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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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Unter allen Universitätslehrern hat wohl der Philologe den dauerndsten Ein¬
fluß ans die Provinz, die in sein Bereich fallt, denn Juristen, Cameralisten, Me¬
diciner, Theologen treten, sobald sie ihre Studien al'solvirt haben, a"S der eigent¬
lich theoretischen Sphäre heraus und verwickeln sich in praktische Verhältnisse,
über denen die ehemalige Doctrin bald vergessen wird, der Philolog dagegen
bleibt sein Lebelang in der Theorie, und es wird daher im Allgemeinen bei ihm
die Pietät gegen den alten Lehrer am nachhaltigsten sein. Eine solche Pietät
waltet bei allen Schulmännern unserer Provinz gegen den alten Lob cet, Pro¬
fessor, Geheimerath, Ritter des rothen Adlerordens u. s. w. Es' ist bekannt,
daß Lobeck's wissenschaftliche Thätigkeit, die ihn unter die Koryphäen der Philo¬
logie aller Zeiten stellt, sich vorzüglich auf die Sprache bezieht, daß er den un¬
geheuren Umfang seiner Kenntnisse, die er'uoch jetzt in seinem hohen Alter un¬
ausgesetzt vermehrt, mir als Material ansieht, die grammatischen Gesetze zu be¬
richtigen, daß für ihn Aristoteles und Aeschylus zunächst nur als Citateusammluug
für die Grammatik gelten. Aber in dem, was ihm von diesen seinen eigentlichen
Studien gelegentlich abfällt, liegt mehr Reichthum, mehr Interesse auch für das
Ethische, als viele Andere in der ganzen Arbeit ihres Lebens hervorbringen. --
Schon ans Interesse für die Sprache, in der sich doch die Vernunft eines Vol¬
kes objectiv wird, hat er mit seiner ganzen Gelehrsamkeit und seinem Scharfsinne, ein
theoretischer Herkules, gegen die Ungethüme der Romantik angekämpft, die durch die
Hexenformeln unserer modernen Mystiker und Geisterbanner ub^u das classische
Gebiet des Alterthums heraufbeschworen wurden. Unter den Händen unserer
Creutzer und ihrer Glaubensgenossen verwandelte sich plötzlich das helle, heitere
Sonnenlicht, das in die runden Göttertempel hineinschien, und die schlauken
Säulen und Götterbilder in scharfen, deutlichen Umrissen beleuchtete, in el" trans¬
cententes Mondlicht, wo aus allen Dächern somnambule Schwärmer hernmspazier-
ten, wo aus dunklen Grotten und Hohlen heraus wunderbar bedeutende, aber
ahnnngöreiche Geisterstimmen hervortraten, und wo der moderne Forscher in dem
geisterhaften Nebel, der sich über diese mondbeglänzte Zaubernacht verbreitete,
sagen konnte: ich sehe zwar nichts, ich unterscheide nichts, aber ich merke, daß
viel dahinter steckt. Gegen diese wüste, unklare Romantik, die sich damals des
Hmuanismns eben so zu bemächtigen suchte, wie alle andern theoretischen und
praktischen Gebiete des Geistes, sind vorzüglich drei Männer mit all' der Überle¬
genheit, die eine gesunde Vernunft über krankhafte Nervenreizbarkeit gibt, zu
Felde gezogen: Voß, Hermann und Lobeck. Der Aglaophamus des letztern ist
ein glänzender Sieg über den Hexensabbat!) der Mystik. Es zeigte sich hier, daß
die mit gesunden Angen aufgefaßte Empirie zu denselben Resultaten führen muß,
als die wahre Speculation. Lobeck ist mit der Philosophie nie in Berührung
gekommen, und dennoch stimmt das Wesentliche in seiner Auffassung des griechi¬
schen Lebens mit der Ansicht überein, die Hegel auf spekulativem Wege darüber


Unter allen Universitätslehrern hat wohl der Philologe den dauerndsten Ein¬
fluß ans die Provinz, die in sein Bereich fallt, denn Juristen, Cameralisten, Me¬
diciner, Theologen treten, sobald sie ihre Studien al'solvirt haben, a»S der eigent¬
lich theoretischen Sphäre heraus und verwickeln sich in praktische Verhältnisse,
über denen die ehemalige Doctrin bald vergessen wird, der Philolog dagegen
bleibt sein Lebelang in der Theorie, und es wird daher im Allgemeinen bei ihm
die Pietät gegen den alten Lehrer am nachhaltigsten sein. Eine solche Pietät
waltet bei allen Schulmännern unserer Provinz gegen den alten Lob cet, Pro¬
fessor, Geheimerath, Ritter des rothen Adlerordens u. s. w. Es' ist bekannt,
daß Lobeck's wissenschaftliche Thätigkeit, die ihn unter die Koryphäen der Philo¬
logie aller Zeiten stellt, sich vorzüglich auf die Sprache bezieht, daß er den un¬
geheuren Umfang seiner Kenntnisse, die er'uoch jetzt in seinem hohen Alter un¬
ausgesetzt vermehrt, mir als Material ansieht, die grammatischen Gesetze zu be¬
richtigen, daß für ihn Aristoteles und Aeschylus zunächst nur als Citateusammluug
für die Grammatik gelten. Aber in dem, was ihm von diesen seinen eigentlichen
Studien gelegentlich abfällt, liegt mehr Reichthum, mehr Interesse auch für das
Ethische, als viele Andere in der ganzen Arbeit ihres Lebens hervorbringen. —
Schon ans Interesse für die Sprache, in der sich doch die Vernunft eines Vol¬
kes objectiv wird, hat er mit seiner ganzen Gelehrsamkeit und seinem Scharfsinne, ein
theoretischer Herkules, gegen die Ungethüme der Romantik angekämpft, die durch die
