Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ununterbrochenes Räderwerk, weiter geht, gleichgültig, ob sie den Menschen in
ihren Triebwerke" zermalmt. Die Unendlichkeit und Nothwendigkeit der Natur
wurde als ein Zeugniß der menschlichen Kleinheit ausgewiesen, man dachte nicht
daran, daß der Gedanke, der jene Unendlichkeit anschaute und jene Nothwendigkeit
begriff, größer sei als sein Gegenstand.

Sowohl gegen die Abstraktionen jener religiösen Vorstellungen, die Gott und
den Geist der Natur entgegensetzt, als auch gegen diesen Atomismus des Verstandes,
der in der Welt nichts sieht, als Zahlen- und Raumverhältnisse, empörte sich die
Poesie, die nur im Glauben an die Freiheit bestehen konnte. Wer kennt nicht die
herrlichen Elegien, in denen Schiller zu den alten Göttern des heidnischen Olymp
zurnckflüchtcte, um den Schrecken des jenseitigen Gottes, den Gespenstern der über¬
natürlichen Welt eben so zu entfliehn, als jenem abstracten Naturwesen, in dem das
Herz nichts sehen konnte, als ein "ewig verschliugendeS, ewig wiederkäuendes Un¬
geheuer."

Die Poesie vermag diesen Widerspruch zwischen dem Bedürfniß des Herzens
und dem Gesetz der Welt nur zu fühlen; ihn aufzuheben, ist sie nicht im Stande,
denn sie ist ans den Rahmen eines geschlossenen Bildes beschränkt. Die Dichter
fanden daher, nachdem der titanische Kampf ihrer Jugend mit Gott vorüber war,
das Heil des Herzens in der Resignation, sie träumten sich in eine Welt des
Scheins, zu deren lustiger Höhe das wüste Chaos der Welt nicht mehr hinauf,
reichte. "Die Welt ist vollkommen überall, wo der Mensch nicht hinkommt mit
seiner Qual."

Aber der Gedanke des Menschen kann sich bei diesem äußerlichen Frieden
nicht beruhige", er ist unselig, so lauge er seines Widerspruchs uicht Herr wird.
Gleichzeitig mit Goethe und Schiller erhob sich daher eine Reihe von Denker",
die über die Resignation hinausgingen, und die Uebereinstimmung des geistigen
Gesetzes mit dem Gesetz der Natur durch den Begriff nachzuweisen oder darzu¬
stellen suchten. Das ist das Jdeutitätssystem, worüber man selbst in den Reihen
der Philosophen so häufig gespöttelt hat, dessen Aufgabe aber unstreitig die höchste
ist, die der Geist sich setzen kann. Es ist dies dieselbe Auffassung, die man vom
religiösen Standpunkt ans mit dem Namen Pantheismus zu brandmarken pflegt.
Man verbindet aber mit diesem Ausdruck zwei durchaus entgegengesetzte Begriffe.
Wenn der Jndier alle Erscheinungen der Natur als göttlich auffaßt und verehrt,
so geht in dieser untcrschiedlvsen Vergöttlichung des Endlichen der Geist zu Grunde.
Wenn man sich aber bestrebt, das Universum als Totalität zu erkennen, es in sei¬
ner innern Nothwendigkeit zu begreifen, -zu lieben und anzubeten, so wird das
wohl der einzige Weg sein, den die Wissenschaft überhaupt einschlagen kann. Jeder
Naturforscher ist Pantheist, d. h. er läßt dem Gott des Menschen eben so wenig
als seinem eigenen Geist Spielraum außerhalb der Welt.

Ein Astronom erklärte einst, er habe den Himmel bis in seine entlegensten Stern-


41"

ununterbrochenes Räderwerk, weiter geht, gleichgültig, ob sie den Menschen in
ihren Triebwerke» zermalmt. Die Unendlichkeit und Nothwendigkeit der Natur
wurde als ein Zeugniß der menschlichen Kleinheit ausgewiesen, man dachte nicht
daran, daß der Gedanke, der jene Unendlichkeit anschaute und jene Nothwendigkeit
begriff, größer sei als sein Gegenstand.

Sowohl gegen die Abstraktionen jener religiösen Vorstellungen, die Gott und
den Geist der Natur entgegensetzt, als auch gegen diesen Atomismus des Verstandes,
der in der Welt nichts sieht, als Zahlen- und Raumverhältnisse, empörte sich die
Poesie, die nur im Glauben an die Freiheit bestehen konnte. Wer kennt nicht die
herrlichen Elegien, in denen Schiller zu den alten Göttern des heidnischen Olymp
zurnckflüchtcte, um den Schrecken des jenseitigen Gottes, den Gespenstern der über¬
natürlichen Welt eben so zu entfliehn, als jenem abstracten Naturwesen, in dem das
Herz nichts sehen konnte, als ein „ewig verschliugendeS, ewig wiederkäuendes Un¬
geheuer."

