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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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geht seinen Plänen, seinen Vergnügungen und seinem Interesse nach, wie zuvor,
und nirgends fleht man das Individuelle dem Ganzen aufgeopfert. Daß dies
aber der Fall sein kann, hat England in dem Kampfe gegen Napoleon dargethan.

In Irland sieht es indeß schlimm genug aus und um so schlimmer, weil man
durchaus noch nicht entdecken konnte, wo das Uebel am Erfolgreichsten anzugreifen
sei. -- Auf dem Wege der Erziehung? -- das ist ein sehr langsamer, der we¬
nigstens für den Augenblick keine Früchte tragen kann, und u l-t Cromwell da¬
zwischen fahren -- wie es vielen als nothwendig erscheint, -- das widerspricht den
Prinzipien, die man sonst aufrecht hält. Nun hat sich zum Unglück auch noch der
Pabst hinein gemischt, und deu englischen Journalen dadurch Veranlassung gegeben,
sich sehr bitter über ihn anzusprechen, und sein ganzes bisheriges Verfahren als
jesuitisch zu verdächtigen, -- ungefähr so, als wenn er den Völkern einen kleinen
Finger gereicht, um dafür die ganze Hand zu nehmen. Er hat nämlich ein Schrei¬
ben an die Geistlichkeit Irlands ergehe" lassen, worin er diese darauf aufmerksam
macht, wie gefährlich es sei, die Kinder die Nationalschnlen besuchen zu lassen,
wo sie in genauer Berührung mit den Protestanten sehr leicht verleitet werden
könnten, der Mutterkirche ungetreu zu werden. Der Earl von Arundel hat jetzt
eben einen Bries in die Times gerückt, worin er diese Maßregel des heiligen Va¬
ters vertheidigt, indem er aufstellt, daß jeder Vertreter und jeder Bischof der eng¬
lischen Hochkirche unter ähnlichen Umständen ein gleiches gethan haben würde,
und daß Pius IX. dem Glauben uach, den man bei ihm voraussetzen müsse, nicht
anders habe handeln können.

Ganz gewiß ist es aber darum doch, daß der Pabst in jetziger Zeit nicht leicht
etwas hätte thun können, was den Engländern anstößiger gewesen wäre. Sie
hofften viel für Irland von einer bessern Erziehung der untern Classen, und dach¬
ten dadurch den Einfluß einer unwissenden, bigotten und herrschsüchtigen Geistlich¬
keit zu schwächen, der man den größten Theil der bestehenden Uebelstände zu¬
schreibt und der man sogar die täglich sich häufenden Mordanschläge zur Last legt.

Die Hochkirche Englands hat aber auch ihre Leiden. Aus ihrem eigenen Schooße
gehen sehr viele zum katholischen Glauben über, und anderseits werden überall
Versuche gemacht, liberalem Ansichten in Glaubenssachen den Eingang zu ver¬
schaffen. So hat z. B. der Stadtrath von Edinburgh die unerhörte Kühnheit ge¬
habt, für die Universität einen neuen Professor der hebräischen Sprache zu wählen,
der die 36 Artikel nicht beschwören kann. So etwas läßt sich nicht so leicht hin-
nehmen, und dem orthodoxen England wird ganz schwül dabei zu Muthe. Wie
kann und wird Gott künftig noch ein Land beschützen, das so locker in seinen
Grundsätzen ist, und wie darf sich England künftig noch das christlichste Volk der
Welt nennen? -- Dazu ein Jude im Parlamente! -- Sogar die Universität Cam¬
bridge, die sonst nur wegen ihrer Professoren der Mathematik ausgezeichnet war,
und Studenten zuließ, die nicht die 3S Artikel beschwören konnten, hat plötzlich


geht seinen Plänen, seinen Vergnügungen und seinem Interesse nach, wie zuvor,
und nirgends fleht man das Individuelle dem Ganzen aufgeopfert. Daß dies
aber der Fall sein kann, hat England in dem Kampfe gegen Napoleon dargethan.

In Irland sieht es indeß schlimm genug aus und um so schlimmer, weil man
durchaus noch nicht entdecken konnte, wo das Uebel am Erfolgreichsten anzugreifen
sei. — Auf dem Wege der Erziehung? — das ist ein sehr langsamer, der we¬
nigstens für den Augenblick keine Früchte tragen kann, und u l-t Cromwell da¬
zwischen fahren — wie es vielen als nothwendig erscheint, — das widerspricht den
Prinzipien, die man sonst aufrecht hält. Nun hat sich zum Unglück auch noch der
Pabst hinein gemischt, und deu englischen Journalen dadurch Veranlassung gegeben,
sich sehr bitter über ihn anzusprechen, und sein ganzes bisheriges Verfahren als
jesuitisch zu verdächtigen, — ungefähr so, als wenn er den Völkern einen kleinen
Finger gereicht, um dafür die ganze Hand zu nehmen. Er hat nämlich ein Schrei¬
ben an die Geistlichkeit Irlands ergehe» lassen, worin er diese darauf aufmerksam
macht, wie gefährlich es sei, die Kinder die Nationalschnlen besuchen zu lassen,
wo sie in genauer Berührung mit den Protestanten sehr leicht verleitet werden
könnten, der Mutterkirche ungetreu zu werden. Der Earl von Arundel hat jetzt
eben einen Bries in die Times gerückt, worin er diese Maßregel des heiligen Va¬
ters vertheidigt, indem er aufstellt, daß jeder Vertreter und jeder Bischof der eng¬
lischen Hochkirche unter ähnlichen Umständen ein gleiches gethan haben würde,
und daß Pius IX. dem Glauben uach, den man bei ihm voraussetzen müsse, nicht
anders habe handeln können.

Ganz gewiß ist es aber darum doch, daß der Pabst in jetziger Zeit nicht leicht
etwas hätte thun können, was den Engländern anstößiger gewesen wäre. Sie
hofften viel für Irland von einer bessern Erziehung der untern Classen, und dach¬
ten dadurch den Einfluß einer unwissenden, bigotten und herrschsüchtigen Geistlich¬
keit zu schwächen, der man den größten Theil der bestehenden Uebelstände zu¬
schreibt und der man sogar die täglich sich häufenden Mordanschläge zur Last legt.

Die Hochkirche Englands hat aber auch ihre Leiden. Aus ihrem eigenen Schooße
gehen sehr viele zum katholischen Glauben über, und anderseits werden überall
Versuche gemacht, liberalem Ansichten in Glaubenssachen den Eingang zu ver¬
schaffen. So hat z. B. der Stadtrath von Edinburgh die unerhörte Kühnheit ge¬
habt, für die Universität einen neuen Professor der hebräischen Sprache zu wählen,
der die 36 Artikel nicht beschwören kann. So etwas läßt sich nicht so leicht hin-
nehmen, und dem orthodoxen England wird ganz schwül dabei zu Muthe. Wie
kann und wird Gott künftig noch ein Land beschützen, das so locker in seinen
Grundsätzen ist, und wie darf sich England künftig noch das christlichste Volk der
Welt nennen? — Dazu ein Jude im Parlamente! — Sogar die Universität Cam¬
bridge, die sonst nur wegen ihrer Professoren der Mathematik ausgezeichnet war,
und Studenten zuließ, die nicht die 3S Artikel beschwören konnten, hat plötzlich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/394>, abgerufen am 24.08.2024.