wangcnkeru den letzten
Bissen gehörig consumirt hatte, schlug dieser feierliche Augenblick. Der Major
stärkte sich noch einmal durch einen herzhaften Trunk, räusperte sich und be¬
gann: "Herr Hauptmann, gebieten Sie Ruhe!"

Der Hauptmann Zimpler rief mit seiner feinen, näselnder Stimme:
^Älentium!" Das heißt: "Nicht gemuckst!" commentirte diese schwierige,
aber classische Stelle der Hauptmann Robersteiu mit seiner Donnerstimme.
Vor dem Hauptmann Roberstein hatte die ganze Compagnie ordentlichen
Respect; er war männiglich wegen seiner starken Fäuste bekannt, und, um
mit den letzteren nicht nähere Bekanntschaft zu machen -- sie lagen auf dem
Tische dräuend geballt -- saß Alles mäuschenstill und hörte, die Augen auf
den Teller geheftet, folgende An-, Stand- und Anstandsrede des Majors
Wangenkern zu.

"Theuerste Waffengefährten, Mitbürger, Freunde, vor allen Dingen,
sag' ich immer, Subordination! Es ist nicht allein, daß der Mensch ißt;
wenn er gegessen ziemt sich auch wohl ein vernünftiges Wort, plevus verlor,
sagt der Magister; und darum sind wir versammelt. Nämlich erstens um
Kie Wisormen, zweitens um den Erbprinzen und drittens -.....das hab' ich


prüfen, oder rechts und links nach den schweren , bordenreichen Epauletts
zu schielen. Neben ihm zur Rechten sitzt der Hauptmann Zimpler, ein eme-
ritirter Magister mit dünnem, grauem Haar, der am liebsten von den Oden
des Horaz spricht; zur Linken der zweite Hauptmann Roverstein, ein kleiner
untersetzter Mann, mit gestülpter Nase und stechenden Blick; dann folgten
rechts sechs Lieutenants und links sechs Lieutenants, rechts sechs Gemeine
und links die fünf übrigen Gemeinen. Die sechste Gemcinstelle auf der Lin¬
ken war valant. — Der Hauptmann Zimpler, den man den Vorstand der
Compagnie nennen konnte, hatte den Major schon öfterer heimlich an
der Schärpe gezupft und geflüstert: „Herr Obristlieutenant, ich denke es ist
Zeit, die Rede zu halten;" aber der Major hatte immer geantwortet: „Sub¬
ordination, Herr Hauptmann, erst wollen wir speisen, dann reden;" woraus
der Magister jedesmal aus seiner gebückten Stellung auffuhr, ungemein
subordinire aussah und einige Minuten darauf wehmutsvoll lächelte. Denn
er glaubte, daß die herrliche Rede die er ausgearbeitet, mit gefülltem Magen
gesprochen und genossen lange nicht 'den Eindruck bereiten werde, als wenn
sie nüchtern gehalten wäre. Er hatte Cicero's Reden gegen den Varro.s für
die Rede, welche das Thema der heutigen Feierlichkeit abgeben sollte, eigends
noch einmal gelesen und zum Muster genommen; sehnlichst erwartete er den
Augenblick, wo seine Beredtsamkeit, wie der heilige Geist, über die Ver¬
sammlung ausgegossen würde. Endlich, als Herr Wangcnkeru den letzten
Bissen gehörig consumirt hatte, schlug dieser feierliche Augenblick. Der Major
stärkte sich noch einmal durch einen herzhaften Trunk, räusperte sich und be¬
gann: „Herr Hauptmann, gebieten Sie Ruhe!"

Der Hauptmann Zimpler rief mit seiner feinen, näselnder Stimme:
^Älentium!" Das heißt: „Nicht gemuckst!" commentirte diese schwierige,
aber classische Stelle der Hauptmann Robersteiu mit seiner Donnerstimme.
Vor dem Hauptmann Roberstein hatte die ganze Compagnie ordentlichen
Respect; er war männiglich wegen seiner starken Fäuste bekannt, und, um
mit den letzteren nicht nähere Bekanntschaft zu machen — sie lagen auf dem
Tische dräuend geballt — saß Alles mäuschenstill und hörte, die Augen auf
den Teller geheftet, folgende An-, Stand- und Anstandsrede des Majors
Wangenkern zu.