Hexenformeln unserer modernen Mystiker und Geisterbanner ub^u das classische
Gebiet des Alterthums heraufbeschworen wurden. Unter den Händen unserer
Creutzer und ihrer Glaubensgenossen verwandelte sich plötzlich das helle, heitere
Sonnenlicht, das in die runden Göttertempel hineinschien, und die schlauken
Säulen und Götterbilder in scharfen, deutlichen Umrissen beleuchtete, in el» trans¬
cententes Mondlicht, wo aus allen Dächern somnambule Schwärmer hernmspazier-
ten, wo aus dunklen Grotten und Hohlen heraus wunderbar bedeutende, aber
ahnnngöreiche Geisterstimmen hervortraten, und wo der moderne Forscher in dem
geisterhaften Nebel, der sich über diese mondbeglänzte Zaubernacht verbreitete,
sagen konnte: ich sehe zwar nichts, ich unterscheide nichts, aber ich merke, daß
viel dahinter steckt. Gegen diese wüste, unklare Romantik, die sich damals des
Hmuanismns eben so zu bemächtigen suchte, wie alle andern theoretischen und
praktischen Gebiete des Geistes, sind vorzüglich drei Männer mit all' der Überle¬
genheit, die eine gesunde Vernunft über krankhafte Nervenreizbarkeit gibt, zu
Felde gezogen: Voß, Hermann und Lobeck. Der Aglaophamus des letztern ist
ein glänzender Sieg über den Hexensabbat!) der Mystik. Es zeigte sich hier, daß
die mit gesunden Angen aufgefaßte Empirie zu denselben Resultaten führen muß,
als die wahre Speculation. Lobeck ist mit der Philosophie nie in Berührung
gekommen, und dennoch stimmt das Wesentliche in seiner Auffassung des griechi¬
schen Lebens mit der Ansicht überein, die Hegel auf spekulativem Wege darüber


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[0071] Unter allen Universitätslehrern hat wohl der Philologe den dauerndsten Ein¬ fluß ans die Provinz, die in sein Bereich fallt, denn Juristen, Cameralisten, Me¬ diciner, Theologen treten, sobald sie ihre Studien al'solvirt haben, a»S der eigent¬ lich theoretischen Sphäre heraus und verwickeln sich in praktische Verhältnisse, über denen die ehemalige Doctrin bald vergessen wird, der Philolog dagegen bleibt sein Lebelang in der Theorie, und es wird daher im Allgemeinen bei ihm die Pietät gegen den alten Lehrer am nachhaltigsten sein. Eine solche Pietät waltet bei allen Schulmännern unserer Provinz gegen den alten Lob cet, Pro¬ fessor, Geheimerath, Ritter des rothen Adlerordens u. s. w. Es' ist bekannt, daß Lobeck's wissenschaftliche Thätigkeit, die ihn unter die Koryphäen der Philo¬ logie aller Zeiten stellt, sich vorzüglich auf die Sprache bezieht, daß er den un¬ geheuren Umfang seiner Kenntnisse, die er'uoch jetzt in seinem hohen Alter un¬ ausgesetzt vermehrt, mir als Material ansieht, die grammatischen Gesetze zu be¬ richtigen, daß für ihn Aristoteles und Aeschylus zunächst nur als Citateusammluug für die Grammatik gelten. Aber in dem, was ihm von diesen seinen eigentlichen Studien gelegentlich abfällt, liegt mehr Reichthum, mehr Interesse auch für das Ethische, als viele Andere in der ganzen Arbeit ihres Lebens hervorbringen. — Schon ans Interesse für die Sprache, in der sich doch die Vernunft eines Vol¬ kes objectiv wird, hat er mit seiner ganzen Gelehrsamkeit und seinem Scharfsinne, ein theoretischer Herkules, gegen die Ungethüme der Romantik angekämpft, die durch die Hexenformeln unserer modernen Mystiker und Geisterbanner ub^u das classische Gebiet des Alterthums heraufbeschworen wurden. Unter den Händen unserer Creutzer und ihrer Glaubensgenossen verwandelte sich plötzlich das helle, heitere Sonnenlicht, das in die runden Göttertempel hineinschien, und die schlauken Säulen und Götterbilder in scharfen, deutlichen Umrissen beleuchtete, in el» trans¬ cententes Mondlicht, wo aus allen Dächern somnambule Schwärmer hernmspazier- ten, wo aus dunklen Grotten und Hohlen heraus wunderbar bedeutende, aber ahnnngöreiche Geisterstimmen hervortraten, und wo der moderne Forscher in dem geisterhaften Nebel, der sich über diese mondbeglänzte Zaubernacht verbreitete, sagen konnte: ich sehe zwar nichts, ich unterscheide nichts, aber ich merke, daß viel dahinter steckt. Gegen diese wüste, unklare Romantik, die sich damals des Hmuanismns eben so zu bemächtigen suchte, wie alle andern theoretischen und praktischen Gebiete des Geistes, sind vorzüglich drei Männer mit all' der Überle¬ genheit, die eine gesunde Vernunft über krankhafte Nervenreizbarkeit gibt, zu Felde gezogen: Voß, Hermann und Lobeck. Der Aglaophamus des letztern ist ein glänzender Sieg über den Hexensabbat!) der Mystik. Es zeigte sich hier, daß die mit gesunden Angen aufgefaßte Empirie zu denselben Resultaten führen muß, als die wahre Speculation. Lobeck ist mit der Philosophie nie in Berührung gekommen, und dennoch stimmt das Wesentliche in seiner Auffassung des griechi¬ schen Lebens mit der Ansicht überein, die Hegel auf spekulativem Wege darüber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/71>, abgerufen am 24.08.2024.