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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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die Stelle Ab egg's herberufen wurde, eines Mannes, der durch seinen Libera¬
lismus und sei" ebenso wohlwollendes "vie rechtschaffenes Verfahren sich die Liebe
und Achtung der ganzen Stadt er>vorher hatte, und eben darum aus Königsberg
entfernt wurde. In diesen Fehler ist Herr Lauterbach nicht verfallen, im Ge¬
gentheil hat er Alles gethan, was in seinen Kräften stand, um eine solche Gesin¬
nung von Seiten der Stadt von sich fern zu halten. Sein neulicher Schritt bei
Gelegenheit eines Toastes ans die 138 setzt seinem ganzen frühern Betragen die
Krone auf. Es zeigt, daß etwas faul ist im Staate Dänemark, wenn die Poli¬
zei eine gewisse Ehre darin setzt, bei der Mehrzahl der Einwohner, für die sie da
ist, in Mißcredit zu stehn. -- An der Spitze der eigentlichen Aristokratie steht
der kommandirende General, Graf Dohna, in dessen Cirkeln der Lieutenant
Leuthold, der berühmte Champion der Legitimität in dem zu seiner Zeit so viel be¬
sprochenen Duell, ein täglicher Gast war. Ein anderer Mittelpunkt der Aristokratie
ist das Haus des Kanzlers von Preußen, v. Wegnern, Chef des Tribunals.
Seine Persönlichkeit ist ebenso wohlwollend, milde und human, wie die des vor¬
hin genannten Grafen herbe und schroff. Aber er ist ausgewachsen in den
Traditionen der alten Monarchie und der alten Kirche, für ihn ist Ludwig XVl.
ein Heiliger, die Mitglieder der Constituante Räuber und Mörder, die gegenwär¬
tige Welt die beste, und Jeder, der etwas daran auszusetzen findet, ein Schwär¬
mer. Er gehört in die Zeit der sittlichen, tugendhaften Aristokratie, deren Dich¬
ter Fouquo ist, und hat von den Perioden Philipps von Orleans, der Pompa-
dour und Dübarry in seinen Geschichtsbüchern nichts gefunden. Er ist in seinem
Amt gewissenhaft, und man kann ihn lieben und achten, anch wenn man nicht sei¬
ner Meinung ist. -- Der Präsident des Oberlandesgerichts, v. Zander, gehört
nicht der alten Aristokratie an, ist aber als Neugeadelter um so lebhafter für die
Rechte der Aristokratie eingenommen. Man hat wegen einzelner kleinlicher Züge
in seinem Leben manche Witze auf ihn gemacht, doch wenn man anch über seinen
Charakter verschiedner Meinung ist, so läßt man doch seinem Talent allgemein Ge¬
rechtigkeit widerfahren. -- Eine andere politische Notabilität im entgegengesetzten
Sinn, der Justizrath Crelinger, nnter unseren Liberalen wohl derjenige, der
juristisch seine Gegner am besten zu fassen verstand, ist nun dnrch die Maßregeln
der Behörden unserer Stadt entzogen, und fungirt in Berlin im Polenproceß.

Neben dieser politischen Thätigkeit ist seit den letzten Jahren anch eine junge
poetische Literatur hervorgegangen. Herr Wvltersdorf, unter dessen Regie sich
das Theater wesentlich gehoben hat, was nicht zu verwundern ist, da er der erste
Director ist, der reiche Mittel zusetzen kann, hat den jungen Dichter Gottschall
als Dramaturgen engagirt. Dieser wurde als junger Student von der Herwegh'-
schen Muse ergriffen, und schrieb politische Gedichte, worin er unter andern erklärte,
daß sein Herz ganz banqueront, ganz bettelarm geworden wäre, als Heine sein
Pamphlet über Börne geschrieben. Seit dem hat er eine Reihe Dramen versaßt:


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die Stelle Ab egg's herberufen wurde, eines Mannes, der durch seinen Libera¬
lismus und sei» ebenso wohlwollendes »vie rechtschaffenes Verfahren sich die Liebe
und Achtung der ganzen Stadt er>vorher hatte, und eben darum aus Königsberg
entfernt wurde. In diesen Fehler ist Herr Lauterbach nicht verfallen, im Ge¬
gentheil hat er Alles gethan, was in seinen Kräften stand, um eine solche Gesin¬
nung von Seiten der Stadt von sich fern zu halten. Sein neulicher Schritt bei
Gelegenheit eines Toastes ans die 138 setzt seinem ganzen frühern Betragen die
Krone auf. Es zeigt, daß etwas faul ist im Staate Dänemark, wenn die Poli¬
zei eine gewisse Ehre darin setzt, bei der Mehrzahl der Einwohner, für die sie da
ist, in Mißcredit zu stehn. — An der Spitze der eigentlichen Aristokratie steht
der kommandirende General, Graf Dohna, in dessen Cirkeln der Lieutenant
Leuthold, der berühmte Champion der Legitimität in dem zu seiner Zeit so viel be¬
sprochenen Duell, ein täglicher Gast war. Ein anderer Mittelpunkt der Aristokratie
ist das Haus des Kanzlers von Preußen, v. Wegnern, Chef des Tribunals.
Seine Persönlichkeit ist ebenso wohlwollend, milde und human, wie die des vor¬
hin genannten Grafen herbe und schroff. Aber er ist ausgewachsen in den
Traditionen der alten Monarchie und der alten Kirche, für ihn ist Ludwig XVl.
ein Heiliger, die Mitglieder der Constituante Räuber und Mörder, die gegenwär¬
tige Welt die beste, und Jeder, der etwas daran auszusetzen findet, ein Schwär¬
mer. Er gehört in die Zeit der sittlichen, tugendhaften Aristokratie, deren Dich¬
ter Fouquo ist, und hat von den Perioden Philipps von Orleans, der Pompa-
dour und Dübarry in seinen Geschichtsbüchern nichts gefunden. Er ist in seinem
Amt gewissenhaft, und man kann ihn lieben und achten, anch wenn man nicht sei¬
ner Meinung ist. — Der Präsident des Oberlandesgerichts, v. Zander, gehört
nicht der alten Aristokratie an, ist aber als Neugeadelter um so lebhafter für die
Rechte der Aristokratie eingenommen. Man hat wegen einzelner kleinlicher Züge
in seinem Leben manche Witze auf ihn gemacht, doch wenn man anch über seinen
Charakter verschiedner Meinung ist, so läßt man doch seinem Talent allgemein Ge¬
rechtigkeit widerfahren. — Eine andere politische Notabilität im entgegengesetzten
Sinn, der Justizrath Crelinger, nnter unseren Liberalen wohl derjenige, der
juristisch seine Gegner am besten zu fassen verstand, ist nun dnrch die Maßregeln
der Behörden unserer Stadt entzogen, und fungirt in Berlin im Polenproceß.

Neben dieser politischen Thätigkeit ist seit den letzten Jahren anch eine junge
poetische Literatur hervorgegangen. Herr Wvltersdorf, unter dessen Regie sich
das Theater wesentlich gehoben hat, was nicht zu verwundern ist, da er der erste
Director ist, der reiche Mittel zusetzen kann, hat den jungen Dichter Gottschall
als Dramaturgen engagirt. Dieser wurde als junger Student von der Herwegh'-
schen Muse ergriffen, und schrieb politische Gedichte, worin er unter andern erklärte,
daß sein Herz ganz banqueront, ganz bettelarm geworden wäre, als Heine sein
Pamphlet über Börne geschrieben. Seit dem hat er eine Reihe Dramen versaßt:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/81>, abgerufen am 22.07.2024.