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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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stachlicher Zeitungsphraseologie und tieferer philosophischer Grundbildung. Er ge¬
hörte zu der Partei Uhlich's und war grade damit beschäftigt, sich mit dem Sym-
bolnm zu versöhne". Man müsse die Leute, behauptete er, nnr mit Vorsicht und
auf naturgemäßen, ruhigem Wege aufklären, sonst würden sie allen Glauben fah¬
ren lassen und es wäre um die Religiosität geschehen.

Der Philologe blieb die ganze Zeit über stumm und in sich gekehrt. Als
man ihn aufforderte, auch vou seinen Schicksalen zu erzählen, erwiderte er Folgendes:

"Ich war kaum einen Monat von der Hochschule zurück, so starb mein Vater,
ein armer Dorfpfarrer. Meine alte gute Mutter und zwei Schwestern sahen in
der ganzen Welt keinen Beschützer, als mich. Ich lehrte ihnen das Hungern.
Aber meine alte Mutter konnte das nicht so gut vertragen als wir Andern. Se.
Excllenz, der Graf A'. bot mir eine Hauslehrerstelle an, wenn ich seine beiden
Sohne deu Vorschriften des Standes und der Kirche gemäß erziehen wolle. Ich
nahm die Stelle an und habe meine Gesinnung für Brot verkauft. Das ist Alles."

Er sprang ans, um eine Thräne nicht sehen zu lassen, die sich seinem Ange
entwand. Ich eilte ihm nach, und noch fühle ich den fieberhaften Händedruck,
mit dem er Abschied von mir nahm.




stachlicher Zeitungsphraseologie und tieferer philosophischer Grundbildung. Er ge¬
hörte zu der Partei Uhlich's und war grade damit beschäftigt, sich mit dem Sym-
bolnm zu versöhne». Man müsse die Leute, behauptete er, nnr mit Vorsicht und
auf naturgemäßen, ruhigem Wege aufklären, sonst würden sie allen Glauben fah¬
ren lassen und es wäre um die Religiosität geschehen.

Der Philologe blieb die ganze Zeit über stumm und in sich gekehrt. Als
man ihn aufforderte, auch vou seinen Schicksalen zu erzählen, erwiderte er Folgendes:

„Ich war kaum einen Monat von der Hochschule zurück, so starb mein Vater,
ein armer Dorfpfarrer. Meine alte gute Mutter und zwei Schwestern sahen in
der ganzen Welt keinen Beschützer, als mich. Ich lehrte ihnen das Hungern.
Aber meine alte Mutter konnte das nicht so gut vertragen als wir Andern. Se.
Excllenz, der Graf A'. bot mir eine Hauslehrerstelle an, wenn ich seine beiden
Sohne deu Vorschriften des Standes und der Kirche gemäß erziehen wolle. Ich
nahm die Stelle an und habe meine Gesinnung für Brot verkauft. Das ist Alles."

Er sprang ans, um eine Thräne nicht sehen zu lassen, die sich seinem Ange
entwand. Ich eilte ihm nach, und noch fühle ich den fieberhaften Händedruck,
mit dem er Abschied von mir nahm.




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[0069] stachlicher Zeitungsphraseologie und tieferer philosophischer Grundbildung. Er ge¬ hörte zu der Partei Uhlich's und war grade damit beschäftigt, sich mit dem Sym- bolnm zu versöhne». Man müsse die Leute, behauptete er, nnr mit Vorsicht und auf naturgemäßen, ruhigem Wege aufklären, sonst würden sie allen Glauben fah¬ ren lassen und es wäre um die Religiosität geschehen. Der Philologe blieb die ganze Zeit über stumm und in sich gekehrt. Als man ihn aufforderte, auch vou seinen Schicksalen zu erzählen, erwiderte er Folgendes: „Ich war kaum einen Monat von der Hochschule zurück, so starb mein Vater, ein armer Dorfpfarrer. Meine alte gute Mutter und zwei Schwestern sahen in der ganzen Welt keinen Beschützer, als mich. Ich lehrte ihnen das Hungern. Aber meine alte Mutter konnte das nicht so gut vertragen als wir Andern. Se. Excllenz, der Graf A'. bot mir eine Hauslehrerstelle an, wenn ich seine beiden Sohne deu Vorschriften des Standes und der Kirche gemäß erziehen wolle. Ich nahm die Stelle an und habe meine Gesinnung für Brot verkauft. Das ist Alles." Er sprang ans, um eine Thräne nicht sehen zu lassen, die sich seinem Ange entwand. Ich eilte ihm nach, und noch fühle ich den fieberhaften Händedruck, mit dem er Abschied von mir nahm.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/69>, abgerufen am 11.12.2024.