Die Poesie vermag diesen Widerspruch zwischen dem Bedürfniß des Herzens
und dem Gesetz der Welt nur zu fühlen; ihn aufzuheben, ist sie nicht im Stande,
denn sie ist ans den Rahmen eines geschlossenen Bildes beschränkt. Die Dichter
fanden daher, nachdem der titanische Kampf ihrer Jugend mit Gott vorüber war,
das Heil des Herzens in der Resignation, sie träumten sich in eine Welt des
Scheins, zu deren lustiger Höhe das wüste Chaos der Welt nicht mehr hinauf,
reichte. „Die Welt ist vollkommen überall, wo der Mensch nicht hinkommt mit
seiner Qual."

Aber der Gedanke des Menschen kann sich bei diesem äußerlichen Frieden
nicht beruhige», er ist unselig, so lauge er seines Widerspruchs uicht Herr wird.
Gleichzeitig mit Goethe und Schiller erhob sich daher eine Reihe von Denker»,
die über die Resignation hinausgingen, und die Uebereinstimmung des geistigen
Gesetzes mit dem Gesetz der Natur durch den Begriff nachzuweisen oder darzu¬
stellen suchten. Das ist das Jdeutitätssystem, worüber man selbst in den Reihen
der Philosophen so häufig gespöttelt hat, dessen Aufgabe aber unstreitig die höchste
ist, die der Geist sich setzen kann. Es ist dies dieselbe Auffassung, die man vom
religiösen Standpunkt ans mit dem Namen Pantheismus zu brandmarken pflegt.
Man verbindet aber mit diesem Ausdruck zwei durchaus entgegengesetzte Begriffe.
Wenn der Jndier alle Erscheinungen der Natur als göttlich auffaßt und verehrt,
so geht in dieser untcrschiedlvsen Vergöttlichung des Endlichen der Geist zu Grunde.
Wenn man sich aber bestrebt, das Universum als Totalität zu erkennen, es in sei¬
ner innern Nothwendigkeit zu begreifen, -zu lieben und anzubeten, so wird das
wohl der einzige Weg sein, den die Wissenschaft überhaupt einschlagen kann. Jeder
Naturforscher ist Pantheist, d. h. er läßt dem Gott des Menschen eben so wenig
als seinem eigenen Geist Spielraum außerhalb der Welt.