„Theuerste Waffengefährten, Mitbürger, Freunde, vor allen Dingen,
sag' ich immer, Subordination! Es ist nicht allein, daß der Mensch ißt;
wenn er gegessen ziemt sich auch wohl ein vernünftiges Wort, plevus verlor,
sagt der Magister; und darum sind wir versammelt. Nämlich erstens um
Kie Wisormen, zweitens um den Erbprinzen und drittens -.....das hab' ich


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[0110] prüfen, oder rechts und links nach den schweren , bordenreichen Epauletts zu schielen. Neben ihm zur Rechten sitzt der Hauptmann Zimpler, ein eme- ritirter Magister mit dünnem, grauem Haar, der am liebsten von den Oden des Horaz spricht; zur Linken der zweite Hauptmann Roverstein, ein kleiner untersetzter Mann, mit gestülpter Nase und stechenden Blick; dann folgten rechts sechs Lieutenants und links sechs Lieutenants, rechts sechs Gemeine und links die fünf übrigen Gemeinen. Die sechste Gemcinstelle auf der Lin¬ ken war valant. — Der Hauptmann Zimpler, den man den Vorstand der Compagnie nennen konnte, hatte den Major schon öfterer heimlich an der Schärpe gezupft und geflüstert: „Herr Obristlieutenant, ich denke es ist Zeit, die Rede zu halten;" aber der Major hatte immer geantwortet: „Sub¬ ordination, Herr Hauptmann, erst wollen wir speisen, dann reden;" woraus der Magister jedesmal aus seiner gebückten Stellung auffuhr, ungemein subordinire aussah und einige Minuten darauf wehmutsvoll lächelte. Denn er glaubte, daß die herrliche Rede die er ausgearbeitet, mit gefülltem Magen gesprochen und genossen lange nicht 'den Eindruck bereiten werde, als wenn sie nüchtern gehalten wäre. Er hatte Cicero's Reden gegen den Varro.s für die Rede, welche das Thema der heutigen Feierlichkeit abgeben sollte, eigends noch einmal gelesen und zum Muster genommen; sehnlichst erwartete er den Augenblick, wo seine Beredtsamkeit, wie der heilige Geist, über die Ver¬ sammlung ausgegossen würde. Endlich, als Herr Wangcnkeru den letzten Bissen gehörig consumirt hatte, schlug dieser feierliche Augenblick. Der Major stärkte sich noch einmal durch einen herzhaften Trunk, räusperte sich und be¬ gann: „Herr Hauptmann, gebieten Sie Ruhe!" Der Hauptmann Zimpler rief mit seiner feinen, näselnder Stimme: ^Älentium!" Das heißt: „Nicht gemuckst!" commentirte diese schwierige, aber classische Stelle der Hauptmann Robersteiu mit seiner Donnerstimme. Vor dem Hauptmann Roberstein hatte die ganze Compagnie ordentlichen Respect; er war männiglich wegen seiner starken Fäuste bekannt, und, um mit den letzteren nicht nähere Bekanntschaft zu machen — sie lagen auf dem Tische dräuend geballt — saß Alles mäuschenstill und hörte, die Augen auf den Teller geheftet, folgende An-, Stand- und Anstandsrede des Majors Wangenkern zu. „Theuerste Waffengefährten, Mitbürger, Freunde, vor allen Dingen, sag' ich immer, Subordination! Es ist nicht allein, daß der Mensch ißt; wenn er gegessen ziemt sich auch wohl ein vernünftiges Wort, plevus verlor, sagt der Magister; und darum sind wir versammelt. Nämlich erstens um Kie Wisormen, zweitens um den Erbprinzen und drittens -.....das hab' ich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/110>, abgerufen am 01.07.2024.