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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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toi. negativ wohl; wenigstens wenn sie ein Ausdehnung bedeutend gewinnen,
können sie die Augen öffnen über das Verhältniß der Doctrin zum wirklichen Be¬
wußtsein der Masse, obgleich auch hier mit der bloßen Opposition nicht viel ge¬
wonnen ist, da die Elasticität des Glaubens, der positiven, inhaltreichen Ueber¬
zeugung sehlt. Aber sie haben das Mißliche, daß sie die Thätigkeit von dem
reellen, praktischen, politischen Interesse abwenden, und es auf eingebildete oder
wenigstens sehr unbestimmte Gegenstände richten.

Wir dürfen aber nicht vergessen, daß die Führer der Bewegung verpflichtet
sind, auf den Inhalt der vorhandenen Interessen Rücksicht zu nehmen; daß die
Deutschen von jeher leichter bei den himmlischen Dingen zu fassen waren, als bei
den irdischen.

Am wenigsten aber kann es uns einfallen, von dem Katheder der Schulweis¬
heit herab auf die Ueberzeugung einfacher, vernünftiger Menschen herabzublicken und
sie oberflächlich zu nennen, weil sie von dem Teufel, vou dem irdischen Jammer¬
thal, von der Pflicht der Selbstkreuzigung und ähnlichen Geschichten, die sich in
Romanen immer besser ausnehmen als im Leben, weder mystisch noch symbolisch
etwas wissen wollen. Die sogenannte "Tiefe" des deutschen Geistes war in der
Regel Unklarheit und Verkehrtheit, und die Ueberwcisheit unserer Gelehrten war
nie einfältiger, als wenn sie die ganze Welt zu ihren Füßen zu sehen glaubte.

Wenn wir also auch eben so wenig zu den constituirten Lichtfreunden uns
einschreiben lassen wollen, als zu den heiligen Conventikeln der exclusiver Fröm¬
migkeit, so wollen wir sie doch als unsere Brüder anerkennen im Kampf gegen
die Heuchelei der Sophistik und gegen die gleißnerische Romantik der Reaction,
als Brüder im wackern Kampfe für das Recht des Menschen, sich seine Götter zu
denken uach seinem Bilde. Sie mögen gebildet oder ungebildet, gelehrt oder ein¬
fältig sein, die modernen Jesuiten sollen sie nicht der heiligen Rechte berauben,
die der Mensch nicht veräußern kann; der Staat soll nicht zum zweiten Mal, wie
zu den Zeiten des seligen Wöllner, in die Knechtschaft seiner Theologen gerathen.




toi. negativ wohl; wenigstens wenn sie ein Ausdehnung bedeutend gewinnen,
können sie die Augen öffnen über das Verhältniß der Doctrin zum wirklichen Be¬
wußtsein der Masse, obgleich auch hier mit der bloßen Opposition nicht viel ge¬
wonnen ist, da die Elasticität des Glaubens, der positiven, inhaltreichen Ueber¬
zeugung sehlt. Aber sie haben das Mißliche, daß sie die Thätigkeit von dem
reellen, praktischen, politischen Interesse abwenden, und es auf eingebildete oder
wenigstens sehr unbestimmte Gegenstände richten.

Wir dürfen aber nicht vergessen, daß die Führer der Bewegung verpflichtet
sind, auf den Inhalt der vorhandenen Interessen Rücksicht zu nehmen; daß die
Deutschen von jeher leichter bei den himmlischen Dingen zu fassen waren, als bei
den irdischen.

Am wenigsten aber kann es uns einfallen, von dem Katheder der Schulweis¬
heit herab auf die Ueberzeugung einfacher, vernünftiger Menschen herabzublicken und
sie oberflächlich zu nennen, weil sie von dem Teufel, vou dem irdischen Jammer¬
thal, von der Pflicht der Selbstkreuzigung und ähnlichen Geschichten, die sich in
Romanen immer besser ausnehmen als im Leben, weder mystisch noch symbolisch
etwas wissen wollen. Die sogenannte „Tiefe" des deutschen Geistes war in der
Regel Unklarheit und Verkehrtheit, und die Ueberwcisheit unserer Gelehrten war
nie einfältiger, als wenn sie die ganze Welt zu ihren Füßen zu sehen glaubte.

Wenn wir also auch eben so wenig zu den constituirten Lichtfreunden uns
einschreiben lassen wollen, als zu den heiligen Conventikeln der exclusiver Fröm¬
migkeit, so wollen wir sie doch als unsere Brüder anerkennen im Kampf gegen
die Heuchelei der Sophistik und gegen die gleißnerische Romantik der Reaction,
als Brüder im wackern Kampfe für das Recht des Menschen, sich seine Götter zu
denken uach seinem Bilde. Sie mögen gebildet oder ungebildet, gelehrt oder ein¬
fältig sein, die modernen Jesuiten sollen sie nicht der heiligen Rechte berauben,
die der Mensch nicht veräußern kann; der Staat soll nicht zum zweiten Mal, wie
zu den Zeiten des seligen Wöllner, in die Knechtschaft seiner Theologen gerathen.




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[0528] toi. negativ wohl; wenigstens wenn sie ein Ausdehnung bedeutend gewinnen, können sie die Augen öffnen über das Verhältniß der Doctrin zum wirklichen Be¬ wußtsein der Masse, obgleich auch hier mit der bloßen Opposition nicht viel ge¬ wonnen ist, da die Elasticität des Glaubens, der positiven, inhaltreichen Ueber¬ zeugung sehlt. Aber sie haben das Mißliche, daß sie die Thätigkeit von dem reellen, praktischen, politischen Interesse abwenden, und es auf eingebildete oder wenigstens sehr unbestimmte Gegenstände richten. Wir dürfen aber nicht vergessen, daß die Führer der Bewegung verpflichtet sind, auf den Inhalt der vorhandenen Interessen Rücksicht zu nehmen; daß die Deutschen von jeher leichter bei den himmlischen Dingen zu fassen waren, als bei den irdischen. Am wenigsten aber kann es uns einfallen, von dem Katheder der Schulweis¬ heit herab auf die Ueberzeugung einfacher, vernünftiger Menschen herabzublicken und sie oberflächlich zu nennen, weil sie von dem Teufel, vou dem irdischen Jammer¬ thal, von der Pflicht der Selbstkreuzigung und ähnlichen Geschichten, die sich in Romanen immer besser ausnehmen als im Leben, weder mystisch noch symbolisch etwas wissen wollen. Die sogenannte „Tiefe" des deutschen Geistes war in der Regel Unklarheit und Verkehrtheit, und die Ueberwcisheit unserer Gelehrten war nie einfältiger, als wenn sie die ganze Welt zu ihren Füßen zu sehen glaubte. Wenn wir also auch eben so wenig zu den constituirten Lichtfreunden uns einschreiben lassen wollen, als zu den heiligen Conventikeln der exclusiver Fröm¬ migkeit, so wollen wir sie doch als unsere Brüder anerkennen im Kampf gegen die Heuchelei der Sophistik und gegen die gleißnerische Romantik der Reaction, als Brüder im wackern Kampfe für das Recht des Menschen, sich seine Götter zu denken uach seinem Bilde. Sie mögen gebildet oder ungebildet, gelehrt oder ein¬ fältig sein, die modernen Jesuiten sollen sie nicht der heiligen Rechte berauben, die der Mensch nicht veräußern kann; der Staat soll nicht zum zweiten Mal, wie zu den Zeiten des seligen Wöllner, in die Knechtschaft seiner Theologen gerathen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/528>, abgerufen am 22.07.2024.