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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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dem egoistischen Staat des 18. Jahrhunderts das Ideal eines wahrhaft christlichen
Staats entgegenzuhalten, dessen wesentlicher Charakter darin bestehen sollte, prin¬
cipiell für das Wohl aller seiner Angehörigen zu sorgen. Er bemerkte in dieser
Rede, das Christenthum sei eigentlich nicht (blos) Religion, sondern das Bildungs¬
ferment der neuern Zeit überhaupt -- ein Satz, der für jeden einigermaßen phi¬
losophisch Gebildeten geradezu trivial ist, der aber die Orthodoxie so in Harnisch
setzte, daß auf Grund dieser Aeußerung die Wahl Rupp's zum Gymnasialdirector
annullirt wurde. Rupp ging darauf einen Schritt weiter; er sagte sich in einer
feierlichen Predigt vor seiner Gemeinde von dem athanasianischen Symbol los, der
Grundlage der Kirche, weil dasselbe die ewige Verdammniß der Ungläubigen be¬
haupte, und somit dem Grundprincip der christlichen Liebe widerspreche. Die An¬
fechtungen, die ihm darauf vou Seiten des Kirchenregiments zu Theil wurden, be¬
zogen sich weniger auf seiue Ansicht -- denn die moderne Orthodoxie ist darin
nichts weniger als fest -- sondern auf die Form, in der er sie ausgesprochen
hatte, auf den Scandal, den er erregte. Man hatte keineswegs Lust, durch einen
energischen Schritt gegen einen geistreichen und angesehenen Mann diesen Scandal
zu vergrößern, man begnügte sich vorläufig mit Ermahnungen. Aber die beleidigte
Kirche mußte doch einigermaßen wieder gesühnt werden; Rupp sollte also wenig¬
stens eingestehn, daß er gefehlt habe. Dazu wollte sich dieser keineswegs hergeben,
und so kam es nach langem Zögern doch endlich zur Amtssuspension. Gleich
darauf vereinigten sich Rupp's nähere Anhänger mit den "Lichtfrennden", und
erklärten, eine eigene Gemeinde bilden zu wollen, die zwar evangelisch bleiben,
aber von der Kirche des Cvnsistoriums unabhängig sein sollte. Einstimmig wurde
Rupp zum Prediger erwählt. Allgemeines Erstaunen erregte es nun, als er er¬
klärte, diese Wahl annehmen zu wollen, aber unter der Bedingung, daß man das
Christenthum in seiner strengsten Form nähme; er wollte eine innige Gemeinschaft
von Brüdern und Schwestern bilden, nach Art der alten Herrnhuter, die sich ge¬
genseitig dutzen, und sich gegenseitig zu Werken der Liebe und Gottseligkeit ernäh¬
ren sollte. Bei einem feingebildeten Mann, wie Rupp es ist, ging diese wunder¬
bare Idee nicht aus eiuer innern Schwärmerei, einer pietistischen Ueberfülle der
Seele hervor, es war Reflexion, es war das Streben, das ich nur krankhaft nen¬
nen kann, wenigstens in irgend eiuer Weise dem ganzen Zeitalter gegenüber pro-
dnctiv und originell zu erscheinen. Es sprach allerdings nicht von großer Menschen-
kenntniß, wenn er einer Versammlung, die zum großen Theil nur Opposition gegen
das Regiment machen wollte, dergleichen antediluvianische Tendenzen zumuthete.
