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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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der Nation und vor Allem der klaffende Riß entgegen, welcher seit den letzten Er¬
eignissen die beiden mächtigsten socialen Schichten getrennt hat. Reiche, welche in
sich selbst zusammenbrachen, sind nie wieder erstanden. Polen ist in dem Fall; denn
niemals war die Theilung Polens möglich ohne die im Innern dieses unglücklichen
Landes vorhergegangene Zersetzung.

Die Republik Venedig wird auch nicht wieder erstehen, so wenig als die
Lombardei sich wieder in ihre ehemaligen kleinen Gebiete zerbröckeln wird. Aber
ein großes, ein einiges Italien kann sich zusammenfinden, so wie "sich Frankreich
zusammenfand und Deutschland täglich an Einheit gewinnt. Doch lassen sich ver¬
schiedene Formen für diese Vereinigung denken; und Dank sei es dem Lichte der
Aufklärung, den Fortschritten der Menschheit, nicht immer bedarf es des Zerrei-
ßens der alten Bande, um in neue Verhältnisse überzutreten; die geistige Macht
steht heutzutage höher als die materielle -- Eroberungen geschehen nicht mehr
durch Kanonen allein, sondern weit dauernder und ausgedehnter unter der Aegide
höherer Potenzen. Der Geist der Assoziativ" bewirkt täglich neue Wunder und
verbreitet sich eben darum immer mehr über den civilisirten Theil der Welt. Mit
ihm aber wächst auch die Neigung der Völker, sich bei gleichen Interessen enger
zu verbinden. Diese Neigung führt zum Frieden, nicht zum Kriege; sie öffnet
den Weg zur Verständigung, zur Ausgleichung der Gegensätze. Und wir wollen
hoffen, daß die gegenwärtige Bewegung, welche Italien erfaßt'bat, die gei¬
stigen und materiellen Bedürfnisse der Halbinsel in einer Weise befriedigen wird,
die ohne gewaltsame Zerstörung der vorhandenen Verhältnisse das gewünschte Ziel
erreicht, wohin wir denn auch eine den vorhandenen Rechten Rechnung tra¬
gende politische Vereinigung Italiens, sei es als Bundesstaat oder in anderer
Weise, zähle", damit es endlich uach.mehr als einem Jahrtausend aufhöre, frem¬
den Interessen dienstbar zu sein und endlich in den Stand gesetzt werde eine selbst-
ständige Politik verfolgen zu können. Doch warum sollte nicht eben so gut als
der deutsche Bund, der den deutschen Theil Oesterreichs in sich faßt, dereinst ein
italienischer Bund die italienischen Theile des Kaiserstaates in ähnlichem Verhältnisse
in sich fassen, wenn gegen überwiegende Einflüsse das Nöthige vorgekehrt wird.

Wir wollen jedoch in der nachfolgenden Bemerkung vou Galizien absehen.
Rechnet man diese beiden Gebiete ab, so wird man finden, daß der öster¬
reichische Staat sich fast durchgängig ans regelmäßigem friedlichem Wege durch
Belehnung, Erbverträge und Königswahlen in seiner jetzigen Gestalt zusammen¬
gefunden und seit einer Reihe von Jahrhunderten als ein Ganzes erhalten
hat. Wenn auch im Laufe der Zeit in einzelnen Theilen Kollisionen mit dem
Regenten vorkamen, so lagen ihnen zumeist Streitigkeiten wegen Religion oder
politischen Rechten zum Grunde, niemals aber das wirkliche Bedürfniß sich loszu¬
reißen oder gar andern Staaten anzuschließen. Wohl aber sehen wir die Völker
treu ausharren in Vedräuguiß und Noth an der Seite ihrer Fürsten und kein


der Nation und vor Allem der klaffende Riß entgegen, welcher seit den letzten Er¬
eignissen die beiden mächtigsten socialen Schichten getrennt hat. Reiche, welche in
sich selbst zusammenbrachen, sind nie wieder erstanden. Polen ist in dem Fall; denn
niemals war die Theilung Polens möglich ohne die im Innern dieses unglücklichen
Landes vorhergegangene Zersetzung.

Die Republik Venedig wird auch nicht wieder erstehen, so wenig als die
Lombardei sich wieder in ihre ehemaligen kleinen Gebiete zerbröckeln wird. Aber
ein großes, ein einiges Italien kann sich zusammenfinden, so wie «sich Frankreich
zusammenfand und Deutschland täglich an Einheit gewinnt. Doch lassen sich ver¬
schiedene Formen für diese Vereinigung denken; und Dank sei es dem Lichte der
Aufklärung, den Fortschritten der Menschheit, nicht immer bedarf es des Zerrei-
ßens der alten Bande, um in neue Verhältnisse überzutreten; die geistige Macht
steht heutzutage höher als die materielle — Eroberungen geschehen nicht mehr
durch Kanonen allein, sondern weit dauernder und ausgedehnter unter der Aegide
höherer Potenzen. Der Geist der Assoziativ» bewirkt täglich neue Wunder und
verbreitet sich eben darum immer mehr über den civilisirten Theil der Welt. Mit
ihm aber wächst auch die Neigung der Völker, sich bei gleichen Interessen enger
zu verbinden. Diese Neigung führt zum Frieden, nicht zum Kriege; sie öffnet
den Weg zur Verständigung, zur Ausgleichung der Gegensätze. Und wir wollen
hoffen, daß die gegenwärtige Bewegung, welche Italien erfaßt'bat, die gei¬
stigen und materiellen Bedürfnisse der Halbinsel in einer Weise befriedigen wird,
die ohne gewaltsame Zerstörung der vorhandenen Verhältnisse das gewünschte Ziel
erreicht, wohin wir denn auch eine den vorhandenen Rechten Rechnung tra¬
gende politische Vereinigung Italiens, sei es als Bundesstaat oder in anderer
Weise, zähle», damit es endlich uach.mehr als einem Jahrtausend aufhöre, frem¬
den Interessen dienstbar zu sein und endlich in den Stand gesetzt werde eine selbst-
ständige Politik verfolgen zu können. Doch warum sollte nicht eben so gut als
der deutsche Bund, der den deutschen Theil Oesterreichs in sich faßt, dereinst ein
italienischer Bund die italienischen Theile des Kaiserstaates in ähnlichem Verhältnisse
in sich fassen, wenn gegen überwiegende Einflüsse das Nöthige vorgekehrt wird.

