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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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Prutz verwahrt sich ausdrücklich und wiederholt dagegen, als habe er mit
diesem Werk eine neue, wissenschaftliche Forschung geben wollen; sein Zweck sei
nnr gewesen, anzuregen, aufmerksam zu machen, auf das Gemüth zu wirke". Auch
eine solche Literatur hat ihre wesentliche Berechtigung in den Bedürfnissen des
Publikums. In seinen Urtheilen ist er stets gemäßigt zuweilen vielleicht in
zu hohen: Grade, wie z. B. in der Anelkennnng, die er Tieck zu Theil werden
läßt; stets unparteiisch, so weit das bei einem Mann von bestimmtem, ausge¬
prägtem Charakter möglich ist; eine Ausnahme macht nur das Urtheil über Heine,
nicht als ob wir die Strenge, mit welcher er die Frivolität dieses genialen Wild¬
fangs zu Rechte weist, irgendwie für ungerecht ausgeben wollten, aber er vergißt
darüber allzusehr die unvergänglichen Verdienste und den großen Einfluß des Dich¬
ters auf die Literatur gebührend zu würdigen. Pres hat sich außerdem bemüht,
überall einen logischen Zusammenhang in die Combination der literar-historischen
Thatsachen zu bringen, was ihm bei der Darstellung der neuern Philosophie vielleicht
am wenigsten gelungen ist, weil diese nebenbei zu behandeln immer ein mißliches
Unternehmen bleibt. Zuweilen ist seine Charakteristik sehr glücklich zu nennen, und es
findet sich sogar manches überraschend treffende Aper".!". Ueberall werden wir von
der Wärme, der innern Lebendigkeit der Ueberzeugung angesprochen. Aber überall
leuchtet auch ein Streben uach Popularität hervor, was wir bei einem geistvollen
nud gelehrten Mann in keiner Weise billigen können. Ich meine nicht, daß wir
fortfahren sollen, in der Schulsprache zu reden, so daß nnr el" Bruder Ma^on
den ander" versteht, aber wir sollen das Volk nicht verachten, wir sollen ihm zu¬
trauen, daß es, was vernü-nötig gedacht und klar ausgesprochen ist, auch verstehen
werde, wir sollen nicht die nahrhafte Speise zu einem Brei verdünnen, der nur
einem unausgebildeten VerdauuugSsyftcm zuträglich ist. Wie kauu ein Mann von
der Bildung, die Prrch besitzt, einen so saloppen Styl schreiben, wie er in diesen
Vorlesungen nnr allzuhäufig vorkommt. Wir wolle" nicht aus der Scylla in die
Charybdis gerathen; nicht ans der prctiösen Sprache der Olympier in die lieder¬
liche der allgemeinen deutschen Bibliothek oder der gemeinen Conversation.

Ein ungleich wertvolleres Werk in wissenschaftlicher Beziehung sind die
Vorlesungen über die Geschichte des deutscheu Theaters, von dem¬
selben Verfasser (Berlin, Duncker n. Humblot, 1847.) Auch sie sind ursprünglich
in Berlin gehalten, im Jahr 1846, aber sorgfältig durchgesehn und mit einer
Menge Anmerkungen vermehrt, die theils Excerpte ans den ältern, schon vergesse¬
nen Theaterstücken, theils biographische Notizen über Schauspieler und was sonst
in das Fach schlägt, theils statistische Theaternachrichten enthalten. Der Verfasser
beginnt mit den Fastnachtsspielen und Mysterien des Mittelalters, und schließt mit
dem Höhepunkt, den die deutsche Bühne durch das gemeinsame Wirken Goethe's
und Schiller's erreichte; wenigstens ist die folgende Zeit nnr sehr fragmentarisch
behandelt. Ueberall bemüht sich Pres, die Umgestaltungen des Theaters mit dem


Prutz verwahrt sich ausdrücklich und wiederholt dagegen, als habe er mit
diesem Werk eine neue, wissenschaftliche Forschung geben wollen; sein Zweck sei
nnr gewesen, anzuregen, aufmerksam zu machen, auf das Gemüth zu wirke». Auch
eine solche Literatur hat ihre wesentliche Berechtigung in den Bedürfnissen des
Publikums. In seinen Urtheilen ist er stets gemäßigt zuweilen vielleicht in
zu hohen: Grade, wie z. B. in der Anelkennnng, die er Tieck zu Theil werden
läßt; stets unparteiisch, so weit das bei einem Mann von bestimmtem, ausge¬
prägtem Charakter möglich ist; eine Ausnahme macht nur das Urtheil über Heine,
nicht als ob wir die Strenge, mit welcher er die Frivolität dieses genialen Wild¬
fangs zu Rechte weist, irgendwie für ungerecht ausgeben wollten, aber er vergißt
darüber allzusehr die unvergänglichen Verdienste und den großen Einfluß des Dich¬
ters auf die Literatur gebührend zu würdigen. Pres hat sich außerdem bemüht,
überall einen logischen Zusammenhang in die Combination der literar-historischen
Thatsachen zu bringen, was ihm bei der Darstellung der neuern Philosophie vielleicht
am wenigsten gelungen ist, weil diese nebenbei zu behandeln immer ein mißliches
Unternehmen bleibt. Zuweilen ist seine Charakteristik sehr glücklich zu nennen, und es
findet sich sogar manches überraschend treffende Aper«.!». Ueberall werden wir von
der Wärme, der innern Lebendigkeit der Ueberzeugung angesprochen. Aber überall
leuchtet auch ein Streben uach Popularität hervor, was wir bei einem geistvollen
nud gelehrten Mann in keiner Weise billigen können. Ich meine nicht, daß wir
fortfahren sollen, in der Schulsprache zu reden, so daß nnr el» Bruder Ma^on
den ander» versteht, aber wir sollen das Volk nicht verachten, wir sollen ihm zu¬
trauen, daß es, was vernü-nötig gedacht und klar ausgesprochen ist, auch verstehen
werde, wir sollen nicht die nahrhafte Speise zu einem Brei verdünnen, der nur
einem unausgebildeten VerdauuugSsyftcm zuträglich ist. Wie kauu ein Mann von
der Bildung, die Prrch besitzt, einen so saloppen Styl schreiben, wie er in diesen
Vorlesungen nnr allzuhäufig vorkommt. Wir wolle» nicht aus der Scylla in die
Charybdis gerathen; nicht ans der prctiösen Sprache der Olympier in die lieder¬
liche der allgemeinen deutschen Bibliothek oder der gemeinen Conversation.

Ein ungleich wertvolleres Werk in wissenschaftlicher Beziehung sind die
Vorlesungen über die Geschichte des deutscheu Theaters, von dem¬
selben Verfasser (Berlin, Duncker n. Humblot, 1847.) Auch sie sind ursprünglich
in Berlin gehalten, im Jahr 1846, aber sorgfältig durchgesehn und mit einer
Menge Anmerkungen vermehrt, die theils Excerpte ans den ältern, schon vergesse¬
nen Theaterstücken, theils biographische Notizen über Schauspieler und was sonst
in das Fach schlägt, theils statistische Theaternachrichten enthalten. Der Verfasser
beginnt mit den Fastnachtsspielen und Mysterien des Mittelalters, und schließt mit
dem Höhepunkt, den die deutsche Bühne durch das gemeinsame Wirken Goethe's
und Schiller's erreichte; wenigstens ist die folgende Zeit nnr sehr fragmentarisch
behandelt. Ueberall bemüht sich Pres, die Umgestaltungen des Theaters mit dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/62>, abgerufen am 03.07.2024.