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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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Um das Mittelmeer herum ist der Sitz der alten Culturvölker; ihr Wissen von der
Natur beschränkt sich auf vereinzelte Kenntnisse und auf geistreiche Apercus; so
viel Terrain man ihr abgewonnen hatte, so hatte mau sie doch uicht als ein Gan¬
zes gefaßt. Auch die plastische und darum sichere Weltanschauung des griechischen
Volkes wurde durch einen engen Horizont umschräukt. Alexander der Große löste
den Baun, der das Wissen der einzelnen Völker von einander schied. Sein Zug
war im eigensten Sinne des Wortes eine wissenschaftliche Expedition. Nie wurde
nuf einmal -- wenn mau das Zeitalter des Kolumbus ausnimmt -- dem Men¬
schengeschlecht eine reichere Fülle neuer Naturansichten, ein größeres Material zur
Begründung des kosmischen Wissens und des vergleichenden ethnologischen Stu¬
diums dargeboten. Die Benutzung dieses Materials, die geistige Verarbeitung
des Stoffes wurde erleichtert und in ihrem Werthe erhöht durch die vorbereitende
Richtung, welche Aristoteles dem empirischen Forschen, der philosophischen Specu-
lation und einer alles scharf umgrenzenden wissenschaftlichen Sprache gegeben hatte.
Unter den Ptolemäern offenbarte sich neben dem stoffanhäufenden Sammelfleiße
eine glückliche Verallgemeinerung der Ansichten; und die Astronomie wurde durch
Hipparch, wie die Mathematik durch Euklid, zu einer auf methodischer Erforschung
gesetzlicher Nothwendigkeit beruhenden Wissenschaft erhoben. Der gewaltige Staatsver¬
band des römische" Reiches mußte natürlich ans die Erweiterung der kosmischen An¬
sichten einen wesentlichen Einfluß ausüben. Aber bei allen materiellen Vortheilen,
die namentlich die Kaiserherrschaft den Wissenschaften bot, erlosch mit dem römi¬
schen Nationalgeist die volkstümliche Beweglichkeit der Einzelnen, es verschwan¬
den Oeffentlichkeit und Bewahrung der Individualität, die zwei Hauptstützen
freier, das Geistige belebender Verfassungen. In den geographischen Niesenwer¬
ken des Strabo und Ptolemäus, in dem großartigen Unternehmen einer Weltbe¬
schreibung durch Plinins zeigt sich die zunehmende Richtung der Wissenschaft aufs
Universelle. Hat in der Geschichte der Weltanschauung der langdauernde Einfluß
der Römerherrschaft sich als ein fortwirkend einigendes und verschmelzendes Ele¬
ment erwiesen, so hat doch erst die Verbreitung des Christenthums dazu beigetra¬
gen, den Begriff der Einheit des Menschengeschlechts hervorzurufen, und ihn mit¬
ten unter dem elenden Streite der Religionsparteien allmälig Geltung zu ver¬
schaffen. -- Die Erschütterung, welche Enropa durch das Hereiustürmen fremder
Völkerstämme erleidet, überdeckt die erworbene Bildung durch Jahrhunderte dau¬
ernde Barbarei; diese wird theilweise durch die Araber verscheucht; sie erhalten
nicht blos die alte Cultur, sie erweitern sie und eröffnen der Naturforschung neue
Wege. -- Nun geht die Darstellung in einem raschen Sprunge zum 14. Jahr¬
hundert fort, in welchem gleichzeitig die Wunder der neue" Welt, und damit eine
Anschauung in die Totalität der Erdoberfläche, dem staunenden Europa aufge¬
schlossen, und durch Copernicus die erste rationelle Theorie unseres Planetensyste-
wes aufgestellt wurde. Die Priorität der Entdeckung des nördlichen Amerika durch


Hrenzbottn. IV. 1Si7. 42

Um das Mittelmeer herum ist der Sitz der alten Culturvölker; ihr Wissen von der
Natur beschränkt sich auf vereinzelte Kenntnisse und auf geistreiche Apercus; so
viel Terrain man ihr abgewonnen hatte, so hatte mau sie doch uicht als ein Gan¬
zes gefaßt. Auch die plastische und darum sichere Weltanschauung des griechischen
Volkes wurde durch einen engen Horizont umschräukt. Alexander der Große löste
den Baun, der das Wissen der einzelnen Völker von einander schied. Sein Zug
war im eigensten Sinne des Wortes eine wissenschaftliche Expedition. Nie wurde
nuf einmal — wenn mau das Zeitalter des Kolumbus ausnimmt — dem Men¬
schengeschlecht eine reichere Fülle neuer Naturansichten, ein größeres Material zur
Begründung des kosmischen Wissens und des vergleichenden ethnologischen Stu¬
diums dargeboten. Die Benutzung dieses Materials, die geistige Verarbeitung
des Stoffes wurde erleichtert und in ihrem Werthe erhöht durch die vorbereitende
Richtung, welche Aristoteles dem empirischen Forschen, der philosophischen Specu-
lation und einer alles scharf umgrenzenden wissenschaftlichen Sprache gegeben hatte.
Unter den Ptolemäern offenbarte sich neben dem stoffanhäufenden Sammelfleiße
eine glückliche Verallgemeinerung der Ansichten; und die Astronomie wurde durch
Hipparch, wie die Mathematik durch Euklid, zu einer auf methodischer Erforschung
gesetzlicher Nothwendigkeit beruhenden Wissenschaft erhoben. Der gewaltige Staatsver¬
band des römische» Reiches mußte natürlich ans die Erweiterung der kosmischen An¬
sichten einen wesentlichen Einfluß ausüben. Aber bei allen materiellen Vortheilen,
die namentlich die Kaiserherrschaft den Wissenschaften bot, erlosch mit dem römi¬
schen Nationalgeist die volkstümliche Beweglichkeit der Einzelnen, es verschwan¬
den Oeffentlichkeit und Bewahrung der Individualität, die zwei Hauptstützen
freier, das Geistige belebender Verfassungen. In den geographischen Niesenwer¬
ken des Strabo und Ptolemäus, in dem großartigen Unternehmen einer Weltbe¬
schreibung durch Plinins zeigt sich die zunehmende Richtung der Wissenschaft aufs
Universelle. Hat in der Geschichte der Weltanschauung der langdauernde Einfluß
der Römerherrschaft sich als ein fortwirkend einigendes und verschmelzendes Ele¬
ment erwiesen, so hat doch erst die Verbreitung des Christenthums dazu beigetra¬
gen, den Begriff der Einheit des Menschengeschlechts hervorzurufen, und ihn mit¬
ten unter dem elenden Streite der Religionsparteien allmälig Geltung zu ver¬
schaffen. — Die Erschütterung, welche Enropa durch das Hereiustürmen fremder
Völkerstämme erleidet, überdeckt die erworbene Bildung durch Jahrhunderte dau¬
ernde Barbarei; diese wird theilweise durch die Araber verscheucht; sie erhalten
nicht blos die alte Cultur, sie erweitern sie und eröffnen der Naturforschung neue
Wege. — Nun geht die Darstellung in einem raschen Sprunge zum 14. Jahr¬
hundert fort, in welchem gleichzeitig die Wunder der neue» Welt, und damit eine
Anschauung in die Totalität der Erdoberfläche, dem staunenden Europa aufge¬
schlossen, und durch Copernicus die erste rationelle Theorie unseres Planetensyste-
wes aufgestellt wurde. Die Priorität der Entdeckung des nördlichen Amerika durch


