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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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Ulrich von Hütten, Thomas Münzer, Robespierre, die Blinde von Alcala -- letz¬
tem Stuck, einer Nachahmung der Hebbel'schen Maria Magdalena, stellte Professor
Rosenkranz in der Hartung'sehen Zeitung, des Philisteriums wegen, ein l,<;se,une,-
ilium innocoiiti-le aus -- alle diese Stücke sind in wohlklingenden Jamben und
in untadelhaftcm Liberalismus geschrieben, nud der Poet geht umher mit dem Be¬
wußtsein, in seinen jungen Jahren mehr Standpunkte überwunden zu haben, als
manches Volk in Jahrhunderten. Kr ist Republikaner, und hat an die freie Sän¬
gerin der wilden Rose", Luise Aston, eine Reihe von Sonetten gedichtet. Wales¬
rode hat seineu Namen in Wortschwall umgcdichtet. -- Ein zweiter Dichter ist
der junge Arzt Ferdinand Falkson, der in seinen frühern Jahren Ro¬
mantiker war, Dramen in der Tieck'schen Manier schrieb und Gedichte ans die
Jungfrau Maria machte, seit dem Jahr 1840 aber sich dem Zeitbewußtsein hingab,
und durch daS mit löblicher Consequenz durchgeführte Bestreben, umgetauft eine
Christin zu heirathen, eine interessante Rechtsfrage anregte. -- Ein dritter Dichter
ist Otto Saeman, Versasser des "letzten Königs", eiuer Allegorie, in welcher
der Vorzug der constitutionellen Form vor der absoluten Monarchie und vor der
Republik nachgewiesen wird. Schon dieser Juste-Milieu-Tendenz wegen ist er
bei den Radicalen nicht beliebt, und wenigstens ein übertriebenes Maaß von Poesie
ist in der That in seinem Drama nicht zu finden. --- Ein Vierter, Albert Dukat,
war zu seiner Zeit der gefeierte Held des jungen Königsberg, als Verbinduugs-
stifter, Redner und Pantant gleich untadelhaft; ein Drama von ihm, Orla, in
welchem er die sittliche Berechtigung der Don Jnanistischen Weltanschauung, deö
raffinirten Genußlebeuö nachzuweisen sucht, hat ihm manche Anhänger erworben, aber
ihn mich in manche Conflicte mit den Behörden gebracht; es übertrifft die Pro-
ducte der vorhingcnannten Dichter eben so sehr an Gedankenreichthum, als es ihnen
an formellem Werth nachsteht. ES ist zu hoffen, daß Herr Dukat die Jugend nicht
zu weit ausdehnen, sondern mit derselben Energie sich den Bestrebungen des Man-
nesalters zuwenden wird, die er der studentischen Romantik gewidmet hat. -- Zu
diesen modernen Poeten füge ich noch einen modernen Kritiker, Alexander
Jung, der die jungdeutsche Periode ebenso vertritt, wie Ferdinand Rabe, der
Mann mit dem Bewußtsein, Jean Paul gekannt zu haben, die Restaurationszeit.
Beide verstehen die Kunst, dem Gewöhnlichen dnrch emphatischen Ausdruck eine
gewisse Salbung zu verleihen. Rabe ist Antiquar und zugleich eine ehrwürdige
Antiquität aus der alten Königsberger Zeit, wo unsre Stadt noch nicht das Be¬
wußtsein der reinen Vernunft in sich trug, wo es noch in der Abendzeitung und
dem Freimüthigen seine Orakel suchte. Mit dieser Reliquie ehemaliger friedliche¬
,
or. L. V. rer Tage schließe ich für diesmal meinen Bericht.




Ulrich von Hütten, Thomas Münzer, Robespierre, die Blinde von Alcala — letz¬
tem Stuck, einer Nachahmung der Hebbel'schen Maria Magdalena, stellte Professor
Rosenkranz in der Hartung'sehen Zeitung, des Philisteriums wegen, ein l,<;se,une,-
ilium innocoiiti-le aus — alle diese Stücke sind in wohlklingenden Jamben und
in untadelhaftcm Liberalismus geschrieben, nud der Poet geht umher mit dem Be¬
wußtsein, in seinen jungen Jahren mehr Standpunkte überwunden zu haben, als
manches Volk in Jahrhunderten. Kr ist Republikaner, und hat an die freie Sän¬
gerin der wilden Rose», Luise Aston, eine Reihe von Sonetten gedichtet. Wales¬
rode hat seineu Namen in Wortschwall umgcdichtet. — Ein zweiter Dichter ist
der junge Arzt Ferdinand Falkson, der in seinen frühern Jahren Ro¬
mantiker war, Dramen in der Tieck'schen Manier schrieb und Gedichte ans die
Jungfrau Maria machte, seit dem Jahr 1840 aber sich dem Zeitbewußtsein hingab,
und durch daS mit löblicher Consequenz durchgeführte Bestreben, umgetauft eine
Christin zu heirathen, eine interessante Rechtsfrage anregte. — Ein dritter Dichter
ist Otto Saeman, Versasser des „letzten Königs", eiuer Allegorie, in welcher
der Vorzug der constitutionellen Form vor der absoluten Monarchie und vor der
Republik nachgewiesen wird. Schon dieser Juste-Milieu-Tendenz wegen ist er
bei den Radicalen nicht beliebt, und wenigstens ein übertriebenes Maaß von Poesie
ist in der That in seinem Drama nicht zu finden. -— Ein Vierter, Albert Dukat,
war zu seiner Zeit der gefeierte Held des jungen Königsberg, als Verbinduugs-
stifter, Redner und Pantant gleich untadelhaft; ein Drama von ihm, Orla, in
welchem er die sittliche Berechtigung der Don Jnanistischen Weltanschauung, deö
raffinirten Genußlebeuö nachzuweisen sucht, hat ihm manche Anhänger erworben, aber
ihn mich in manche Conflicte mit den Behörden gebracht; es übertrifft die Pro-
ducte der vorhingcnannten Dichter eben so sehr an Gedankenreichthum, als es ihnen
an formellem Werth nachsteht. ES ist zu hoffen, daß Herr Dukat die Jugend nicht
zu weit ausdehnen, sondern mit derselben Energie sich den Bestrebungen des Man-
nesalters zuwenden wird, die er der studentischen Romantik gewidmet hat. — Zu
diesen modernen Poeten füge ich noch einen modernen Kritiker, Alexander
Jung, der die jungdeutsche Periode ebenso vertritt, wie Ferdinand Rabe, der
Mann mit dem Bewußtsein, Jean Paul gekannt zu haben, die Restaurationszeit.