Er nahm auch bei dem ersten ernstlichen Widerstand seine Forderungen zurück,
und als Princip der neuen freien Gemeinde wurde nun aufgestellt, "gemeinschaft¬
lich den Herrn zu suchen," d. h. in erbaulich wissenschaftlich frommem Ideenaus¬
tausch sich über das Wesen Gottes, des Himmels, der Unsterblichkeit und derglei¬
chen zu unterrichten. Derartige Unterhaltungen kamen der einen Hälfte der neuen


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dem egoistischen Staat des 18. Jahrhunderts das Ideal eines wahrhaft christlichen
Staats entgegenzuhalten, dessen wesentlicher Charakter darin bestehen sollte, prin¬
cipiell für das Wohl aller seiner Angehörigen zu sorgen. Er bemerkte in dieser
Rede, das Christenthum sei eigentlich nicht (blos) Religion, sondern das Bildungs¬
ferment der neuern Zeit überhaupt — ein Satz, der für jeden einigermaßen phi¬
losophisch Gebildeten geradezu trivial ist, der aber die Orthodoxie so in Harnisch
setzte, daß auf Grund dieser Aeußerung die Wahl Rupp's zum Gymnasialdirector
annullirt wurde. Rupp ging darauf einen Schritt weiter; er sagte sich in einer
feierlichen Predigt vor seiner Gemeinde von dem athanasianischen Symbol los, der
Grundlage der Kirche, weil dasselbe die ewige Verdammniß der Ungläubigen be¬
haupte, und somit dem Grundprincip der christlichen Liebe widerspreche. Die An¬
fechtungen, die ihm darauf vou Seiten des Kirchenregiments zu Theil wurden, be¬
zogen sich weniger auf seiue Ansicht — denn die moderne Orthodoxie ist darin
nichts weniger als fest — sondern auf die Form, in der er sie ausgesprochen
hatte, auf den Scandal, den er erregte. Man hatte keineswegs Lust, durch einen
energischen Schritt gegen einen geistreichen und angesehenen Mann diesen Scandal
zu vergrößern, man begnügte sich vorläufig mit Ermahnungen. Aber die beleidigte
Kirche mußte doch einigermaßen wieder gesühnt werden; Rupp sollte also wenig¬
stens eingestehn, daß er gefehlt habe. Dazu wollte sich dieser keineswegs hergeben,
und so kam es nach langem Zögern doch endlich zur Amtssuspension. Gleich
darauf vereinigten sich Rupp's nähere Anhänger mit den „Lichtfrennden", und
erklärten, eine eigene Gemeinde bilden zu wollen, die zwar evangelisch bleiben,
aber von der Kirche des Cvnsistoriums unabhängig sein sollte. Einstimmig wurde
Rupp zum Prediger erwählt. Allgemeines Erstaunen erregte es nun, als er er¬
klärte, diese Wahl annehmen zu wollen, aber unter der Bedingung, daß man das
Christenthum in seiner strengsten Form nähme; er wollte eine innige Gemeinschaft
von Brüdern und Schwestern bilden, nach Art der alten Herrnhuter, die sich ge¬
genseitig dutzen, und sich gegenseitig zu Werken der Liebe und Gottseligkeit ernäh¬
ren sollte. Bei einem feingebildeten Mann, wie Rupp es ist, ging diese wunder¬
bare Idee nicht aus eiuer innern Schwärmerei, einer pietistischen Ueberfülle der
Seele hervor, es war Reflexion, es war das Streben, das ich nur krankhaft nen¬
nen kann, wenigstens in irgend eiuer Weise dem ganzen Zeitalter gegenüber pro-
dnctiv und originell zu erscheinen. Es sprach allerdings nicht von großer Menschen-
kenntniß, wenn er einer Versammlung, die zum großen Theil nur Opposition gegen
das Regiment machen wollte, dergleichen antediluvianische Tendenzen zumuthete.
Er nahm auch bei dem ersten ernstlichen Widerstand seine Forderungen zurück,
und als Princip der neuen freien Gemeinde wurde nun aufgestellt, „gemeinschaft¬
lich den Herrn zu suchen," d. h. in erbaulich wissenschaftlich frommem Ideenaus¬
tausch sich über das Wesen Gottes, des Himmels, der Unsterblichkeit und derglei¬
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/25>, abgerufen am 22.07.2024.