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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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aber die letztere Anerkennung eine rein traditionelle sein, so kommt bei der ersteren
Erscheinung die Abhängigkeit vom Hofgcschmack in'S Spiel. Die Trennung des
adligen und bürgerlichen Balkons ist übrigens originell wcimarisch, und von den
fliegenden Blättern rührend mit der durch sie gebotenen Trennung Eiscle's und
Beisele's, die wie geschiedene platonische Körper sehnsüchtig uach einander ver¬
langen , ve'rsinnlicht. In Bezug auf die einzelnen Künstler und Künstlerinnen er¬
scheint das Urtheil des Publikums befangen genug, besonders aber die unverwüst¬
liche Vorliebe der Damenwelt für das stereotype männliche Schmachter.emplar.

Der Uebergang von Theatcrzuständeu zu kirchlichen kann gegenwärtig eben
nicht auffallen. Der schöne Gegensatz von Theater und Kirche, der die Theater-
und Kirchenbesucher in zwei geschiedene Heerlager trennte, ist geschwunden. In
der That stehen sich Theater und Kirche, je mehr sie ihren Begriff erfüllen und
je weiter die abstracte Scheidung des religiösen und weltlichen Gebietes überhaupt
überwunden wird, um so weniger in Zweck und Wirkung entgegen; man denke
nnr an das griechische Theater, das so entschieden ein religiös-politisches Insti¬
tut war. Abgesehen aber davon, was Männer, wie Lessing, Schiller, Immer-
mann aus dem deutscheu Theater machen wollten, und von der Bedeutung,
die der Kirche bei der fortschreitende" Auflösung des Dogma's allein übrig bleibt
oder vielmehr mit ihr entsteht, so sind viele unserer Prediger nnr zu sehr Schau¬
spieler, viele unserer Schauspieler nur zu sehr Philister geworden. Wenn man
sich früher den Schauspieler nicht ohne leichtfertigen Lebenswandel, ohne Unge-
bundenheit der Sitte denken konnte, und der größte Theil erst durch verfehlten
Lebenszweck, nach Banqucrott, Nclegat, Enterbung den Küustlerbcruf in sich ent¬
deckte, so sind jetzt nicht nur geordnete Familienverhältnisse vorherrschend, sondern
der Künstlerberuf wird sehr häufig erblich, lebenslängliche Anstellung und Peusionö-
anssicht geben das Gefühl solider Sicherheit, und damit jede ungewöhnliche Weise,
auf die Breter zu gelangen, aufhöre, die unserer Zeit eigenthümliche systematische
Abrichtnngssucht auch hier Platz greife, denkt man jetzt an Schanspiclerschulen.
Warum nicht auch Schulen, in denen die Leute von Kindesbeinen an zu Philosophen
oder Volksrednern, zu Dichtern oder Eisenbahnbeamten erzogen werdeu? -- Wäh¬
lend aber unsere Schauspieler allmälig recht ordentliche Menschen werden und
ihre Rollen oft so spiele", daß mau glauben möchte, sie fürchteten für die Böse-
wichter, Wildfänge und Schwärmer, die sie darstellen, wirklich gehalten zu werdeu,
und ließen absichtlich aus dem bunten Girandolen der Rüstung immer einen Zipfel
des gesitteten Fracks, um uicht zu sagen aus der Löwenhaut das Eselsohr heraus
Meter, so sind unsere Prediger meistens verwandelte Personen, wenn sie den Schwär¬
en Talar und die Boiffchen umgethan haben. Die Rolle, die sie als Priester spie¬
ln, ist ihnen durchgängig nicht mehr natürlich, sie müssen sich erst in sie hineinver¬
setzen. Als Prediger stehen sie entweder wirklich über dem Standpunkt der Ge¬
meinde oder glauben es, und müssen sich zu demselben herablassen. Sind sie mit


aber die letztere Anerkennung eine rein traditionelle sein, so kommt bei der ersteren
Erscheinung die Abhängigkeit vom Hofgcschmack in'S Spiel. Die Trennung des
adligen und bürgerlichen Balkons ist übrigens originell wcimarisch, und von den
fliegenden Blättern rührend mit der durch sie gebotenen Trennung Eiscle's und
Beisele's, die wie geschiedene platonische Körper sehnsüchtig uach einander ver¬
langen , ve'rsinnlicht. In Bezug auf die einzelnen Künstler und Künstlerinnen er¬
scheint das Urtheil des Publikums befangen genug, besonders aber die unverwüst¬
liche Vorliebe der Damenwelt für das stereotype männliche Schmachter.emplar.

Der Uebergang von Theatcrzuständeu zu kirchlichen kann gegenwärtig eben
nicht auffallen. Der schöne Gegensatz von Theater und Kirche, der die Theater-
und Kirchenbesucher in zwei geschiedene Heerlager trennte, ist geschwunden. In
der That stehen sich Theater und Kirche, je mehr sie ihren Begriff erfüllen und
je weiter die abstracte Scheidung des religiösen und weltlichen Gebietes überhaupt
überwunden wird, um so weniger in Zweck und Wirkung entgegen; man denke
nnr an das griechische Theater, das so entschieden ein religiös-politisches Insti¬
tut war. Abgesehen aber davon, was Männer, wie Lessing, Schiller, Immer-
mann aus dem deutscheu Theater machen wollten, und von der Bedeutung,
die der Kirche bei der fortschreitende» Auflösung des Dogma's allein übrig bleibt
oder vielmehr mit ihr entsteht, so sind viele unserer Prediger nnr zu sehr Schau¬
spieler, viele unserer Schauspieler nur zu sehr Philister geworden. Wenn man
sich früher den Schauspieler nicht ohne leichtfertigen Lebenswandel, ohne Unge-
bundenheit der Sitte denken konnte, und der größte Theil erst durch verfehlten
Lebenszweck, nach Banqucrott, Nclegat, Enterbung den Küustlerbcruf in sich ent¬
deckte, so sind jetzt nicht nur geordnete Familienverhältnisse vorherrschend, sondern
der Künstlerberuf wird sehr häufig erblich, lebenslängliche Anstellung und Peusionö-
anssicht geben das Gefühl solider Sicherheit, und damit jede ungewöhnliche Weise,
auf die Breter zu gelangen, aufhöre, die unserer Zeit eigenthümliche systematische
Abrichtnngssucht auch hier Platz greife, denkt man jetzt an Schanspiclerschulen.
Warum nicht auch Schulen, in denen die Leute von Kindesbeinen an zu Philosophen
oder Volksrednern, zu Dichtern oder Eisenbahnbeamten erzogen werdeu? — Wäh¬
lend aber unsere Schauspieler allmälig recht ordentliche Menschen werden und
ihre Rollen oft so spiele», daß mau glauben möchte, sie fürchteten für die Böse-
wichter, Wildfänge und Schwärmer, die sie darstellen, wirklich gehalten zu werdeu,
und ließen absichtlich aus dem bunten Girandolen der Rüstung immer einen Zipfel
des gesitteten Fracks, um uicht zu sagen aus der Löwenhaut das Eselsohr heraus
Meter, so sind unsere Prediger meistens verwandelte Personen, wenn sie den Schwär¬
en Talar und die Boiffchen umgethan haben. Die Rolle, die sie als Priester spie¬
ln, ist ihnen durchgängig nicht mehr natürlich, sie müssen sich erst in sie hineinver¬
setzen. Als Prediger stehen sie entweder wirklich über dem Standpunkt der Ge¬
meinde oder glauben es, und müssen sich zu demselben herablassen. Sind sie mit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/335>, abgerufen am 24.08.2024.