Beide verstehen die Kunst, dem Gewöhnlichen dnrch emphatischen Ausdruck eine
gewisse Salbung zu verleihen. Rabe ist Antiquar und zugleich eine ehrwürdige
Antiquität aus der alten Königsberger Zeit, wo unsre Stadt noch nicht das Be¬
wußtsein der reinen Vernunft in sich trug, wo es noch in der Abendzeitung und
dem Freimüthigen seine Orakel suchte. Mit dieser Reliquie ehemaliger friedliche¬
,
or. L. V. rer Tage schließe ich für diesmal meinen Bericht.




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[0082] Ulrich von Hütten, Thomas Münzer, Robespierre, die Blinde von Alcala — letz¬ tem Stuck, einer Nachahmung der Hebbel'schen Maria Magdalena, stellte Professor Rosenkranz in der Hartung'sehen Zeitung, des Philisteriums wegen, ein l,<;se,une,- ilium innocoiiti-le aus — alle diese Stücke sind in wohlklingenden Jamben und in untadelhaftcm Liberalismus geschrieben, nud der Poet geht umher mit dem Be¬ wußtsein, in seinen jungen Jahren mehr Standpunkte überwunden zu haben, als manches Volk in Jahrhunderten. Kr ist Republikaner, und hat an die freie Sän¬ gerin der wilden Rose», Luise Aston, eine Reihe von Sonetten gedichtet. Wales¬ rode hat seineu Namen in Wortschwall umgcdichtet. — Ein zweiter Dichter ist der junge Arzt Ferdinand Falkson, der in seinen frühern Jahren Ro¬ mantiker war, Dramen in der Tieck'schen Manier schrieb und Gedichte ans die Jungfrau Maria machte, seit dem Jahr 1840 aber sich dem Zeitbewußtsein hingab, und durch daS mit löblicher Consequenz durchgeführte Bestreben, umgetauft eine Christin zu heirathen, eine interessante Rechtsfrage anregte. — Ein dritter Dichter ist Otto Saeman, Versasser des „letzten Königs", eiuer Allegorie, in welcher der Vorzug der constitutionellen Form vor der absoluten Monarchie und vor der Republik nachgewiesen wird. Schon dieser Juste-Milieu-Tendenz wegen ist er bei den Radicalen nicht beliebt, und wenigstens ein übertriebenes Maaß von Poesie ist in der That in seinem Drama nicht zu finden. -— Ein Vierter, Albert Dukat, war zu seiner Zeit der gefeierte Held des jungen Königsberg, als Verbinduugs- stifter, Redner und Pantant gleich untadelhaft; ein Drama von ihm, Orla, in welchem er die sittliche Berechtigung der Don Jnanistischen Weltanschauung, deö raffinirten Genußlebeuö nachzuweisen sucht, hat ihm manche Anhänger erworben, aber ihn mich in manche Conflicte mit den Behörden gebracht; es übertrifft die Pro- ducte der vorhingcnannten Dichter eben so sehr an Gedankenreichthum, als es ihnen an formellem Werth nachsteht. ES ist zu hoffen, daß Herr Dukat die Jugend nicht zu weit ausdehnen, sondern mit derselben Energie sich den Bestrebungen des Man- nesalters zuwenden wird, die er der studentischen Romantik gewidmet hat. — Zu diesen modernen Poeten füge ich noch einen modernen Kritiker, Alexander Jung, der die jungdeutsche Periode ebenso vertritt, wie Ferdinand Rabe, der Mann mit dem Bewußtsein, Jean Paul gekannt zu haben, die Restaurationszeit. Beide verstehen die Kunst, dem Gewöhnlichen dnrch emphatischen Ausdruck eine gewisse Salbung zu verleihen. Rabe ist Antiquar und zugleich eine ehrwürdige Antiquität aus der alten Königsberger Zeit, wo unsre Stadt noch nicht das Be¬ wußtsein der reinen Vernunft in sich trug, wo es noch in der Abendzeitung und dem Freimüthigen seine Orakel suchte. Mit dieser Reliquie ehemaliger friedliche¬ , or. L. V. rer Tage schließe ich für diesmal meinen Bericht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/82>, abgerufen am 22.07.2024.