Ein Astronom erklärte einst, er habe den Himmel bis in seine entlegensten Stern-


41"
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0323" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/185087"/>
          <p xml:id="ID_1081" prev="#ID_1080"> ununterbrochenes Räderwerk, weiter geht, gleichgültig, ob sie den Menschen in<lb/>
ihren Triebwerke» zermalmt. Die Unendlichkeit und Nothwendigkeit der Natur<lb/>
wurde als ein Zeugniß der menschlichen Kleinheit ausgewiesen, man dachte nicht<lb/>
daran, daß der Gedanke, der jene Unendlichkeit anschaute und jene Nothwendigkeit<lb/>
begriff, größer sei als sein Gegenstand.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1082"> Sowohl gegen die Abstraktionen jener religiösen Vorstellungen, die Gott und<lb/>
den Geist der Natur entgegensetzt, als auch gegen diesen Atomismus des Verstandes,<lb/>
der in der Welt nichts sieht, als Zahlen- und Raumverhältnisse, empörte sich die<lb/>
Poesie, die nur im Glauben an die Freiheit bestehen konnte. Wer kennt nicht die<lb/>
herrlichen Elegien, in denen Schiller zu den alten Göttern des heidnischen Olymp<lb/>
zurnckflüchtcte, um den Schrecken des jenseitigen Gottes, den Gespenstern der über¬<lb/>
natürlichen Welt eben so zu entfliehn, als jenem abstracten Naturwesen, in dem das<lb/>
Herz nichts sehen konnte, als ein &#x201E;ewig verschliugendeS, ewig wiederkäuendes Un¬<lb/>
geheuer."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1083"> Die Poesie vermag diesen Widerspruch zwischen dem Bedürfniß des Herzens<lb/>
und dem Gesetz der Welt nur zu fühlen; ihn aufzuheben, ist sie nicht im Stande,<lb/>
denn sie ist ans den Rahmen eines geschlossenen Bildes beschränkt. Die Dichter<lb/>
fanden daher, nachdem der titanische Kampf ihrer Jugend mit Gott vorüber war,<lb/>
das Heil des Herzens in der Resignation, sie träumten sich in eine Welt des<lb/>
Scheins, zu deren lustiger Höhe das wüste Chaos der Welt nicht mehr hinauf,<lb/>
reichte. &#x201E;Die Welt ist vollkommen überall, wo der Mensch nicht hinkommt mit<lb/>
seiner Qual."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1084"> Aber der Gedanke des Menschen kann sich bei diesem äußerlichen Frieden<lb/>
nicht beruhige», er ist unselig, so lauge er seines Widerspruchs uicht Herr wird.<lb/>
Gleichzeitig mit Goethe und Schiller erhob sich daher eine Reihe von Denker»,<lb/>
die über die Resignation hinausgingen, und die Uebereinstimmung des geistigen<lb/>
Gesetzes mit dem Gesetz der Natur durch den Begriff nachzuweisen oder darzu¬<lb/>
stellen suchten. Das ist das Jdeutitätssystem, worüber man selbst in den Reihen<lb/>
der Philosophen so häufig gespöttelt hat, dessen Aufgabe aber unstreitig die höchste<lb/>
ist, die der Geist sich setzen kann. Es ist dies dieselbe Auffassung, die man vom<lb/>
religiösen Standpunkt ans mit dem Namen Pantheismus zu brandmarken pflegt.<lb/>
Man verbindet aber mit diesem Ausdruck zwei durchaus entgegengesetzte Begriffe.<lb/>
Wenn der Jndier alle Erscheinungen der Natur als göttlich auffaßt und verehrt,<lb/>
so geht in dieser untcrschiedlvsen Vergöttlichung des Endlichen der Geist zu Grunde.<lb/>
Wenn man sich aber bestrebt, das Universum als Totalität zu erkennen, es in sei¬<lb/>
ner innern Nothwendigkeit zu begreifen, -zu lieben und anzubeten, so wird das<lb/>
wohl der einzige Weg sein, den die Wissenschaft überhaupt einschlagen kann. Jeder<lb/>
Naturforscher ist Pantheist, d. h. er läßt dem Gott des Menschen eben so wenig<lb/>
als seinem eigenen Geist Spielraum außerhalb der Welt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1085" next="#ID_1086"> Ein Astronom erklärte einst, er habe den Himmel bis in seine entlegensten Stern-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 41"</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0323] ununterbrochenes Räderwerk, weiter geht, gleichgültig, ob sie den Menschen in ihren Triebwerke» zermalmt. Die Unendlichkeit und Nothwendigkeit der Natur wurde als ein Zeugniß der menschlichen Kleinheit ausgewiesen, man dachte nicht daran, daß der Gedanke, der jene Unendlichkeit anschaute und jene Nothwendigkeit begriff, größer sei als sein Gegenstand. Sowohl gegen die Abstraktionen jener religiösen Vorstellungen, die Gott und den Geist der Natur entgegensetzt, als auch gegen diesen Atomismus des Verstandes, der in der Welt nichts sieht, als Zahlen- und Raumverhältnisse, empörte sich die Poesie, die nur im Glauben an die Freiheit bestehen konnte. Wer kennt nicht die herrlichen Elegien, in denen Schiller zu den alten Göttern des heidnischen Olymp zurnckflüchtcte, um den Schrecken des jenseitigen Gottes, den Gespenstern der über¬ natürlichen Welt eben so zu entfliehn, als jenem abstracten Naturwesen, in dem das Herz nichts sehen konnte, als ein „ewig verschliugendeS, ewig wiederkäuendes Un¬ geheuer." Die Poesie vermag diesen Widerspruch zwischen dem Bedürfniß des Herzens und dem Gesetz der Welt nur zu fühlen; ihn aufzuheben, ist sie nicht im Stande, denn sie ist ans den Rahmen eines geschlossenen Bildes beschränkt. Die Dichter fanden daher, nachdem der titanische Kampf ihrer Jugend mit Gott vorüber war, das Heil des Herzens in der Resignation, sie träumten sich in eine Welt des Scheins, zu deren lustiger Höhe das wüste Chaos der Welt nicht mehr hinauf, reichte. „Die Welt ist vollkommen überall, wo der Mensch nicht hinkommt mit seiner Qual." Aber der Gedanke des Menschen kann sich bei diesem äußerlichen Frieden nicht beruhige», er ist unselig, so lauge er seines Widerspruchs uicht Herr wird. Gleichzeitig mit Goethe und Schiller erhob sich daher eine Reihe von Denker», die über die Resignation hinausgingen, und die Uebereinstimmung des geistigen Gesetzes mit dem Gesetz der Natur durch den Begriff nachzuweisen oder darzu¬ stellen suchten. Das ist das Jdeutitätssystem, worüber man selbst in den Reihen der Philosophen so häufig gespöttelt hat, dessen Aufgabe aber unstreitig die höchste ist, die der Geist sich setzen kann. Es ist dies dieselbe Auffassung, die man vom religiösen Standpunkt ans mit dem Namen Pantheismus zu brandmarken pflegt. Man verbindet aber mit diesem Ausdruck zwei durchaus entgegengesetzte Begriffe. Wenn der Jndier alle Erscheinungen der Natur als göttlich auffaßt und verehrt, so geht in dieser untcrschiedlvsen Vergöttlichung des Endlichen der Geist zu Grunde. Wenn man sich aber bestrebt, das Universum als Totalität zu erkennen, es in sei¬ ner innern Nothwendigkeit zu begreifen, -zu lieben und anzubeten, so wird das wohl der einzige Weg sein, den die Wissenschaft überhaupt einschlagen kann. Jeder Naturforscher ist Pantheist, d. h. er läßt dem Gott des Menschen eben so wenig als seinem eigenen Geist Spielraum außerhalb der Welt. Ein Astronom erklärte einst, er habe den Himmel bis in seine entlegensten Stern- 41"

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/323
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/323>, abgerufen am 22.07.2024.