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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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Der andere Grund, der ein ganz guter sein mag, ist wenigstens kein stich
baldiger. Ich meine das Klima. Es ist überhaupt verkehrt, diesem so viel als
gewöhnlich geschieht, zu Last zu legen. Da, wo heute die Spanier dem t>t>-
niknt" huldigen, waren einst Tausende von Webstühlen thätig; wo heute Spazier¬
gänge die Hauptsache siud, gab es einst Gilden- und Zunftfeste nach vollbrachter
Arbeit. Und jene deutsche Kolonie -- wie heißt sie gleich? -- die seit einem
Jahrhundert in Spanien lebt, und wo die Enkel hente so rüstig arbeiten, wie
vor Zeiten die Großväter, und deren Felder daher folgerecht eine Oase in der
sie umgebenden Wüste bilden? Das Klima ist daran nicht Schuld, sondern etwas
Anderes.

Und in diesem Andern, das die Ursache zugleich des "adeligen" Stolzes und
des "adeligen" Müßiganges in Spanien ist, liegt anch für mich der entscheidende
Beweggrund, warum ich fürchte, daß nicht viel vou der Zukunft dieses Volkes --
wenigstens auf Jahrhunderte hin, und bis ein gutes oder böses Geschick sie vou
Neuem durchgerüttelt hat, -- zu hoffen ist.

Mir war es, während ich mit Dir durch Spanien reiste, als ob die Zukunft
Englands sich vor uns öffnete; mir war es, als sähe ich in Spanien, was einst
auch in England Gegenwart sein wird. Die angelsächsische Eiche in dein feuchten
und gesunden Boden Albions ist ein Kernbanm, und sie wird, selbst an der Wur¬
zel und am Marke angefressen, lange hinkranken, ehe sie zusannneubricht. Ja sie
krankt und fault schon lange im Innern und dennoch steht sie noch immer da, so
stolz und mächtig, wie kaum ein anderer Baum der Erde. Aber das Niles ver¬
hindert nicht, daß ich in den Ruinen spanischer Größe im Geiste die Ruinen eng¬
lischer Größe vor meinen Augen zu sehen glaubte. Und zwar aus dem einfachen
Grunde, weil die innern Ursachen, die Spanien zernichtet haben, heute auch in
England in voller Thätigkeit sind. Sie heißen: Eroberung und Gold.

Jede Eroberung fällt ans die Eroberer zernichtend zurück, und wird in
der Regel für die Eroberten selbst -- wenn sie nicht ausnahmsweise wie die
Celten in England und einem Theile Frankreichs und die Rothhäute in Amerika
ausgerottet werden -- eine Ursache neuen Aufschwungs, Spanien wurde durch
seinen Kampf gegen die arabischen Eroberer groß und mächtig, und ist an seinen
eigenen Eroberungen, insbesondere an der Eroberung, die es einst für die schönste
Perle an seiner Krone ansehen durste, an Westindien untergegangen. Je leichter
eine Eroberung ist, je glänzender die ohne Mühe errungene Bente, desto größer
ist auch die Gefahr für die Eroberet In Westindien fanden die Spanier un¬
gezählte Schätze, alle Jahre kamen Flotten von Gold nach Spanien -- und
hundert Jahre später war Spanien zernichtet. Wozu sollte auch der Spa¬
nier arbeiten? Schickten doch die Minen Westindiens Jedem so viel Gold er
nur wünschen konnte. Die hohen Adeligen wurden so reich -- wie englische Lords
-- so reich, daß sie Königreiche hätten kaufen können > daß ganze Provinzen in


Der andere Grund, der ein ganz guter sein mag, ist wenigstens kein stich
baldiger. Ich meine das Klima. Es ist überhaupt verkehrt, diesem so viel als
gewöhnlich geschieht, zu Last zu legen. Da, wo heute die Spanier dem t>t>-
niknt» huldigen, waren einst Tausende von Webstühlen thätig; wo heute Spazier¬
gänge die Hauptsache siud, gab es einst Gilden- und Zunftfeste nach vollbrachter
Arbeit. Und jene deutsche Kolonie — wie heißt sie gleich? — die seit einem
Jahrhundert in Spanien lebt, und wo die Enkel hente so rüstig arbeiten, wie
vor Zeiten die Großväter, und deren Felder daher folgerecht eine Oase in der
sie umgebenden Wüste bilden? Das Klima ist daran nicht Schuld, sondern etwas
Anderes.

Und in diesem Andern, das die Ursache zugleich des „adeligen" Stolzes und
des „adeligen" Müßiganges in Spanien ist, liegt anch für mich der entscheidende
Beweggrund, warum ich fürchte, daß nicht viel vou der Zukunft dieses Volkes —
wenigstens auf Jahrhunderte hin, und bis ein gutes oder böses Geschick sie vou
Neuem durchgerüttelt hat, — zu hoffen ist.

Mir war es, während ich mit Dir durch Spanien reiste, als ob die Zukunft
Englands sich vor uns öffnete; mir war es, als sähe ich in Spanien, was einst
auch in England Gegenwart sein wird. Die angelsächsische Eiche in dein feuchten
und gesunden Boden Albions ist ein Kernbanm, und sie wird, selbst an der Wur¬
zel und am Marke angefressen, lange hinkranken, ehe sie zusannneubricht. Ja sie
krankt und fault schon lange im Innern und dennoch steht sie noch immer da, so
stolz und mächtig, wie kaum ein anderer Baum der Erde. Aber das Niles ver¬
hindert nicht, daß ich in den Ruinen spanischer Größe im Geiste die Ruinen eng¬
lischer Größe vor meinen Augen zu sehen glaubte. Und zwar aus dem einfachen
Grunde, weil die innern Ursachen, die Spanien zernichtet haben, heute auch in
England in voller Thätigkeit sind. Sie heißen: Eroberung und Gold.

Jede Eroberung fällt ans die Eroberer zernichtend zurück, und wird in
der Regel für die Eroberten selbst — wenn sie nicht ausnahmsweise wie die
Celten in England und einem Theile Frankreichs und die Rothhäute in Amerika
ausgerottet werden — eine Ursache neuen Aufschwungs, Spanien wurde durch
seinen Kampf gegen die arabischen Eroberer groß und mächtig, und ist an seinen
eigenen Eroberungen, insbesondere an der Eroberung, die es einst für die schönste
Perle an seiner Krone ansehen durste, an Westindien untergegangen. Je leichter
eine Eroberung ist, je glänzender die ohne Mühe errungene Bente, desto größer
ist auch die Gefahr für die Eroberet In Westindien fanden die Spanier un¬
gezählte Schätze, alle Jahre kamen Flotten von Gold nach Spanien — und
hundert Jahre später war Spanien zernichtet. Wozu sollte auch der Spa¬
nier arbeiten? Schickten doch die Minen Westindiens Jedem so viel Gold er
nur wünschen konnte. Die hohen Adeligen wurden so reich — wie englische Lords
— so reich, daß sie Königreiche hätten kaufen können > daß ganze Provinzen in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/536>, abgerufen am 22.07.2024.