Hrenzbottn. IV. 1Si7. 42
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[0329] Um das Mittelmeer herum ist der Sitz der alten Culturvölker; ihr Wissen von der Natur beschränkt sich auf vereinzelte Kenntnisse und auf geistreiche Apercus; so viel Terrain man ihr abgewonnen hatte, so hatte mau sie doch uicht als ein Gan¬ zes gefaßt. Auch die plastische und darum sichere Weltanschauung des griechischen Volkes wurde durch einen engen Horizont umschräukt. Alexander der Große löste den Baun, der das Wissen der einzelnen Völker von einander schied. Sein Zug war im eigensten Sinne des Wortes eine wissenschaftliche Expedition. Nie wurde nuf einmal — wenn mau das Zeitalter des Kolumbus ausnimmt — dem Men¬ schengeschlecht eine reichere Fülle neuer Naturansichten, ein größeres Material zur Begründung des kosmischen Wissens und des vergleichenden ethnologischen Stu¬ diums dargeboten. Die Benutzung dieses Materials, die geistige Verarbeitung des Stoffes wurde erleichtert und in ihrem Werthe erhöht durch die vorbereitende Richtung, welche Aristoteles dem empirischen Forschen, der philosophischen Specu- lation und einer alles scharf umgrenzenden wissenschaftlichen Sprache gegeben hatte. Unter den Ptolemäern offenbarte sich neben dem stoffanhäufenden Sammelfleiße eine glückliche Verallgemeinerung der Ansichten; und die Astronomie wurde durch Hipparch, wie die Mathematik durch Euklid, zu einer auf methodischer Erforschung gesetzlicher Nothwendigkeit beruhenden Wissenschaft erhoben. Der gewaltige Staatsver¬ band des römische» Reiches mußte natürlich ans die Erweiterung der kosmischen An¬ sichten einen wesentlichen Einfluß ausüben. Aber bei allen materiellen Vortheilen, die namentlich die Kaiserherrschaft den Wissenschaften bot, erlosch mit dem römi¬ schen Nationalgeist die volkstümliche Beweglichkeit der Einzelnen, es verschwan¬ den Oeffentlichkeit und Bewahrung der Individualität, die zwei Hauptstützen freier, das Geistige belebender Verfassungen. In den geographischen Niesenwer¬ ken des Strabo und Ptolemäus, in dem großartigen Unternehmen einer Weltbe¬ schreibung durch Plinins zeigt sich die zunehmende Richtung der Wissenschaft aufs Universelle. Hat in der Geschichte der Weltanschauung der langdauernde Einfluß der Römerherrschaft sich als ein fortwirkend einigendes und verschmelzendes Ele¬ ment erwiesen, so hat doch erst die Verbreitung des Christenthums dazu beigetra¬ gen, den Begriff der Einheit des Menschengeschlechts hervorzurufen, und ihn mit¬ ten unter dem elenden Streite der Religionsparteien allmälig Geltung zu ver¬ schaffen. — Die Erschütterung, welche Enropa durch das Hereiustürmen fremder Völkerstämme erleidet, überdeckt die erworbene Bildung durch Jahrhunderte dau¬ ernde Barbarei; diese wird theilweise durch die Araber verscheucht; sie erhalten nicht blos die alte Cultur, sie erweitern sie und eröffnen der Naturforschung neue Wege. — Nun geht die Darstellung in einem raschen Sprunge zum 14. Jahr¬ hundert fort, in welchem gleichzeitig die Wunder der neue» Welt, und damit eine Anschauung in die Totalität der Erdoberfläche, dem staunenden Europa aufge¬ schlossen, und durch Copernicus die erste rationelle Theorie unseres Planetensyste- wes aufgestellt wurde. Die Priorität der Entdeckung des nördlichen Amerika durch Hrenzbottn. IV. 1Si7. 42

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/329>, abgerufen am 22.07.2024.