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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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sich gebildet hat. -- Die junge" Philologen erzieht Lobeck ausschließlich in den
griechischen Dichtern und Geschichtschreiber", die römische Literatur und die
ganze Philosophie tritt in den Hintergrund. Und zwar sind die Arbeiten durch¬
aus grammatischen Inhalts, es ist in der Regel die Aufgabe, über irgend eine
grainmcttische Form bei einem Schriftsteller zu referiren. Das hat den doppelten
Zweck, die Philologen zum nähern Bewußtsein über jene Form zu bringen und
sie zur Lesung des Schriftstellers zu veranlassen, obgleich das letztere in den mei¬
sten Fällen eben nur in dem bestimmten, augenblicklichen einseitigen Interesse ge¬
schieht. Außerdem liest, d. h. dictirt Lobeck in seinem kleinen Auditorium, ge¬
genüber der königlichen Bibliothek, jedes Trienninm die nöthige Zahl von Kolle¬
gien, die der Examinand auswendig zu lernen hat, griechische und römische An¬
tiquitäten, Mythologie u. s. w. In seinem Aeußern ist er der deutsche Gelehrte
in dieses Worts verwegenster Bedeutung; schon seine unscheinbar kleine Gestalt,
die merkwürdige Dissonnität seines Gesichts, die rauhe, ungelenke Sprache (er
ist Professor oll>"i"v"ein,>), die abstracte Weise, in der er schon lesend in das
Kollegium eintritt, die ausfallende Zerstreutheit in allen praktischen Angelegen¬
heiten, die Einfachheit und Regelmäßigkeit seiner ganzen Lebensweise vin-
diciren ihn dem Gelehrtenstande, und daun die guten Seiten dieser Rich¬
tung: die völlige Gleichgültigkeit gegen deu Erwerb und die daraus ent-
springende Liberalität gegen bedürftige Studenten. Aus die Studenten sei¬
ner nächsten Umgebung wirkt er theils dnrch die Folie seines Nuss, theils
durch seine liebenswürdige Persönlichkeit sehr wohlthätig el", obgleich sein Urtheil
über dieselben nicht immer das freieste ist. Obgleich sein ganzes Interesse von
den Studien des Alterthums absorbirt ist und er scheinbar in einer abstracten,
der Gegenwart völlig entrückten Welt sich bewegt, schlägt doch sein Herz warm
und lebendig für die Ideale, die in seiner Welt zu Hause waren, auch wenn sie
sich ans dem geschäftigen Markt des Lebens drängen, vorausgesetzt, daß er etwas
von ihnen erfährt. Er ist ein Humanist in dem schönsten Sinn des Worts, und
betheiligt sich nicht nur auf das Liberalste an allen Schritten, die von der Univer¬
sität ausgehen, sondern gibt auch wenigstens seinen Namen her zu allen Demon¬
strationen, die innerhalb der Bürgerschaft für die gute Sache unternommen werden,
und man sah den verehrten Greis sogar in unserer Bürgergesellschaft in lebhaften
Gesprächen mit den Männern der Freiheit und des Fortschritts.

Sein Neffe, Justus Florian Lobeck, hat als akademischer Docent keinen
Beifall gefunden, obgleich er ein neues Moment, die neugriechische Sprache, in
den Kreis unserer Studien eingeführt hat. Bei weitem der bedeutendste unserer
Philologen nächst Lobeck ist Lehrs, der seit wenigen Jahren, nach dem er bisher
sein ganzes Leben dem zwar sehr segensreichen, aber mitunter für einen geistvollen
Mann auch ermüdenden Beruf der Pädagogik, und zwar mit entschieden glückli¬
chem Erfolg gewidmet hatte, der Universität geschenkt ist. Er hat zwar schon früher


sich gebildet hat. — Die junge» Philologen erzieht Lobeck ausschließlich in den
griechischen Dichtern und Geschichtschreiber», die römische Literatur und die
ganze Philosophie tritt in den Hintergrund. Und zwar sind die Arbeiten durch¬
aus grammatischen Inhalts, es ist in der Regel die Aufgabe, über irgend eine
grainmcttische Form bei einem Schriftsteller zu referiren. Das hat den doppelten
Zweck, die Philologen zum nähern Bewußtsein über jene Form zu bringen und
sie zur Lesung des Schriftstellers zu veranlassen, obgleich das letztere in den mei¬
sten Fällen eben nur in dem bestimmten, augenblicklichen einseitigen Interesse ge¬
schieht. Außerdem liest, d. h. dictirt Lobeck in seinem kleinen Auditorium, ge¬
genüber der königlichen Bibliothek, jedes Trienninm die nöthige Zahl von Kolle¬
gien, die der Examinand auswendig zu lernen hat, griechische und römische An¬
tiquitäten, Mythologie u. s. w. In seinem Aeußern ist er der deutsche Gelehrte
in dieses Worts verwegenster Bedeutung; schon seine unscheinbar kleine Gestalt,
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Kollegium eintritt, die ausfallende Zerstreutheit in allen praktischen Angelegen¬
heiten, die Einfachheit und Regelmäßigkeit seiner ganzen Lebensweise vin-
diciren ihn dem Gelehrtenstande, und daun die guten Seiten dieser Rich¬
tung: die völlige Gleichgültigkeit gegen deu Erwerb und die daraus ent-
springende Liberalität gegen bedürftige Studenten. Aus die Studenten sei¬
ner nächsten Umgebung wirkt er theils dnrch die Folie seines Nuss, theils
durch seine liebenswürdige Persönlichkeit sehr wohlthätig el», obgleich sein Urtheil
über dieselben nicht immer das freieste ist. Obgleich sein ganzes Interesse von
den Studien des Alterthums absorbirt ist und er scheinbar in einer abstracten,
der Gegenwart völlig entrückten Welt sich bewegt, schlägt doch sein Herz warm
und lebendig für die Ideale, die in seiner Welt zu Hause waren, auch wenn sie
sich ans dem geschäftigen Markt des Lebens drängen, vorausgesetzt, daß er etwas
von ihnen erfährt. Er ist ein Humanist in dem schönsten Sinn des Worts, und
betheiligt sich nicht nur auf das Liberalste an allen Schritten, die von der Univer¬
sität ausgehen, sondern gibt auch wenigstens seinen Namen her zu allen Demon¬
strationen, die innerhalb der Bürgerschaft für die gute Sache unternommen werden,
und man sah den verehrten Greis sogar in unserer Bürgergesellschaft in lebhaften
Gesprächen mit den Männern der Freiheit und des Fortschritts.

Sein Neffe, Justus Florian Lobeck, hat als akademischer Docent keinen
Beifall gefunden, obgleich er ein neues Moment, die neugriechische Sprache, in
den Kreis unserer Studien eingeführt hat. Bei weitem der bedeutendste unserer
Philologen nächst Lobeck ist Lehrs, der seit wenigen Jahren, nach dem er bisher
sein ganzes Leben dem zwar sehr segensreichen, aber mitunter für einen geistvollen
Mann auch ermüdenden Beruf der Pädagogik, und zwar mit entschieden glückli¬
chem Erfolg gewidmet hatte, der Universität geschenkt ist. Er hat zwar schon früher


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/72>, abgerufen am 25.08.2024.