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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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chen. Bei Gützlaff ist nun Material und Ordnung genug vorhanden, aber es
fehlt der philosophische Scharfblick in die eigenthümlichen Wendungen des mensch¬
lichen Geistes. -- Dreierlei Vorzüge, die freilich zunächst negativer Art sind,
dürfen wir nicht unerwähnt lassen. Man hätte von dem christlichen Eiferer erwar¬
ten können, daß er seine Darstellung vom specifisch religiösen Standpunct aufge¬
faßt hätte; und es fehlt allerdings nicht an einzelnen solchen Stellen, wo
der Glaube an den wahren Gott, den Schöpfer Himmels und der Erden, als
das einzige, wesentliche Ziel der menschlichen Geschichte aufgefaßt; wo alles, was
geschieht, nur von diesem Gesichtspuncte aus angesehen wird, und wo alles übrige,
was nicht in directer Beziehung zu diesem Endziel des menschlichen Strebens steht,
als gleichgültig erscheint; aber es sind eben nnr vorübergehende Einfälle; im Gan¬
zen ist die Darstellung objectiv und frei von einem äußerlichen Pragmatismus........

Sodann ist über die Urzeit, wo Gützlaff uach dem Beispiel unserer modernen For¬
scher die abenteuerlichsten Phantasiegemälde hätte aufbauen tonnen, -- ein Unter¬
nehmen, das um so nachtheiliger auf die objective Geschichtskenntniß einwirkt, da
eine einmal in Compendien aufgenommene Ansicht allzuleicht zur Autorität wird,--
nur das allerallgemeinste gegeben, nur hingedeutet ans die Vorstellungen, wie sie in
chinesischen Büchern vorkommen, und so wenigstens der Raum für künftige For¬
schungen frei gelassen. -- Endlich ist trotz der Sterilität des Materials die Er¬
zählung niemals trocken und ermüdend, so wenig sich auch bei der Darstellung
eines so verworrenen Staatslebens Wiederholungen vermeiden lassen. -- In dem
letzten Theil der Geschichte, wo die nähere Berührung mit den Europäern beginnt,
erwacht anch ein größeres Interesse, wir sind unmittelbar betheiligt, wir fühlen
festen Boden uuter den Füßen, und demgemäß wird auch die Darstellung anschau-
licher und lebendiger. -- Der Schluß ist uun freilich sehr grau. -- "Eine so
große Nation kann nicht länger dem Götzenthum ungestört huldigen; dafür bürgt
die Barmherzigkeit des himmlischen Vaters und die unendliche Liebe seines einge¬
borenen Sohnes. Dem Lichte, "das allein die dicke Finsterniß erhellen kann,
wird daher Eingang verschafft werden, nicht durch der Menschen Thun, sondern
dnrch Gottes Hand." -- "Das Menschliche wird sich vor der unwiderstehlichen
Macht des Göttlichen beugen." -- "Die Völker, welche die reinsten und wahr¬
sten Begriffe vom Evangelium bekommen, sind nach göttlichen Verordnungen anch
die mächtigsten und einflußreichste". (!)" -- "DaS christliche China wird mäch¬
tig sein -- so lange es aber mit den Fesseln der Götzen gebunden, ist weder Le¬
ben, Wahrheit noch Kraftäußerung sei" Theil, und es wird erst die schmerzliche
Erfahrung, machen müssen, daß das köstlichste Kleinod zum Vvlksschmncke fehlt,
ohne welches der Anzug uur lumpig aussieht, und daß sich die geistigen Kräfte
nicht entwickeln können, es sei denn, daß der Sohn Gottes die Nation frei
macht." --

Was diesem Buche fehlt, die umständliche Darstellung der einzelnen kleinen


chen. Bei Gützlaff ist nun Material und Ordnung genug vorhanden, aber es
fehlt der philosophische Scharfblick in die eigenthümlichen Wendungen des mensch¬
lichen Geistes. — Dreierlei Vorzüge, die freilich zunächst negativer Art sind,
dürfen wir nicht unerwähnt lassen. Man hätte von dem christlichen Eiferer erwar¬
ten können, daß er seine Darstellung vom specifisch religiösen Standpunct aufge¬
faßt hätte; und es fehlt allerdings nicht an einzelnen solchen Stellen, wo
der Glaube an den wahren Gott, den Schöpfer Himmels und der Erden, als
das einzige, wesentliche Ziel der menschlichen Geschichte aufgefaßt; wo alles, was
geschieht, nur von diesem Gesichtspuncte aus angesehen wird, und wo alles übrige,
was nicht in directer Beziehung zu diesem Endziel des menschlichen Strebens steht,
als gleichgültig erscheint; aber es sind eben nnr vorübergehende Einfälle; im Gan¬
zen ist die Darstellung objectiv und frei von einem äußerlichen Pragmatismus........

Sodann ist über die Urzeit, wo Gützlaff uach dem Beispiel unserer modernen For¬
scher die abenteuerlichsten Phantasiegemälde hätte aufbauen tonnen, -- ein Unter¬
nehmen, das um so nachtheiliger auf die objective Geschichtskenntniß einwirkt, da
eine einmal in Compendien aufgenommene Ansicht allzuleicht zur Autorität wird,—
nur das allerallgemeinste gegeben, nur hingedeutet ans die Vorstellungen, wie sie in
chinesischen Büchern vorkommen, und so wenigstens der Raum für künftige For¬
schungen frei gelassen. — Endlich ist trotz der Sterilität des Materials die Er¬
zählung niemals trocken und ermüdend, so wenig sich auch bei der Darstellung
eines so verworrenen Staatslebens Wiederholungen vermeiden lassen. — In dem
letzten Theil der Geschichte, wo die nähere Berührung mit den Europäern beginnt,
erwacht anch ein größeres Interesse, wir sind unmittelbar betheiligt, wir fühlen
festen Boden uuter den Füßen, und demgemäß wird auch die Darstellung anschau-
licher und lebendiger. — Der Schluß ist uun freilich sehr grau. — „Eine so
große Nation kann nicht länger dem Götzenthum ungestört huldigen; dafür bürgt
die Barmherzigkeit des himmlischen Vaters und die unendliche Liebe seines einge¬
borenen Sohnes. Dem Lichte, „das allein die dicke Finsterniß erhellen kann,
wird daher Eingang verschafft werden, nicht durch der Menschen Thun, sondern
dnrch Gottes Hand." — „Das Menschliche wird sich vor der unwiderstehlichen
Macht des Göttlichen beugen." — „Die Völker, welche die reinsten und wahr¬
sten Begriffe vom Evangelium bekommen, sind nach göttlichen Verordnungen anch
die mächtigsten und einflußreichste». (!)" — „DaS christliche China wird mäch¬
tig sein — so lange es aber mit den Fesseln der Götzen gebunden, ist weder Le¬
ben, Wahrheit noch Kraftäußerung sei» Theil, und es wird erst die schmerzliche
Erfahrung, machen müssen, daß das köstlichste Kleinod zum Vvlksschmncke fehlt,
ohne welches der Anzug uur lumpig aussieht, und daß sich die geistigen Kräfte
nicht entwickeln können, es sei denn, daß der Sohn Gottes die Nation frei
macht." —

Was diesem Buche fehlt, die umständliche Darstellung der einzelnen kleinen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/293>, abgerufen am 22.07.2024.