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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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geäußert habe, ihn auch in Weimar zu sehen, und die neue Intendanz An¬
stalten treffen diesem Wunsche zu genügen. Mit dieser neuen Intendanz scheint
überhaupt eine Verbesserung der Weimarischen Theatcrzustände, sowohl in Bezug
auf das Repertoire als das Personal, eintreten zu können. Herr v. Spiegel,
der frühere Intendant, war durch und durch Hofmann, und wenn dieser Umstand
auf die Auswahl der Stücke durch die vielseitigste und ängstlichste Rücksichtsnahme
ungünstig einwirkte, so veranlaßte der andere, daß Herr v. Spiegel sich für Schau¬
spieler und Schauspielerinnen als Personen interessirte, manche Mißgriffe und Ver¬
legenheiten. Wenn nun auch die frühere Glanzepoche des Weimarischen Theaters
nicht zurückkehrt, wie sie es nicht kann, so wird es doch hoffentlich nicht wieder
vorkommen, daß zu Schiller'S Geburtstag "der Viehhändler aus Oesterreich" aufge¬
führt wird, oder daß Personen, deren Verdienst nur der Begünstigte zu entdecken
vermag, dem Unwillen des Publikums Trotz bieten. Als einziger Schauspieler
ans der Goethe'schen Schule ist Durand übrig, der mit einsichtsvoller Haltung,
am besten weltmännische Rollen aller Art, spielt, dessen gealterte Kraft aber sicht¬
lich nicht mehr ausreicht. Herr Gemahl spielt Rollen, die seiner Natur entsprechen,
ziemlich gut, um andere, bei denen er aus sich herausgehen und in den fremden
poetischen Charakter einleben müßte, entschieden zu verderben, da es ihm nicht an
äußere" Mitteln, wohl aber an jeder künstlerischen Erfassung und Durchdringung
bestimmter Gestalten fehlt. Fräulein Gemahl, noch uicht lauge auf dem Theater,
seufzt zu viel. Die uicht mächtige, aber liebliche Stimme des Fräulein Agth e, die
Weimar verlassen hat, ist für die Oper ein Verlust. -- Was das Weimarische
Theaterpublikum betrifft, so ist ihm jeder Ausdruck der Mißbilligung, der der
Anerkennung zum Theil versagt; es ist im Theater nur Gast und darf an der
vorgesetzten Kost nicht mäkeln, aber anch keine absonderliche und ausschweifende
Vorliebe verrathen. Klatschen darf es allerdings, aber weder pochen und pfeifen,
noch hervorrufen. Gerade das störende, unsinnige Klatschen aber möchte man am
liebsten vermissen. Wer von der Schönheit der Dichtung und Darstellung wirk¬
lich hingerissen ist, wer beide im Ganzen zu genießen weiß und nicht nnr ans die
Bravonrstellcn wartet, klatscht gewiß am wenigsten. Der ächte Schauspieler sollte
sich durch dies Zeichen des Beifalls, dem stets die reflectirte Absicht, sich selbst
als Enthusiasten oder Kenner zu zeigen, den Darsteller aber für seine Leistung
gewissermaßen augenblicklich abzufinden, unterliegt, mehr beleidigt als geehrt fühlen,
da er dadurch zum Knnststückmacher, der seine Sache gut macht, gestempelt wird.
Und wie wird durch die Unterbrechung des Klatschlärmens die Darstellung zer¬
rissen, der ruhige Genuß und die nothwendige Illusion gestört! Ans den Geschmack
des Publikums, insofern er sich ans die Dichtung, abgesehen von der Aufführung
bezieht, kauu man ans dem Theaterbesuche keine untrüglichen Schlüsse ziehen.
