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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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fehle bereitwilligst füge", jedoch auch zur Wahrung ihres medicinischen Gewissens den
Diplomen anfügen, daß es den Herren überall, nur nicht in der österreichischen Mo¬
narchie, gestattet sein solle, zu prakticiren, wofür wir der löblichen Fakultät unseren
besondern Dank ausdrücken.

Die philosophische Fakultät hat auf das Ansuchen Adalbert Stifters, ästhetische
Vorlesungen für Damen an der Universität halten zu dürfen, ablehnend cingerathen,
indem das vom Novellisten vorgelegte Programm als ein völlig unsystematisches und ver¬
worrenes der Studien-Hofcommisfion bezeichnet wurde. Wir wissen nicht zu entscheiden,
ob Herr Stifter, ob die prüfende Fakultät Recht hat, gewiß aber ist es, daß die poe¬
tische Fähigkeit dieses Autors in einer bedauerlichen Abnahme begriffen ist; eine Novelle
Von ihm in dem Taschenbuche Iris ist eine völlig verunglückte manirirtc Production,
und es scheint, daß seine "Studien" die Summe des poetischen Vermögens des spät
aufgetretenen Autors enthalten.'

Der plötzliche Tod Mendelsohn BartholdyS hat hier die größte Theilnahme wach
gerufen. Sein Oratorium Elias wurde am 14. d. M. von 1000 Musikern ausge¬
führt. Während es die Musikkcnucr im Ganzen und in einzelnen Theilen mächtig er¬
griff, brachte es auf das große Publikum keine bedeutende Wirkung hervor, woran
zum Theil (mit Ausnahme Staudigl's), die nicht glückliche Ausführung, vielleicht mehr
noch die nicht paßlich gewählte Mittagsstunde die Schuld tragen mochte. Das Orato¬
rium dauerte von halb eins bis halb vier Uhr. Abgesehen davon, daß ein großes
Publikum, es mochten 4000 Menschen anwesend sein, einen so lang andauernden mu¬
sikalischen Eindruck kaum erträgt, wenn uicht, wie in England, das religiöse Gefühl
zu einem Oratorium mitgebracht wird, so sehnen sich die Wiener ächt ungläubig schon
um zwei, längstens drei Uhr nach den Fleischtöpfen Negyptens. Gewiß werden bei
der zunächst stattfindenden zweiten Ausführung die Zuhörer schon vorbereiteter kommen,
und die Schwankungen der exccutirendcn Kräfte aufgehört haben. Jedenfalls wurde das
0 -- 0 Werk als ein großes begrüßt.


IX.
Aus Berlin.

Bettina und die Frügejciche". -- Die jüngste der Taglivm'ö, -- Reg.itivnc". -- Dimnl'ach.

Das Interesse des Auslandes, welches vor noch nicht gar langer Zeit unsre Stadt
beinahe zum Mittelpunkt hatte, ist jetzt nach andern Seiten hingewendet; an den Alpen
haben sich jetzt die Wolken gesammelt, wie es scheint, zu einem furchtbaren Gewitter. Berlin
ist, um mich so auszudrücken, wieder in's Privatleben zurückgetreten. Was wir von hier
berichten können, besteht lediglich in Symptomen, in Vorzeichen, in Ahnungen; wir er¬
leben nicht mehr die Geschichte, wir diviniren sie. Man könnte über den Himmel, der
sich schläfrig über unsern Sand ausbreitet, ein großes Fragezeichen machen, oder man
könnte ^auch mit dem ritterlichen Tyrtäus der neumodischen Freiheit die Kiefern unseres
Thiergartens für graue Fragezeichen ansehn, die der vorwitzige Eckensteherverstaud an
den Himmel richtet, etwa: sind wir in einem gesetzlichen oder despotischen Staate und
dergl. -- Ein Narr wartet auf Antwort! -- Ja man könnte noch bescheidener fragen,
Z. B. was ist Jlius, Pamphilius und die Ambrosia? und warum sind sie in der Ucker-
mark verboten? So soll nämlich ein neues Evangelium heiße", womit Bettina, die
schwebende Prophetin, ihre Gläubigen des weitern erbaut, das aber eine löbliche Polizei
wie Beschlag belegt hat. O Poesie, suche dir ein anderes Königreich, die Uckermark
ist für dich zu klein!


fehle bereitwilligst füge», jedoch auch zur Wahrung ihres medicinischen Gewissens den
Diplomen anfügen, daß es den Herren überall, nur nicht in der österreichischen Mo¬
narchie, gestattet sein solle, zu prakticiren, wofür wir der löblichen Fakultät unseren
besondern Dank ausdrücken.

