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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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im in der mit Dünste" angefüllten Luft, ein Sprühregen von tausend-farbigem
Lichte fiel auf alle Umgebungen, und die kleinen in bleigefaßten Fensterscheiben,
des in alterthümlicher Holzarchitectur ausgeführten Bahnhofgebäudes, flimmerten
in goldenem Scheine.

Man glaubte bei diesem Baue, dem Charakter der alten Stadt gemäß, von
dem modernen massiven Style abweichen zu müssen. Die Ausführung dieser glück¬
lichen Idee würde man eine gelungene neunen können, wenn nicht ein dein Ent¬
würfe unangemessener, zu kleiner Maaßstab dabei zum Grunde gelegt wäre. Da¬
durch haben einzelne Theile, wie. die Eckthürmchen, ein zu miniatureö Aussehen
erhalten und das Gebäude wird bald für die Frequenz der Bahn nicht die nöthi¬
gen Räumlichkeiten mehr bieten.

"Glauben Sie uicht, in Hildesheim außer einem Glase Schenkenwein und
vielen reizenden Mädchengesichtern etwas ausgezeichnetes anzutreffen," hatte uns
ein Hannoveraner ans der Reisegesellschaft zugerufen. Wir gedachten dieser Worte
als unsere wenigen Reisceffceten in einem Gasthause untergebracht waren. Die
Dämmerung ward immer vollständiger von den dunkeln Mächten übermannt, deren
finsterer Herrschaft sich der Mensch am liebsten und zweckmäßigsten durch eine Flucht
in die Traumwelt entzieht. Auch wir entflohen ihrer Tyrannei, indem wir uns
bald unter den Schutz der mächtigen Rheinweiugeister von 1,8^5 stellten, die die
finstern Mächte mit dem größten Erfolge bekämpften. Rastlos wandelten sie die
grausigen Nebelbilder, mit denen der Nachtgeist schreckt, in possirliche, tanzende
Kobolde, seinen erstarrenden Athem in belebenden Wärmehanch.

Die Legende erzählt von einem Abt, daß er seine Gäste im Klostergarten be¬
wirthete, als jeder Lebenskeim vom Winterfroste gefangen gehalten wurde, daß er
deu Schnee, der die Beete deckte, vor ihren Augen zerrinnen, die Blumen blühen
und ihre Ohren deu Gesang der Vögel hören ließ. Dazu brauchte er uicht hei¬
lige Zauberei zu üben, wenn er nur den alten Rheinwein, der in seinen Kellern
lagerte, beim Gastmahle nicht gespart hat.

Lange hatten wir uns still deu Träumen, die das edle Nebenblut in uns
weckte, überlassen, da ward ich auf einen alten geistlich aussehenden Herrn auf¬
merksam. Mit seiner Flasche Rüdesheimer hatte er sich in den wohnlichsten Winkel
des Gemachs zurückgezogen. Ich näherte mich ihm und fand ihn sehr zugänglich.
Kaum hatte er bemerkt, welch' einen aufmerksamen Zuhörer ich abgab, als ich tau-
send wunderbare Geschichtchen zu hören bekam. Ein gutmüthiges, fein ironisches
Lächeln umspielte bei dem Vortrage seinen Mund. Er erzählte von dem tausend¬
jährigen Rosenstrauche, der noch jedes Jahr blüht, und dessen mächtige Wurzel¬
knollen uuter dem Hauptaltar des Domes liegeu, der heidnischen Jrmensänle und
den Kostbarkeiten, die in der Schatzkammer aufbewahrt werden. Hundert Mythen
wußte er an jeden Gegenstand zu knüpfen, und die Flüssigkeit, die er von Zeit zu
Zeit aus dem geschliffenen Römer sog, schien der lebhaften Färbung seines Berich-


im in der mit Dünste» angefüllten Luft, ein Sprühregen von tausend-farbigem
Lichte fiel auf alle Umgebungen, und die kleinen in bleigefaßten Fensterscheiben,
des in alterthümlicher Holzarchitectur ausgeführten Bahnhofgebäudes, flimmerten
in goldenem Scheine.

Man glaubte bei diesem Baue, dem Charakter der alten Stadt gemäß, von
dem modernen massiven Style abweichen zu müssen. Die Ausführung dieser glück¬
lichen Idee würde man eine gelungene neunen können, wenn nicht ein dein Ent¬
würfe unangemessener, zu kleiner Maaßstab dabei zum Grunde gelegt wäre. Da¬
durch haben einzelne Theile, wie. die Eckthürmchen, ein zu miniatureö Aussehen
erhalten und das Gebäude wird bald für die Frequenz der Bahn nicht die nöthi¬
gen Räumlichkeiten mehr bieten.

„Glauben Sie uicht, in Hildesheim außer einem Glase Schenkenwein und
vielen reizenden Mädchengesichtern etwas ausgezeichnetes anzutreffen," hatte uns
ein Hannoveraner ans der Reisegesellschaft zugerufen. Wir gedachten dieser Worte
als unsere wenigen Reisceffceten in einem Gasthause untergebracht waren. Die
Dämmerung ward immer vollständiger von den dunkeln Mächten übermannt, deren
finsterer Herrschaft sich der Mensch am liebsten und zweckmäßigsten durch eine Flucht
in die Traumwelt entzieht. Auch wir entflohen ihrer Tyrannei, indem wir uns
bald unter den Schutz der mächtigen Rheinweiugeister von 1,8^5 stellten, die die
finstern Mächte mit dem größten Erfolge bekämpften. Rastlos wandelten sie die
grausigen Nebelbilder, mit denen der Nachtgeist schreckt, in possirliche, tanzende
Kobolde, seinen erstarrenden Athem in belebenden Wärmehanch.