Der doppelte Balkon ist allerdings bei Ballets und leichten Lustspielen am meisten
besetzt, das Parterre füllt sich bei als solchen bekannten Rssischen Stücken. Kann


geäußert habe, ihn auch in Weimar zu sehen, und die neue Intendanz An¬
stalten treffen diesem Wunsche zu genügen. Mit dieser neuen Intendanz scheint
überhaupt eine Verbesserung der Weimarischen Theatcrzustände, sowohl in Bezug
auf das Repertoire als das Personal, eintreten zu können. Herr v. Spiegel,
der frühere Intendant, war durch und durch Hofmann, und wenn dieser Umstand
auf die Auswahl der Stücke durch die vielseitigste und ängstlichste Rücksichtsnahme
ungünstig einwirkte, so veranlaßte der andere, daß Herr v. Spiegel sich für Schau¬
spieler und Schauspielerinnen als Personen interessirte, manche Mißgriffe und Ver¬
legenheiten. Wenn nun auch die frühere Glanzepoche des Weimarischen Theaters
nicht zurückkehrt, wie sie es nicht kann, so wird es doch hoffentlich nicht wieder
vorkommen, daß zu Schiller'S Geburtstag „der Viehhändler aus Oesterreich" aufge¬
führt wird, oder daß Personen, deren Verdienst nur der Begünstigte zu entdecken
vermag, dem Unwillen des Publikums Trotz bieten. Als einziger Schauspieler
ans der Goethe'schen Schule ist Durand übrig, der mit einsichtsvoller Haltung,
am besten weltmännische Rollen aller Art, spielt, dessen gealterte Kraft aber sicht¬
lich nicht mehr ausreicht. Herr Gemahl spielt Rollen, die seiner Natur entsprechen,
ziemlich gut, um andere, bei denen er aus sich herausgehen und in den fremden
poetischen Charakter einleben müßte, entschieden zu verderben, da es ihm nicht an
äußere» Mitteln, wohl aber an jeder künstlerischen Erfassung und Durchdringung
bestimmter Gestalten fehlt. Fräulein Gemahl, noch uicht lauge auf dem Theater,
seufzt zu viel. Die uicht mächtige, aber liebliche Stimme des Fräulein Agth e, die
Weimar verlassen hat, ist für die Oper ein Verlust. — Was das Weimarische
Theaterpublikum betrifft, so ist ihm jeder Ausdruck der Mißbilligung, der der
Anerkennung zum Theil versagt; es ist im Theater nur Gast und darf an der
vorgesetzten Kost nicht mäkeln, aber anch keine absonderliche und ausschweifende
Vorliebe verrathen. Klatschen darf es allerdings, aber weder pochen und pfeifen,
noch hervorrufen. Gerade das störende, unsinnige Klatschen aber möchte man am
liebsten vermissen. Wer von der Schönheit der Dichtung und Darstellung wirk¬
lich hingerissen ist, wer beide im Ganzen zu genießen weiß und nicht nnr ans die
Bravonrstellcn wartet, klatscht gewiß am wenigsten. Der ächte Schauspieler sollte
sich durch dies Zeichen des Beifalls, dem stets die reflectirte Absicht, sich selbst
als Enthusiasten oder Kenner zu zeigen, den Darsteller aber für seine Leistung
gewissermaßen augenblicklich abzufinden, unterliegt, mehr beleidigt als geehrt fühlen,
da er dadurch zum Knnststückmacher, der seine Sache gut macht, gestempelt wird.
Und wie wird durch die Unterbrechung des Klatschlärmens die Darstellung zer¬
rissen, der ruhige Genuß und die nothwendige Illusion gestört! Ans den Geschmack
des Publikums, insofern er sich ans die Dichtung, abgesehen von der Aufführung
bezieht, kauu man ans dem Theaterbesuche keine untrüglichen Schlüsse ziehen.
Der doppelte Balkon ist allerdings bei Ballets und leichten Lustspielen am meisten
besetzt, das Parterre füllt sich bei als solchen bekannten Rssischen Stücken. Kann


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/334>, abgerufen am 22.07.2024.