Die philosophische Fakultät hat auf das Ansuchen Adalbert Stifters, ästhetische
Vorlesungen für Damen an der Universität halten zu dürfen, ablehnend cingerathen,
indem das vom Novellisten vorgelegte Programm als ein völlig unsystematisches und ver¬
worrenes der Studien-Hofcommisfion bezeichnet wurde. Wir wissen nicht zu entscheiden,
ob Herr Stifter, ob die prüfende Fakultät Recht hat, gewiß aber ist es, daß die poe¬
tische Fähigkeit dieses Autors in einer bedauerlichen Abnahme begriffen ist; eine Novelle
Von ihm in dem Taschenbuche Iris ist eine völlig verunglückte manirirtc Production,
und es scheint, daß seine „Studien" die Summe des poetischen Vermögens des spät
aufgetretenen Autors enthalten.'

Der plötzliche Tod Mendelsohn BartholdyS hat hier die größte Theilnahme wach
gerufen. Sein Oratorium Elias wurde am 14. d. M. von 1000 Musikern ausge¬
führt. Während es die Musikkcnucr im Ganzen und in einzelnen Theilen mächtig er¬
griff, brachte es auf das große Publikum keine bedeutende Wirkung hervor, woran
zum Theil (mit Ausnahme Staudigl's), die nicht glückliche Ausführung, vielleicht mehr
noch die nicht paßlich gewählte Mittagsstunde die Schuld tragen mochte. Das Orato¬
rium dauerte von halb eins bis halb vier Uhr. Abgesehen davon, daß ein großes
Publikum, es mochten 4000 Menschen anwesend sein, einen so lang andauernden mu¬
sikalischen Eindruck kaum erträgt, wenn uicht, wie in England, das religiöse Gefühl
zu einem Oratorium mitgebracht wird, so sehnen sich die Wiener ächt ungläubig schon
um zwei, längstens drei Uhr nach den Fleischtöpfen Negyptens. Gewiß werden bei
der zunächst stattfindenden zweiten Ausführung die Zuhörer schon vorbereiteter kommen,
und die Schwankungen der exccutirendcn Kräfte aufgehört haben. Jedenfalls wurde das
0 — 0 Werk als ein großes begrüßt.


IX.
Aus Berlin.

Bettina und die Frügejciche». — Die jüngste der Taglivm'ö, — Reg.itivnc». — Dimnl'ach.

Das Interesse des Auslandes, welches vor noch nicht gar langer Zeit unsre Stadt
beinahe zum Mittelpunkt hatte, ist jetzt nach andern Seiten hingewendet; an den Alpen
haben sich jetzt die Wolken gesammelt, wie es scheint, zu einem furchtbaren Gewitter. Berlin
ist, um mich so auszudrücken, wieder in's Privatleben zurückgetreten. Was wir von hier
berichten können, besteht lediglich in Symptomen, in Vorzeichen, in Ahnungen; wir er¬
leben nicht mehr die Geschichte, wir diviniren sie. Man könnte über den Himmel, der
sich schläfrig über unsern Sand ausbreitet, ein großes Fragezeichen machen, oder man
könnte ^auch mit dem ritterlichen Tyrtäus der neumodischen Freiheit die Kiefern unseres
Thiergartens für graue Fragezeichen ansehn, die der vorwitzige Eckensteherverstaud an
den Himmel richtet, etwa: sind wir in einem gesetzlichen oder despotischen Staate und
dergl. — Ein Narr wartet auf Antwort! — Ja man könnte noch bescheidener fragen,
Z. B. was ist Jlius, Pamphilius und die Ambrosia? und warum sind sie in der Ucker-
mark verboten? So soll nämlich ein neues Evangelium heiße», womit Bettina, die
schwebende Prophetin, ihre Gläubigen des weitern erbaut, das aber eine löbliche Polizei
wie Beschlag belegt hat. O Poesie, suche dir ein anderes Königreich, die Uckermark
ist für dich zu klein!


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/319>, abgerufen am 12.12.2024.