Die Legende erzählt von einem Abt, daß er seine Gäste im Klostergarten be¬
wirthete, als jeder Lebenskeim vom Winterfroste gefangen gehalten wurde, daß er
deu Schnee, der die Beete deckte, vor ihren Augen zerrinnen, die Blumen blühen
und ihre Ohren deu Gesang der Vögel hören ließ. Dazu brauchte er uicht hei¬
lige Zauberei zu üben, wenn er nur den alten Rheinwein, der in seinen Kellern
lagerte, beim Gastmahle nicht gespart hat.

Lange hatten wir uns still deu Träumen, die das edle Nebenblut in uns
weckte, überlassen, da ward ich auf einen alten geistlich aussehenden Herrn auf¬
merksam. Mit seiner Flasche Rüdesheimer hatte er sich in den wohnlichsten Winkel
des Gemachs zurückgezogen. Ich näherte mich ihm und fand ihn sehr zugänglich.
Kaum hatte er bemerkt, welch' einen aufmerksamen Zuhörer ich abgab, als ich tau-
send wunderbare Geschichtchen zu hören bekam. Ein gutmüthiges, fein ironisches
Lächeln umspielte bei dem Vortrage seinen Mund. Er erzählte von dem tausend¬
jährigen Rosenstrauche, der noch jedes Jahr blüht, und dessen mächtige Wurzel¬
knollen uuter dem Hauptaltar des Domes liegeu, der heidnischen Jrmensänle und
den Kostbarkeiten, die in der Schatzkammer aufbewahrt werden. Hundert Mythen
wußte er an jeden Gegenstand zu knüpfen, und die Flüssigkeit, die er von Zeit zu
Zeit aus dem geschliffenen Römer sog, schien der lebhaften Färbung seines Berich-


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[0422] im in der mit Dünste» angefüllten Luft, ein Sprühregen von tausend-farbigem Lichte fiel auf alle Umgebungen, und die kleinen in bleigefaßten Fensterscheiben, des in alterthümlicher Holzarchitectur ausgeführten Bahnhofgebäudes, flimmerten in goldenem Scheine. Man glaubte bei diesem Baue, dem Charakter der alten Stadt gemäß, von dem modernen massiven Style abweichen zu müssen. Die Ausführung dieser glück¬ lichen Idee würde man eine gelungene neunen können, wenn nicht ein dein Ent¬ würfe unangemessener, zu kleiner Maaßstab dabei zum Grunde gelegt wäre. Da¬ durch haben einzelne Theile, wie. die Eckthürmchen, ein zu miniatureö Aussehen erhalten und das Gebäude wird bald für die Frequenz der Bahn nicht die nöthi¬ gen Räumlichkeiten mehr bieten. „Glauben Sie uicht, in Hildesheim außer einem Glase Schenkenwein und vielen reizenden Mädchengesichtern etwas ausgezeichnetes anzutreffen," hatte uns ein Hannoveraner ans der Reisegesellschaft zugerufen. Wir gedachten dieser Worte als unsere wenigen Reisceffceten in einem Gasthause untergebracht waren. Die Dämmerung ward immer vollständiger von den dunkeln Mächten übermannt, deren finsterer Herrschaft sich der Mensch am liebsten und zweckmäßigsten durch eine Flucht in die Traumwelt entzieht. Auch wir entflohen ihrer Tyrannei, indem wir uns bald unter den Schutz der mächtigen Rheinweiugeister von 1,8^5 stellten, die die finstern Mächte mit dem größten Erfolge bekämpften. Rastlos wandelten sie die grausigen Nebelbilder, mit denen der Nachtgeist schreckt, in possirliche, tanzende Kobolde, seinen erstarrenden Athem in belebenden Wärmehanch. Die Legende erzählt von einem Abt, daß er seine Gäste im Klostergarten be¬ wirthete, als jeder Lebenskeim vom Winterfroste gefangen gehalten wurde, daß er deu Schnee, der die Beete deckte, vor ihren Augen zerrinnen, die Blumen blühen und ihre Ohren deu Gesang der Vögel hören ließ. Dazu brauchte er uicht hei¬ lige Zauberei zu üben, wenn er nur den alten Rheinwein, der in seinen Kellern lagerte, beim Gastmahle nicht gespart hat. Lange hatten wir uns still deu Träumen, die das edle Nebenblut in uns weckte, überlassen, da ward ich auf einen alten geistlich aussehenden Herrn auf¬ merksam. Mit seiner Flasche Rüdesheimer hatte er sich in den wohnlichsten Winkel des Gemachs zurückgezogen. Ich näherte mich ihm und fand ihn sehr zugänglich. Kaum hatte er bemerkt, welch' einen aufmerksamen Zuhörer ich abgab, als ich tau- send wunderbare Geschichtchen zu hören bekam. Ein gutmüthiges, fein ironisches Lächeln umspielte bei dem Vortrage seinen Mund. Er erzählte von dem tausend¬ jährigen Rosenstrauche, der noch jedes Jahr blüht, und dessen mächtige Wurzel¬ knollen uuter dem Hauptaltar des Domes liegeu, der heidnischen Jrmensänle und den Kostbarkeiten, die in der Schatzkammer aufbewahrt werden. Hundert Mythen wußte er an jeden Gegenstand zu knüpfen, und die Flüssigkeit, die er von Zeit zu Zeit aus dem geschliffenen Römer sog, schien der lebhaften Färbung seines Berich-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/422>, abgerufen am 12.12.2024.