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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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als sei dies noch offenbarer eine Art Selbstlob, da ja unser Freund meinen Na¬
men neben dem seinigen dem Buche vorgedruckt hatte.

"Aber somit genügt es, daß ein Freund Dich und Du ihn gerne habest,
damit er der Handreichung, die Du ihm gewähren könntest, nothwendig entbeh¬
ren müsse?" -- das ist verkehrt -- und deswegen will ich diesmal mich selbst
besingen und sagen, was daran ist: "Das Buch ist gut -- obgleich der Ver¬
sasser mein Freund ist."

Hiernach sollte nun die "Kritik" kommen. Und ich denke sie wird kommen;
aber es ist mir doch nicht eigentlich um's Kritisiren zu thun. -- So lange Du
hier in Paris warst, plauderten wir manchmal über die Bücher, die wir lasen.
Da Dn nun weggezogen bist, will ich ein paar Gedanken, die ich, wenn Du
hier wärest, auf unseren Spaziergängen oder vor dem Kaminfeuer mit Dir durch¬
geplaudert hätte, Dir durch die Zeitung zukommen lassen. Ich hoffe, die Leser
sollen dabei nicht mehr verlieren, als wenn Andere ihnen Anderes vorlegten.

Mir scheint es, als ob Dein Artikel über Spanien im Ganzen zu milde
ausfalle. Ich ahnte das Gefühl, das Dich hier beherrscht. Du siehst in unse¬
rem Vaterlande mit hoffnungsreichen Blicke in die Zukunft; die Gegenwart aber
ist oft so elend, die Menschen sind oft so demüthig, daß trotz des festesten Ver¬
trauens dennoch mitunter Zweifel in Dir ob der Zukunft aufsteigen. Und diese
Zweifel machen Dich bescheiden dem fremden Volle gegenüber. Das ist gewiß
höchst edel, höchst christlich -- nimm's nicht übel, lieber August, -- aber es
ist christlich, denn Dn willst Anderen nicht thun, was Du nicht magst, das
man Dir thue. Und doch ist diese Bescheidenheit vom Bösen und verleitet Dich
zu Fehlschlüssen. Dn siehst die kecke Art, mit der jeder Spanier anstritt, denkst
an die Demuth, die so oft in Deutschland herrscht, und schließt: O wenn die
Deutschen nur ein Fünkchen von diesem "Adelsstolze" hätten! -- Dein Nitter-
blut kommt mit in's Spiel und verleitet Dich noch mehr zum bösen -- Schlüsse.
Aber mir scheint es, als ob in dieser "Einzeln-Keckheit", in diesem allgemei¬
nen "Hidalgostolze" des Spaniers eine der Hauptursachen liege, daß Spanien
zu Nichts mehr kommen kann. Es ist keine Disciplin mehr in diesem Lande
möglich -- jeder ist ein Held, ein "Ritter", aber wo sie zu Tausenden sind, ma¬
chen sie keine Tausend, sondern Eintauscndmal Einen "Ritter." Die "De¬
muth", die in Deutschland herrscht, ist oft vom Bösen, wo sie in unbewußtes
Aufgeben des eigenen Mannbewußtseins ausartet; aber wo sie selbstbewußte An¬
erkennung der eigenen Schwäche und Unzulänglichkeit ist, wo sie mit dem ruhigen
Unterordnen des kleinen Ichs im Andenken und zum Besten des großen Alls
Hand in Hand geht, da ist die Einfalt und die Demuth die erste Bedingung
der Gesammtkraft -- der Disciplin, um das dumme, oft mißbrauchte
Fremdwort in Ehren zu halten. Es gibt Hundedemuth und Menschende-
muth; jene war freilich eine Zeitlang in Deutschland "Mode", und hat schlimme


als sei dies noch offenbarer eine Art Selbstlob, da ja unser Freund meinen Na¬
men neben dem seinigen dem Buche vorgedruckt hatte.

„Aber somit genügt es, daß ein Freund Dich und Du ihn gerne habest,
damit er der Handreichung, die Du ihm gewähren könntest, nothwendig entbeh¬
ren müsse?" — das ist verkehrt — und deswegen will ich diesmal mich selbst
besingen und sagen, was daran ist: „Das Buch ist gut — obgleich der Ver¬
sasser mein Freund ist."

Hiernach sollte nun die „Kritik" kommen. Und ich denke sie wird kommen;
aber es ist mir doch nicht eigentlich um's Kritisiren zu thun. — So lange Du
hier in Paris warst, plauderten wir manchmal über die Bücher, die wir lasen.
Da Dn nun weggezogen bist, will ich ein paar Gedanken, die ich, wenn Du
hier wärest, auf unseren Spaziergängen oder vor dem Kaminfeuer mit Dir durch¬
geplaudert hätte, Dir durch die Zeitung zukommen lassen. Ich hoffe, die Leser
sollen dabei nicht mehr verlieren, als wenn Andere ihnen Anderes vorlegten.

Mir scheint es, als ob Dein Artikel über Spanien im Ganzen zu milde
ausfalle. Ich ahnte das Gefühl, das Dich hier beherrscht. Du siehst in unse¬
rem Vaterlande mit hoffnungsreichen Blicke in die Zukunft; die Gegenwart aber
ist oft so elend, die Menschen sind oft so demüthig, daß trotz des festesten Ver¬
trauens dennoch mitunter Zweifel in Dir ob der Zukunft aufsteigen. Und diese
Zweifel machen Dich bescheiden dem fremden Volle gegenüber. Das ist gewiß
höchst edel, höchst christlich — nimm's nicht übel, lieber August, — aber es
ist christlich, denn Dn willst Anderen nicht thun, was Du nicht magst, das
man Dir thue. Und doch ist diese Bescheidenheit vom Bösen und verleitet Dich
zu Fehlschlüssen. Dn siehst die kecke Art, mit der jeder Spanier anstritt, denkst
an die Demuth, die so oft in Deutschland herrscht, und schließt: O wenn die
Deutschen nur ein Fünkchen von diesem „Adelsstolze" hätten! — Dein Nitter-
blut kommt mit in's Spiel und verleitet Dich noch mehr zum bösen — Schlüsse.
Aber mir scheint es, als ob in dieser „Einzeln-Keckheit", in diesem allgemei¬
nen „Hidalgostolze" des Spaniers eine der Hauptursachen liege, daß Spanien
zu Nichts mehr kommen kann. Es ist keine Disciplin mehr in diesem Lande
möglich — jeder ist ein Held, ein „Ritter", aber wo sie zu Tausenden sind, ma¬
chen sie keine Tausend, sondern Eintauscndmal Einen „Ritter." Die „De¬
muth", die in Deutschland herrscht, ist oft vom Bösen, wo sie in unbewußtes
Aufgeben des eigenen Mannbewußtseins ausartet; aber wo sie selbstbewußte An¬
erkennung der eigenen Schwäche und Unzulänglichkeit ist, wo sie mit dem ruhigen
Unterordnen des kleinen Ichs im Andenken und zum Besten des großen Alls
Hand in Hand geht, da ist die Einfalt und die Demuth die erste Bedingung
der Gesammtkraft — der Disciplin, um das dumme, oft mißbrauchte
Fremdwort in Ehren zu halten. Es gibt Hundedemuth und Menschende-
muth; jene war freilich eine Zeitlang in Deutschland „Mode", und hat schlimme


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/534>, abgerufen am 22.07.2024.