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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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bekennen müssen, daß viele Völkerstämme zu einer solchen Constituirung entwe¬
der gar nicht gelangten oder den schwächlichen Bau nicht zu erhalten im Stande
waren; wie denn endlich, daß auch unzählige von ihnen, ja die meisten erst nach
Vermischung mit andern ein Gesammtleben, eine Nationalität auszuprägen ver¬
mochten, daß daher uicht die Ueberbleibsel von Sprache und Sitte, uicht die Re¬
miniscenzen früherer Unabhängigkeit und Größe allein hinreichen können, um den
stets gewagten und schwierigen Versuch zu rechtfertigen, einer Nation wieder Leben
einzuhauchen, die uun einmal, gleichviel auf welche Art, ihrer politischen Existenz
verlichig wurde oder auch uur ihr freiwillig entsagte. Deshalb kann das vielfach
mißbrauchte und gedeutete Wort "Nationalität" nur dann seinem Sinn
entsprechen, wenn damit die Lebensäußerung eines selbstständigen organischen
Körpers, dessen Unabhängigkeit und Macht die Individualisirung und Selbstbe¬
stimmung eines Volkes gestatten, verstanden wird. Und gerade dadurch muß es
klar werden, daß alles Andere in seinen unzähligen Abstufungen nur das fortge¬
setzte Scheinleben der Völker sei, wenn gleich eine krankhafte Empfindlichkeit,
eine verzeihliche Eitelkeit dies nicht anerkennen und noch weniger eingestehen will.

Hieraus aber wird man sicherlich zu dem Verständniß gelangen, daß die Fort¬
bildung von Sprache und Literatur nicht allein ans den statistischen Verhältnissen
der Kopfzahl und Laudesgröße beruhe, souderu vor Allem uur in dem Grade ge¬
deihen könne, als die Elemente jener wahrhaftigen und echten Nationalität, welche
wir oben näher bezeichneten, wirklich vorhanden sind. Denn so wie der Mensch
seiner frcieigenen Persönlichkeit bedarf, geistige Produkte hervorzubringen, bedarf
ihrer auch der potenzirte Mensch: DaS Volk, oder besser die Nation, d. i. ein
zum Ganzen, zur Persönlichkeit gewordenes Volk. Der Erfolg wird es übrigens
lehren, ob die Versuche, Sprache und Literatur dort zu hebe", wo nun einmal die
Vorbedingungen fehlen, das gewünschte Resultat geben, ob die Anstrengungen der
österreichischen Slaven wirklich ihnen oder Rußland zu Gute kommen, ob die edle
Magyaren-Sprache in ihrer Vereinzelung trotz des viel größeren Eigcnthümlich-
keits- und Unabhängigteitöschatzes, den sich Ungarn bewahrte, einer nachhaltigen
Entfaltung sähig sei.

Sollten die Versuche nicht nach Wunsch gelingen, so werden sie doch dazu bei¬
getragen haben, dem unfruchtbaren Spiele mit Pseudo-Nationalitäten ein Ziel zu
stecken und die Bande sicherlich nur enger ziehen helfen, die Oesterreichs Völker¬
schaften jetzt verbinden -- es wäre denn, daß wirklich Abtrennung das Ziel der
Leiter sei, wo dann freilich erst aus den Greueln eines Bürgerkrieges die Consoli-
dirung des Vorhandenen oder eine ganz neue Gestaltung der Dinge hervorgehen
müßte. --

Ist die hier dargelegte Ansicht die richtige, so wird anch die sich in den öster¬
reichischen Provinzen kundgebende Bewegung, die in dem kräftigeren Auftreten ih¬
rer Landstände am deutlichsten hervortritt, trotz ihres bisherigen, fast ausschließlich


bekennen müssen, daß viele Völkerstämme zu einer solchen Constituirung entwe¬
der gar nicht gelangten oder den schwächlichen Bau nicht zu erhalten im Stande
waren; wie denn endlich, daß auch unzählige von ihnen, ja die meisten erst nach
Vermischung mit andern ein Gesammtleben, eine Nationalität auszuprägen ver¬
mochten, daß daher uicht die Ueberbleibsel von Sprache und Sitte, uicht die Re¬
miniscenzen früherer Unabhängigkeit und Größe allein hinreichen können, um den
stets gewagten und schwierigen Versuch zu rechtfertigen, einer Nation wieder Leben
einzuhauchen, die uun einmal, gleichviel auf welche Art, ihrer politischen Existenz
verlichig wurde oder auch uur ihr freiwillig entsagte. Deshalb kann das vielfach
mißbrauchte und gedeutete Wort „Nationalität" nur dann seinem Sinn
entsprechen, wenn damit die Lebensäußerung eines selbstständigen organischen
Körpers, dessen Unabhängigkeit und Macht die Individualisirung und Selbstbe¬
stimmung eines Volkes gestatten, verstanden wird. Und gerade dadurch muß es
klar werden, daß alles Andere in seinen unzähligen Abstufungen nur das fortge¬
setzte Scheinleben der Völker sei, wenn gleich eine krankhafte Empfindlichkeit,
eine verzeihliche Eitelkeit dies nicht anerkennen und noch weniger eingestehen will.

Hieraus aber wird man sicherlich zu dem Verständniß gelangen, daß die Fort¬
bildung von Sprache und Literatur nicht allein ans den statistischen Verhältnissen
der Kopfzahl und Laudesgröße beruhe, souderu vor Allem uur in dem Grade ge¬
deihen könne, als die Elemente jener wahrhaftigen und echten Nationalität, welche
wir oben näher bezeichneten, wirklich vorhanden sind. Denn so wie der Mensch
seiner frcieigenen Persönlichkeit bedarf, geistige Produkte hervorzubringen, bedarf
ihrer auch der potenzirte Mensch: DaS Volk, oder besser die Nation, d. i. ein
zum Ganzen, zur Persönlichkeit gewordenes Volk. Der Erfolg wird es übrigens
lehren, ob die Versuche, Sprache und Literatur dort zu hebe», wo nun einmal die
Vorbedingungen fehlen, das gewünschte Resultat geben, ob die Anstrengungen der
österreichischen Slaven wirklich ihnen oder Rußland zu Gute kommen, ob die edle
Magyaren-Sprache in ihrer Vereinzelung trotz des viel größeren Eigcnthümlich-
keits- und Unabhängigteitöschatzes, den sich Ungarn bewahrte, einer nachhaltigen
Entfaltung sähig sei.

Sollten die Versuche nicht nach Wunsch gelingen, so werden sie doch dazu bei¬
getragen haben, dem unfruchtbaren Spiele mit Pseudo-Nationalitäten ein Ziel zu
stecken und die Bande sicherlich nur enger ziehen helfen, die Oesterreichs Völker¬
schaften jetzt verbinden — es wäre denn, daß wirklich Abtrennung das Ziel der
Leiter sei, wo dann freilich erst aus den Greueln eines Bürgerkrieges die Consoli-
dirung des Vorhandenen oder eine ganz neue Gestaltung der Dinge hervorgehen
müßte. —

Ist die hier dargelegte Ansicht die richtige, so wird anch die sich in den öster¬
reichischen Provinzen kundgebende Bewegung, die in dem kräftigeren Auftreten ih¬
rer Landstände am deutlichsten hervortritt, trotz ihres bisherigen, fast ausschließlich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/508>, abgerufen am 22.07.2024.