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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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Die Eroberung bringt das Nationalgefühl erst zum Bewußtsein. Die römi¬
sche "Nationalität" steht erst kräftig da, nachdem die Gallier das Capitol bedroht
hatten; erhebt sich von Neuem mit Alles besiegender Macht, nachdem Hannibal vor
den Thoren Roms gestanden. Um die unsrige -- ist nicht viel Redens werth,
weil wir eigentlich an ihr doch nur selten recht krank waren. Hautkrankheiten ge¬
nug haben uns geplagt, ringsum an Arm und Bein, an Kopf und Brust; aber
krank, gefährlich kran? war Deutschland uur zweimal, einmal ganz jung und dann
in den letzten Tagen. Als die Römer bis an die Weser vordrangen, da galt es,
da durchschüttelte es Mark und Bein Germaniens, und die Folge waren die ersten
Versuche nationeller Vereinigung, die Zernichtung der Legionen des Varus und
endlich der Riesensturm aller germanischen Stämme gegen Rom bis zuletzt die
Weltstadt zerstört war. Vou da an wurde Deutschland nicht wieder erobert, sah
es keinen fremden Feind -- die Schweden und die Franzosen, in und nach
dem üttjährigen Kriege, kamen stets als -- gute Freunde -- mehr im Lande.
Deutschland litt an allerlei Uebeln, aber seine Nationalität blieb gesund. Erst
Napoleon griff sie, zum zweiten Male, seit Deutschland eine Geschichte hat, an,
und die Folge war die Völkerschlacht bei Leipzig und das neu erwachte National¬
gefühl Deutschlands. Nußland droht wie ein dunkler Schatten aus dem Norden,
Frankreich selbst denkt heute weniger an eine Eroberung in Deutschland als
Deutschland sich daran erinnert, daß Frankreich einst daran gedacht hat. Genug,
seit wir wieder einmal recht krank gewesen, sprechen wir viel von unserer Gesundheit,
unserer Nationalität. Es ist das gut und wir wollen hoffen, daß es dazu führt,
die nationale Leibes-Constitution Deutschlands verbessern zu helfen, damit
recht bald wieder die Zeit kommt, wo wir in Ruhe an etwas Anderes und Bes¬
seres denken können, als ewig an die Nationalität, an die Gesundheit, die uns
mangelt. --

Und so, lieber Angust, wäre meine "Kritik" zu Ende; nicht doch - - ich habe
uoch Eines auf dem Herzen. Sei nicht witzig! Du versuchst es ein paar Mal
nicht ohne dabei ein wenig roth zu werden. Es gibt Leute, die zu dergleichen ver¬
dorben sind und ich würde Dich und Dein Buch nicht halb so gerne haben, wenn
Du nicht eben zum Witze zu gut wärest. Lassen wir das Andern, die dazu ge¬
macht siud sich in der bunten Jacke zu Hause zu fühlen. Es muß auch Affen geben
im Laude der Bären. Du aber -- laß Dich nicht wieder gelüsten mit den Affen
tanzen zu wollen, lieber noch verzeihe ich denen, die mit den Wölfen heulen.

Und nun sei nicht böse, daß ich Dich so schlecht gemacht habe. Es ist nur
Vergeltung von wegen des "Selbstlobes," das Du uicht zukommen lassen wolltest


Deinem
A Venede").


Die Eroberung bringt das Nationalgefühl erst zum Bewußtsein. Die römi¬
sche „Nationalität" steht erst kräftig da, nachdem die Gallier das Capitol bedroht
hatten; erhebt sich von Neuem mit Alles besiegender Macht, nachdem Hannibal vor
den Thoren Roms gestanden. Um die unsrige — ist nicht viel Redens werth,
weil wir eigentlich an ihr doch nur selten recht krank waren. Hautkrankheiten ge¬
nug haben uns geplagt, ringsum an Arm und Bein, an Kopf und Brust; aber
krank, gefährlich kran? war Deutschland uur zweimal, einmal ganz jung und dann
in den letzten Tagen. Als die Römer bis an die Weser vordrangen, da galt es,
da durchschüttelte es Mark und Bein Germaniens, und die Folge waren die ersten
Versuche nationeller Vereinigung, die Zernichtung der Legionen des Varus und
endlich der Riesensturm aller germanischen Stämme gegen Rom bis zuletzt die
Weltstadt zerstört war. Vou da an wurde Deutschland nicht wieder erobert, sah
es keinen fremden Feind — die Schweden und die Franzosen, in und nach
dem üttjährigen Kriege, kamen stets als — gute Freunde — mehr im Lande.
Deutschland litt an allerlei Uebeln, aber seine Nationalität blieb gesund. Erst
Napoleon griff sie, zum zweiten Male, seit Deutschland eine Geschichte hat, an,
und die Folge war die Völkerschlacht bei Leipzig und das neu erwachte National¬
gefühl Deutschlands. Nußland droht wie ein dunkler Schatten aus dem Norden,
Frankreich selbst denkt heute weniger an eine Eroberung in Deutschland als
Deutschland sich daran erinnert, daß Frankreich einst daran gedacht hat. Genug,
seit wir wieder einmal recht krank gewesen, sprechen wir viel von unserer Gesundheit,
unserer Nationalität. Es ist das gut und wir wollen hoffen, daß es dazu führt,
die nationale Leibes-Constitution Deutschlands verbessern zu helfen, damit
recht bald wieder die Zeit kommt, wo wir in Ruhe an etwas Anderes und Bes¬
seres denken können, als ewig an die Nationalität, an die Gesundheit, die uns
mangelt. —

