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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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Denken wir uns ein Collegium von zwölf Richtern. Setzen wir diesem Kollegium
durch drei Jahre alle Jahre einen andern Präsidenten vor. Jeder Präsident wird
nach Ablauf seines Dienstjahres eine Meinung über die zwölf Räthe haben. Er
wird Einen für ungeschickt, Einen für unbehülflich, Einen für lau, Einen für
eifrig, Einen für ängstlich, den Zwölften für oberflächlich halten. Dem Präsi¬
denten^, wird Gründlichkeit sein, was der Präsident v. Pedanterie nennen wird.
Der Präsident <ü. wird eine Information vollständig nennen, welche der Präsident
weitläufig und langweilig schelten wird. Der Präsident K. wird eine lobens-
werthe Vorsicht finden, wo der Präsident in. ein ängstliches Halten an dem Buch¬
stabe" des Gesetzes mißbilligen wird. sollen die Präsidenten ^. ö. nach
bestem Wissen und Gewissen ihre Meinungen abgeben, so werden ihre Cvnduitenlisten
über einen und denselben Rath völlig verschieden lauten. Eine dritte unbefangene
Person wird weder bei den Präsidenten, noch beim beurtheilten Rath die Schuld
dieser Widersprüche finden.

Der Vorgesetzte, welcher, um keinen Untergebenen Unrecht zu thu", Alle gleich
beurtheilt, thut im Grunde Allen Unrecht. Er handelt seiner Ueberzeugung zu¬
wider, denn das menschliche Unterscheidungsvermügen läßt nicht zu, mehrere Leute
nach längerer Beobachtung gleich vorzüglich oder mittelmäßig zu finden.

Dann gibt eine hohe hierarchische Stellung, darum noch keine höhere Ein¬
sicht. Die Gesundheitsumstände, das Betragen, die Fähigkeiten, die allgemei¬
nen und Fachkenntnisse zu beurtheilen ist nicht Jedermann im Stande. Der be¬
schränkte Kopf beurtheilt die Meuscheu, mit welchen er in Berührung kommt, völlig
anders, denn der Maun der Wissenschaft. Je unwissender Jemand ist, um so
klarer meint er alle Verhältnisse zu durchschauen. Er ahnt die Einwürfe nicht,
welche diesen und jene" rechtfertigen. Ein concreter Fall wird das deutlich machen.
Vielleicht die Mehrzahl der österreichischen Beamten hielte den für einen Dumm¬
kopf, der sich für Zünfte erklärte, für eine Gebundenheit des unbeweglichen Eigen¬
thums, für die Abschaffung der gleichen Erbrechte u. f. w. Der Mann der Wis¬
senschaft ist mehr oder weniger in Kenntniß von den Gründe", die seinen Anschauun¬
gen der Dinge gegenüberstehen. Er wird eine und die andere ihm begegnende
Meinung verwerfen, aber er wird ans keiner Ansicht allein Veranlassung nehmen,
seinen Gegner tief unter sich zu meinen. So ergeben sich unendlich viele Fälle,
wo subjectiv wahre, aber nichts desto weniger grundfalsche Beurtheilungen in die
Conduitenlisten geschrieben werden.

Der Obere hat hundert Personen und mehr zu beurtheilen. Er kennt sie in den
meisten Beziehungen nicht. Sie obenhin beurtheilen müssen und es wissen, wie unend¬
lich wichtig diese Beurtheilung für sie ist, halte ich für unerträglichen Gewissenszwang.

Die Conduitenliste macht dem untergebenen Beamten die Meinung seiner
Obern vor Allem wichtig. Was nützt es ihm, wenn er nach seiner und vielleicht
nach der Ueberzeugung der Mehrsten ausgezeichnet dient, wenn er seinem Obern


Denken wir uns ein Collegium von zwölf Richtern. Setzen wir diesem Kollegium
durch drei Jahre alle Jahre einen andern Präsidenten vor. Jeder Präsident wird
nach Ablauf seines Dienstjahres eine Meinung über die zwölf Räthe haben. Er
wird Einen für ungeschickt, Einen für unbehülflich, Einen für lau, Einen für
eifrig, Einen für ängstlich, den Zwölften für oberflächlich halten. Dem Präsi¬
denten^, wird Gründlichkeit sein, was der Präsident v. Pedanterie nennen wird.
Der Präsident <ü. wird eine Information vollständig nennen, welche der Präsident
weitläufig und langweilig schelten wird. Der Präsident K. wird eine lobens-
werthe Vorsicht finden, wo der Präsident in. ein ängstliches Halten an dem Buch¬
stabe» des Gesetzes mißbilligen wird. sollen die Präsidenten ^. ö. nach
bestem Wissen und Gewissen ihre Meinungen abgeben, so werden ihre Cvnduitenlisten
über einen und denselben Rath völlig verschieden lauten. Eine dritte unbefangene
Person wird weder bei den Präsidenten, noch beim beurtheilten Rath die Schuld
dieser Widersprüche finden.

Der Vorgesetzte, welcher, um keinen Untergebenen Unrecht zu thu», Alle gleich
beurtheilt, thut im Grunde Allen Unrecht. Er handelt seiner Ueberzeugung zu¬
wider, denn das menschliche Unterscheidungsvermügen läßt nicht zu, mehrere Leute
nach längerer Beobachtung gleich vorzüglich oder mittelmäßig zu finden.

Dann gibt eine hohe hierarchische Stellung, darum noch keine höhere Ein¬
sicht. Die Gesundheitsumstände, das Betragen, die Fähigkeiten, die allgemei¬
nen und Fachkenntnisse zu beurtheilen ist nicht Jedermann im Stande. Der be¬
schränkte Kopf beurtheilt die Meuscheu, mit welchen er in Berührung kommt, völlig
anders, denn der Maun der Wissenschaft. Je unwissender Jemand ist, um so
klarer meint er alle Verhältnisse zu durchschauen. Er ahnt die Einwürfe nicht,
welche diesen und jene» rechtfertigen. Ein concreter Fall wird das deutlich machen.
Vielleicht die Mehrzahl der österreichischen Beamten hielte den für einen Dumm¬
kopf, der sich für Zünfte erklärte, für eine Gebundenheit des unbeweglichen Eigen¬
thums, für die Abschaffung der gleichen Erbrechte u. f. w. Der Mann der Wis¬
senschaft ist mehr oder weniger in Kenntniß von den Gründe», die seinen Anschauun¬
gen der Dinge gegenüberstehen. Er wird eine und die andere ihm begegnende
Meinung verwerfen, aber er wird ans keiner Ansicht allein Veranlassung nehmen,
seinen Gegner tief unter sich zu meinen. So ergeben sich unendlich viele Fälle,
wo subjectiv wahre, aber nichts desto weniger grundfalsche Beurtheilungen in die
Conduitenlisten geschrieben werden.

Der Obere hat hundert Personen und mehr zu beurtheilen. Er kennt sie in den
meisten Beziehungen nicht. Sie obenhin beurtheilen müssen und es wissen, wie unend¬
lich wichtig diese Beurtheilung für sie ist, halte ich für unerträglichen Gewissenszwang.

Die Conduitenliste macht dem untergebenen Beamten die Meinung seiner
Obern vor Allem wichtig. Was nützt es ihm, wenn er nach seiner und vielleicht
nach der Ueberzeugung der Mehrsten ausgezeichnet dient, wenn er seinem Obern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/280>, abgerufen am 22.07.2024.