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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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weiht zu sein, da wir einmal darüber einig waren, unsern Kopf an den bestehen¬
den Zustände" zu zerschellen.

Ein halbes Dutzend Jahre später kam ich uach Berlin, um einen Verwandten
zu besuchen. Mein Blut war ruhig geworden, meine Ansichten fest und sicher.
Da ich ein technisches Fach ergriffen hatte, so brauchte ich dem Staatsdienst meine
Kräfte und Gesinnungen uicht zu opfern. Zudem hatte ich weder Frau noch
Braut, und so fehlten mir alle Bedingnisse, ein loyaler, gesinnungstüchtiger Phi¬
lister zu werde".

Ich war noch nicht lange in Berlin, als ich eine Einladung von einem meiner
alten Freunde, jenem schlesischen Gutsbesitzer bekam, welcher mir eine große Ueber-
raschung versprach. Ich ging nach Tivoli, dem Orte unseres Rendezvous, nach
jenem Vergnüguugshanse, das durch seine Feuerwerke und die Rupp'sche Auswei¬
sung sattsam bekannt ist. Kaum kann man sich meine Freude denken, als ich hier
meine fünf Bonner Freunde, jenen starren, republikanischen Verein, in traulicher
Gesellschaft sitzen sah.

Nach heftigen, stürmischen Umarmungen kam eine Masse von Fragen zur
Sprache, die sich auf unsere verschiedenen Lebensschicksale bezogen. Ich erinnerte
an unser Einhcitsgclübde, das wir bei nnserm Scheiden einander gegeben hatten,
und wurde erst durch die allgemeine Verstimmung, die dieser Reminiscenz folgte,
auf das Unpassende derselben aufmerksam gemacht.

Der westphälische Jurist hatte grade mit großem Lobe sein drittes Examen
gemacht und sich mit der Tochter eines Berliner Geheimeraths verlobt. Er meinte,
seit der Einführung des neuen öffentlichen und mündlichen Prozeß-Verfahrens
sei es ein Verbrechen, mit den bestehenden Verhältnissen unzufrieden zu sein.

Der schlesische Gutsbesitzer war uach Berlin gekommen, um sich zu einem
Laudrathsposten in seiner Heimath zu melden. In dieser Stellung l'öuue er, wie
er bemerkte, eifrig für die Hebung der unteren VvlkSt'lassen, für die materielle
Wohlfahrt des Kreises wirke", und diese Aussicht habe seinen Abscheu gegen deu
preußischen Bureankratismus überwunden. Ueberhaupt sei es ja für einen So¬
cialisten gleichgültig, ob er in einer Monarchie oder einer Republik lebe, wenn
er nur für das materielle Wohl des Volkes sorgen könne.

Der Mediciner hatte sich schon seit einigen Jahren in der Residenz angesie¬
delt, und seine Kundschaft erlaubte ihm, eine glänzende Equipage zu halten. Er
war Hausarzt in vielen vornehmen Häusern und glaubte, es wäre nur sein Beruf,
die kranken Körper der Reichen, uicht aber die Vorurtheile derselben zu Heilen.
Ich kaun jetzt manchen Armen, meinte er, Trost und Hülfe bringen, wozu ich
unbedingt nicht im Stande sein würde, wenn ich mich nicht in die bestehenden
Verhältnisse gefügt hätte.

Der lichtsreundliche Sachse sprach sehr viel von Abstraktionen und konkreten
Verhältnissen, vou ideellen Phantasten und reellen praktischen Reformen, von ober-


weiht zu sein, da wir einmal darüber einig waren, unsern Kopf an den bestehen¬
den Zustände» zu zerschellen.

Ein halbes Dutzend Jahre später kam ich uach Berlin, um einen Verwandten
zu besuchen. Mein Blut war ruhig geworden, meine Ansichten fest und sicher.
Da ich ein technisches Fach ergriffen hatte, so brauchte ich dem Staatsdienst meine
Kräfte und Gesinnungen uicht zu opfern. Zudem hatte ich weder Frau noch
Braut, und so fehlten mir alle Bedingnisse, ein loyaler, gesinnungstüchtiger Phi¬
lister zu werde«.

Ich war noch nicht lange in Berlin, als ich eine Einladung von einem meiner
alten Freunde, jenem schlesischen Gutsbesitzer bekam, welcher mir eine große Ueber-
raschung versprach. Ich ging nach Tivoli, dem Orte unseres Rendezvous, nach
jenem Vergnüguugshanse, das durch seine Feuerwerke und die Rupp'sche Auswei¬
sung sattsam bekannt ist. Kaum kann man sich meine Freude denken, als ich hier
meine fünf Bonner Freunde, jenen starren, republikanischen Verein, in traulicher
Gesellschaft sitzen sah.

Nach heftigen, stürmischen Umarmungen kam eine Masse von Fragen zur
Sprache, die sich auf unsere verschiedenen Lebensschicksale bezogen. Ich erinnerte
an unser Einhcitsgclübde, das wir bei nnserm Scheiden einander gegeben hatten,
und wurde erst durch die allgemeine Verstimmung, die dieser Reminiscenz folgte,
auf das Unpassende derselben aufmerksam gemacht.

Der westphälische Jurist hatte grade mit großem Lobe sein drittes Examen
gemacht und sich mit der Tochter eines Berliner Geheimeraths verlobt. Er meinte,
seit der Einführung des neuen öffentlichen und mündlichen Prozeß-Verfahrens
sei es ein Verbrechen, mit den bestehenden Verhältnissen unzufrieden zu sein.

Der schlesische Gutsbesitzer war uach Berlin gekommen, um sich zu einem
Laudrathsposten in seiner Heimath zu melden. In dieser Stellung l'öuue er, wie
er bemerkte, eifrig für die Hebung der unteren VvlkSt'lassen, für die materielle
Wohlfahrt des Kreises wirke», und diese Aussicht habe seinen Abscheu gegen deu
preußischen Bureankratismus überwunden. Ueberhaupt sei es ja für einen So¬
cialisten gleichgültig, ob er in einer Monarchie oder einer Republik lebe, wenn
er nur für das materielle Wohl des Volkes sorgen könne.

Der Mediciner hatte sich schon seit einigen Jahren in der Residenz angesie¬
delt, und seine Kundschaft erlaubte ihm, eine glänzende Equipage zu halten. Er
war Hausarzt in vielen vornehmen Häusern und glaubte, es wäre nur sein Beruf,
die kranken Körper der Reichen, uicht aber die Vorurtheile derselben zu Heilen.
Ich kaun jetzt manchen Armen, meinte er, Trost und Hülfe bringen, wozu ich
unbedingt nicht im Stande sein würde, wenn ich mich nicht in die bestehenden
Verhältnisse gefügt hätte.

Der lichtsreundliche Sachse sprach sehr viel von Abstraktionen und konkreten
Verhältnissen, vou ideellen Phantasten und reellen praktischen Reformen, von ober-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/68>, abgerufen am 22.07.2024.