Und so, lieber Angust, wäre meine „Kritik" zu Ende; nicht doch - - ich habe
uoch Eines auf dem Herzen. Sei nicht witzig! Du versuchst es ein paar Mal
nicht ohne dabei ein wenig roth zu werden. Es gibt Leute, die zu dergleichen ver¬
dorben sind und ich würde Dich und Dein Buch nicht halb so gerne haben, wenn
Du nicht eben zum Witze zu gut wärest. Lassen wir das Andern, die dazu ge¬
macht siud sich in der bunten Jacke zu Hause zu fühlen. Es muß auch Affen geben
im Laude der Bären. Du aber — laß Dich nicht wieder gelüsten mit den Affen
tanzen zu wollen, lieber noch verzeihe ich denen, die mit den Wölfen heulen.

Und nun sei nicht böse, daß ich Dich so schlecht gemacht habe. Es ist nur
Vergeltung von wegen des „Selbstlobes," das Du uicht zukommen lassen wolltest


Deinem
A Venede«).


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[0538] Die Eroberung bringt das Nationalgefühl erst zum Bewußtsein. Die römi¬ sche „Nationalität" steht erst kräftig da, nachdem die Gallier das Capitol bedroht hatten; erhebt sich von Neuem mit Alles besiegender Macht, nachdem Hannibal vor den Thoren Roms gestanden. Um die unsrige — ist nicht viel Redens werth, weil wir eigentlich an ihr doch nur selten recht krank waren. Hautkrankheiten ge¬ nug haben uns geplagt, ringsum an Arm und Bein, an Kopf und Brust; aber krank, gefährlich kran? war Deutschland uur zweimal, einmal ganz jung und dann in den letzten Tagen. Als die Römer bis an die Weser vordrangen, da galt es, da durchschüttelte es Mark und Bein Germaniens, und die Folge waren die ersten Versuche nationeller Vereinigung, die Zernichtung der Legionen des Varus und endlich der Riesensturm aller germanischen Stämme gegen Rom bis zuletzt die Weltstadt zerstört war. Vou da an wurde Deutschland nicht wieder erobert, sah es keinen fremden Feind — die Schweden und die Franzosen, in und nach dem üttjährigen Kriege, kamen stets als — gute Freunde — mehr im Lande. Deutschland litt an allerlei Uebeln, aber seine Nationalität blieb gesund. Erst Napoleon griff sie, zum zweiten Male, seit Deutschland eine Geschichte hat, an, und die Folge war die Völkerschlacht bei Leipzig und das neu erwachte National¬ gefühl Deutschlands. Nußland droht wie ein dunkler Schatten aus dem Norden, Frankreich selbst denkt heute weniger an eine Eroberung in Deutschland als Deutschland sich daran erinnert, daß Frankreich einst daran gedacht hat. Genug, seit wir wieder einmal recht krank gewesen, sprechen wir viel von unserer Gesundheit, unserer Nationalität. Es ist das gut und wir wollen hoffen, daß es dazu führt, die nationale Leibes-Constitution Deutschlands verbessern zu helfen, damit recht bald wieder die Zeit kommt, wo wir in Ruhe an etwas Anderes und Bes¬ seres denken können, als ewig an die Nationalität, an die Gesundheit, die uns mangelt. — Und so, lieber Angust, wäre meine „Kritik" zu Ende; nicht doch - - ich habe uoch Eines auf dem Herzen. Sei nicht witzig! Du versuchst es ein paar Mal nicht ohne dabei ein wenig roth zu werden. Es gibt Leute, die zu dergleichen ver¬ dorben sind und ich würde Dich und Dein Buch nicht halb so gerne haben, wenn Du nicht eben zum Witze zu gut wärest. Lassen wir das Andern, die dazu ge¬ macht siud sich in der bunten Jacke zu Hause zu fühlen. Es muß auch Affen geben im Laude der Bären. Du aber — laß Dich nicht wieder gelüsten mit den Affen tanzen zu wollen, lieber noch verzeihe ich denen, die mit den Wölfen heulen. Und nun sei nicht böse, daß ich Dich so schlecht gemacht habe. Es ist nur Vergeltung von wegen des „Selbstlobes," das Du uicht zukommen lassen wolltest Deinem A Venede«).

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/538>, abgerufen am 03.07.2024.