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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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Er ist Autodidakt und gehört keiner bestimmten Schule an, und darum ist auch
das Pathos seiner Ueberzeugung mit einer gewissen Ironie zersetzt. In jenen
Streit der Orthodoxen und Mystiker mischte er sich, damals ein junger Docent,
mit einer kleinen Broschüre, in welcher die glücklichste Ironie gegen beide Seiten
enthalten war. Beide hatten nämlich geklagt, in diesem Jammerthal allerseits
verfolgt, verkannt, angefochten zu werden, und Rupp hatte mit Recht darauf
hingewiesen, daß diese Verfolgungen wenigstens uicht von deuen ausginge", in deren
Händen die Vertheilnng von Amt und Würden wäre. Seine Monographie über
Gregor v. Nyssa hatte gar keinen Erfolg; seine Kompendien -- er war bis vor etwa
fünf Jahren als Oberlehrer angestellt -- gingen von den allergrößteuJnteutivuen aus,
waren aber in der Ausführung nachlässig und unbrauchbar. Eben so war es mit
seiner Wirksamkeit auf der Schule, wo ihm neben den: Religionsunterricht nament¬
lich die geschichtlichen und deutschen Stunden übergeben waren; vornämlich in den
letztern hätte man sagen können, er ginge eben sowohl darauf ans, die Schüler
zu verwirren und in Erstaunen zu setzen, als sie zu unterrichten. Ein umfassen¬
der Platt verdrängte den andern, und er war das vollkommene Gegenbild jenes
pedantischen Schlendrians, der jedes neue Experiment als eine Sünde gegen den
heiligen Geist der Gewohnheit verwirft. Niemals wirkte ein Lehrer mehr anre-
gend, d. h. wohl uur auf die fähigen Köpfe; der regelmäßige Unterricht wurde
durch unruhige Experimente gestört. Doch war insofern schon sein Einfluß ein
heilsamer zu nennen, da er seinen Schülern das Gefühl der Achtung einflößte,
was man stets einem überlegenen Geiste gegenüber empfindet.

Die Stellung als Lehrer konnte seinem unruhigen ThätüMtstrieb und sei¬
nem, wenn ich mich so ausdrücken darf, abstracten Ehrgeiz auf die Dauer uicht
genügen, obgleich er sowohl theoretisch wie in einzelnen praktischen, aber immer
sehr idealistischen Versuchen sich sehr viel mit Pädagogik zu thun machte; eine
seiner wesentlichste" Ideen dabei war beiläufig die Staatserziehnng mit möglich¬
sten Ausschluß alles Familieneinflusses. Er hatte nebenher gleich von Beginn
seiner pädagogischen Wirksamkeit an akademische Borlesungen gehalten, sein Lieb-
lingscollegium war über Faust, und auch hier immer eine blendende Fülle von
Gesichtspunkten angedeutet, ohne es je zu einem befriedigenden Abschluß zu brin¬
gen. Vor ungefähr fünf Jahren wurde er zum Prediger gewählt, nud gewann
bald theils durch seiue Persönlichkeit, theils durch die geistreiche" Einfälle, die er in
seine Predigten einzuflechten wußte, die unbedingte Bewunderung seiner Gemeinde.

Zum ersten Mal wurde er eine öffentliche Person durch die Rede, die er in
der deutschen Gesellschaft -- ein literarischer Verein, an dem ziemlich Alles Theil
nimmt, was aus Bildung Anspruch macht -- über den christlichen Staat hielt,
und worin er nachwies, daß diese neuerfundene Bezeichnung eine romantische sei,
und auf keiner Realität mehr beruhe, seit das Christenthum sich zu einer Reihe
einander ausschließender Bildungsformen entwickelt habe; worin er aber zugleich


Er ist Autodidakt und gehört keiner bestimmten Schule an, und darum ist auch
das Pathos seiner Ueberzeugung mit einer gewissen Ironie zersetzt. In jenen
Streit der Orthodoxen und Mystiker mischte er sich, damals ein junger Docent,
mit einer kleinen Broschüre, in welcher die glücklichste Ironie gegen beide Seiten
enthalten war. Beide hatten nämlich geklagt, in diesem Jammerthal allerseits
verfolgt, verkannt, angefochten zu werden, und Rupp hatte mit Recht darauf
hingewiesen, daß diese Verfolgungen wenigstens uicht von deuen ausginge», in deren
Händen die Vertheilnng von Amt und Würden wäre. Seine Monographie über
Gregor v. Nyssa hatte gar keinen Erfolg; seine Kompendien — er war bis vor etwa
fünf Jahren als Oberlehrer angestellt — gingen von den allergrößteuJnteutivuen aus,
waren aber in der Ausführung nachlässig und unbrauchbar. Eben so war es mit
seiner Wirksamkeit auf der Schule, wo ihm neben den: Religionsunterricht nament¬
lich die geschichtlichen und deutschen Stunden übergeben waren; vornämlich in den
letztern hätte man sagen können, er ginge eben sowohl darauf ans, die Schüler
zu verwirren und in Erstaunen zu setzen, als sie zu unterrichten. Ein umfassen¬
der Platt verdrängte den andern, und er war das vollkommene Gegenbild jenes
pedantischen Schlendrians, der jedes neue Experiment als eine Sünde gegen den
heiligen Geist der Gewohnheit verwirft. Niemals wirkte ein Lehrer mehr anre-
gend, d. h. wohl uur auf die fähigen Köpfe; der regelmäßige Unterricht wurde
durch unruhige Experimente gestört. Doch war insofern schon sein Einfluß ein
heilsamer zu nennen, da er seinen Schülern das Gefühl der Achtung einflößte,
was man stets einem überlegenen Geiste gegenüber empfindet.

Die Stellung als Lehrer konnte seinem unruhigen ThätüMtstrieb und sei¬
nem, wenn ich mich so ausdrücken darf, abstracten Ehrgeiz auf die Dauer uicht
genügen, obgleich er sowohl theoretisch wie in einzelnen praktischen, aber immer
sehr idealistischen Versuchen sich sehr viel mit Pädagogik zu thun machte; eine
seiner wesentlichste» Ideen dabei war beiläufig die Staatserziehnng mit möglich¬
sten Ausschluß alles Familieneinflusses. Er hatte nebenher gleich von Beginn
seiner pädagogischen Wirksamkeit an akademische Borlesungen gehalten, sein Lieb-
lingscollegium war über Faust, und auch hier immer eine blendende Fülle von
Gesichtspunkten angedeutet, ohne es je zu einem befriedigenden Abschluß zu brin¬
gen. Vor ungefähr fünf Jahren wurde er zum Prediger gewählt, nud gewann
bald theils durch seiue Persönlichkeit, theils durch die geistreiche» Einfälle, die er in
seine Predigten einzuflechten wußte, die unbedingte Bewunderung seiner Gemeinde.

Zum ersten Mal wurde er eine öffentliche Person durch die Rede, die er in
der deutschen Gesellschaft — ein literarischer Verein, an dem ziemlich Alles Theil
nimmt, was aus Bildung Anspruch macht — über den christlichen Staat hielt,
und worin er nachwies, daß diese neuerfundene Bezeichnung eine romantische sei,
und auf keiner Realität mehr beruhe, seit das Christenthum sich zu einer Reihe
einander ausschließender Bildungsformen entwickelt habe; worin er aber zugleich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/24>, abgerufen am 05.12.2024.