Wir wollen jedoch in der nachfolgenden Bemerkung vou Galizien absehen.
Rechnet man diese beiden Gebiete ab, so wird man finden, daß der öster¬
reichische Staat sich fast durchgängig ans regelmäßigem friedlichem Wege durch
Belehnung, Erbverträge und Königswahlen in seiner jetzigen Gestalt zusammen¬
gefunden und seit einer Reihe von Jahrhunderten als ein Ganzes erhalten
hat. Wenn auch im Laufe der Zeit in einzelnen Theilen Kollisionen mit dem
Regenten vorkamen, so lagen ihnen zumeist Streitigkeiten wegen Religion oder
politischen Rechten zum Grunde, niemals aber das wirkliche Bedürfniß sich loszu¬
reißen oder gar andern Staaten anzuschließen. Wohl aber sehen wir die Völker
treu ausharren in Vedräuguiß und Noth an der Seite ihrer Fürsten und kein


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[0502] der Nation und vor Allem der klaffende Riß entgegen, welcher seit den letzten Er¬ eignissen die beiden mächtigsten socialen Schichten getrennt hat. Reiche, welche in sich selbst zusammenbrachen, sind nie wieder erstanden. Polen ist in dem Fall; denn niemals war die Theilung Polens möglich ohne die im Innern dieses unglücklichen Landes vorhergegangene Zersetzung. Die Republik Venedig wird auch nicht wieder erstehen, so wenig als die Lombardei sich wieder in ihre ehemaligen kleinen Gebiete zerbröckeln wird. Aber ein großes, ein einiges Italien kann sich zusammenfinden, so wie «sich Frankreich zusammenfand und Deutschland täglich an Einheit gewinnt. Doch lassen sich ver¬ schiedene Formen für diese Vereinigung denken; und Dank sei es dem Lichte der Aufklärung, den Fortschritten der Menschheit, nicht immer bedarf es des Zerrei- ßens der alten Bande, um in neue Verhältnisse überzutreten; die geistige Macht steht heutzutage höher als die materielle — Eroberungen geschehen nicht mehr durch Kanonen allein, sondern weit dauernder und ausgedehnter unter der Aegide höherer Potenzen. Der Geist der Assoziativ» bewirkt täglich neue Wunder und verbreitet sich eben darum immer mehr über den civilisirten Theil der Welt. Mit ihm aber wächst auch die Neigung der Völker, sich bei gleichen Interessen enger zu verbinden. Diese Neigung führt zum Frieden, nicht zum Kriege; sie öffnet den Weg zur Verständigung, zur Ausgleichung der Gegensätze. Und wir wollen hoffen, daß die gegenwärtige Bewegung, welche Italien erfaßt'bat, die gei¬ stigen und materiellen Bedürfnisse der Halbinsel in einer Weise befriedigen wird, die ohne gewaltsame Zerstörung der vorhandenen Verhältnisse das gewünschte Ziel erreicht, wohin wir denn auch eine den vorhandenen Rechten Rechnung tra¬ gende politische Vereinigung Italiens, sei es als Bundesstaat oder in anderer Weise, zähle», damit es endlich uach.mehr als einem Jahrtausend aufhöre, frem¬ den Interessen dienstbar zu sein und endlich in den Stand gesetzt werde eine selbst- ständige Politik verfolgen zu können. Doch warum sollte nicht eben so gut als der deutsche Bund, der den deutschen Theil Oesterreichs in sich faßt, dereinst ein italienischer Bund die italienischen Theile des Kaiserstaates in ähnlichem Verhältnisse in sich fassen, wenn gegen überwiegende Einflüsse das Nöthige vorgekehrt wird. Wir wollen jedoch in der nachfolgenden Bemerkung vou Galizien absehen. Rechnet man diese beiden Gebiete ab, so wird man finden, daß der öster¬ reichische Staat sich fast durchgängig ans regelmäßigem friedlichem Wege durch Belehnung, Erbverträge und Königswahlen in seiner jetzigen Gestalt zusammen¬ gefunden und seit einer Reihe von Jahrhunderten als ein Ganzes erhalten hat. Wenn auch im Laufe der Zeit in einzelnen Theilen Kollisionen mit dem Regenten vorkamen, so lagen ihnen zumeist Streitigkeiten wegen Religion oder politischen Rechten zum Grunde, niemals aber das wirkliche Bedürfniß sich loszu¬ reißen oder gar andern Staaten anzuschließen. Wohl aber sehen wir die Völker treu ausharren in Vedräuguiß und Noth an der Seite ihrer Fürsten und kein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/502>, abgerufen am 22.07.2024.