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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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Wahrheit zu gestehe", war dies indessen nnr ein "preußischer Pfiff" (siehe PH.
Hackert's Leben von Goethe), denn ich schäme mich fast der Weise, in welcher diese
Sprachproben von unsern Sprachkenntnissen Zeugniß geben sollten. Aus der an¬
dern Seite darf ich jetzt aber aus Erfahrung behaupten, daß sich Jemand voll¬
kommen zufrieden geben kann, der eine einzige Sprache, d. h. seine Muttersprache,
von Grund aus versteht und mit Gewandtheit im schriftlichen wie mündlichen
Ausdrucke handhabt. Wenn er sich dabei noch einigermaßen fließend und vollkom¬
men natürlich in einer oder zwei lebenden Sprachen ausdrücken kauu, so ist das
Alles, was man selbst von dem Tüchtigsten und Talentvollsten mit Billigkeit er¬
warten darf. Indessen verfehlte dieser "preußische Pfiff" seiue Wirkung nicht.

Ancillon, von dessen politischen Gaben und politischer Stellung ich an einem
andern Orte ausführlicher und wie er es verdiente, etwas scharf gesprochen habe,
war als Privatmann liebenswürdig und verbindlich, uur fehlte ihm angeborne
Würde, die er zuweilen durch Affectation zu ersetzen suchte. Auch nahm seine
Güte und Freundlichkeit gegen Untergebene nicht selten die Form von beleidigen¬
der Herablassung an; ebenso mangelte es ihm durchweg an Tact. Im Aeußern
hatte er eine auffallende Aehnlichkeit mit Louis Philipp.

Gegen mich benahm er sich äußerst gütig, und in Bezug auf meine Zukunft
sprach er sich sehr ermuthigend aus. Für alles dies bin ich ihm dankbar verbun¬
den, aber die Schwäche, welche er späterhin in meinen Angelegenheiten, bedeuten¬
dem Einfluß gegenüber, bewies, hat theilweise dies vortheilhafte Bild persönliche"
Wohlwollens in mir wieder ausgelöscht.

Er wollte mich anfangs zur Gesandtschaft nach Constantinopel schicken. Wie
da alle meine Pulse schlugen! aber das Schicksal vergönnte mir noch Besseres.
Er änderte plötzlich seine Ansicht, da ein naher Verwandter, jetzt General-Consul
in Aegypten, wenn ich nicht irre, diese Stelle wünschte, und nachdem man mich
eine Zeitlang in Ungewißheit gelassen hatte, wo und wie mau mich verwenden
wollte, ward ich auf einmal nach Frankfurt geschickt. Was konnte einem streben¬
den, sich für die Geschicke seines Volkes so tief intcresstrenden jungen Manne ge¬
legener kommen? Wie ich in dieser Beziehung enttäuscht ward und welche Aende¬
rung oder richtiger Weiterbildung meiner politischen Sinnesart ich erführest anderswo
zu lesen. Ich könnte hier nun noch Manches nachholen, was an jenem Orte als
ungehörig ausgelassen; aber ich gestehe offen, daß das Durchhecheln von Persön¬
lichkeiten, um die öffentliche Neugierde zu befriedigen und das Wiederholen von
TagesgeMtsch uicht meine Sache ist. Was aus meinen: Aufenthalte in Frankfurt
a. M. von wirklichem Interesse ist, für andere und hinsichtlich meiner selbst, das
habe ich schon gegeben. Historisches und Politisches ließe sich zwar noch Manches
sagen, auch wohl ein und das andere nicht uninteressante Werk schreiben, aber ich
zweifle, ob ich jetzt noch dazu Muße und Neigung haben werde. Denn der Zweck,
welchen ich mit früheren Schriftstellereien der Art verband, ist mir zwar nicht


Wahrheit zu gestehe», war dies indessen nnr ein „preußischer Pfiff" (siehe PH.
Hackert's Leben von Goethe), denn ich schäme mich fast der Weise, in welcher diese
Sprachproben von unsern Sprachkenntnissen Zeugniß geben sollten. Aus der an¬
dern Seite darf ich jetzt aber aus Erfahrung behaupten, daß sich Jemand voll¬
kommen zufrieden geben kann, der eine einzige Sprache, d. h. seine Muttersprache,
von Grund aus versteht und mit Gewandtheit im schriftlichen wie mündlichen
Ausdrucke handhabt. Wenn er sich dabei noch einigermaßen fließend und vollkom¬
men natürlich in einer oder zwei lebenden Sprachen ausdrücken kauu, so ist das
Alles, was man selbst von dem Tüchtigsten und Talentvollsten mit Billigkeit er¬
warten darf. Indessen verfehlte dieser „preußische Pfiff" seiue Wirkung nicht.

Ancillon, von dessen politischen Gaben und politischer Stellung ich an einem
andern Orte ausführlicher und wie er es verdiente, etwas scharf gesprochen habe,
war als Privatmann liebenswürdig und verbindlich, uur fehlte ihm angeborne
Würde, die er zuweilen durch Affectation zu ersetzen suchte. Auch nahm seine
Güte und Freundlichkeit gegen Untergebene nicht selten die Form von beleidigen¬
der Herablassung an; ebenso mangelte es ihm durchweg an Tact. Im Aeußern
hatte er eine auffallende Aehnlichkeit mit Louis Philipp.

Gegen mich benahm er sich äußerst gütig, und in Bezug auf meine Zukunft
sprach er sich sehr ermuthigend aus. Für alles dies bin ich ihm dankbar verbun¬
den, aber die Schwäche, welche er späterhin in meinen Angelegenheiten, bedeuten¬
dem Einfluß gegenüber, bewies, hat theilweise dies vortheilhafte Bild persönliche»
Wohlwollens in mir wieder ausgelöscht.

Er wollte mich anfangs zur Gesandtschaft nach Constantinopel schicken. Wie
da alle meine Pulse schlugen! aber das Schicksal vergönnte mir noch Besseres.
Er änderte plötzlich seine Ansicht, da ein naher Verwandter, jetzt General-Consul
in Aegypten, wenn ich nicht irre, diese Stelle wünschte, und nachdem man mich
eine Zeitlang in Ungewißheit gelassen hatte, wo und wie mau mich verwenden
wollte, ward ich auf einmal nach Frankfurt geschickt. Was konnte einem streben¬
den, sich für die Geschicke seines Volkes so tief intcresstrenden jungen Manne ge¬
legener kommen? Wie ich in dieser Beziehung enttäuscht ward und welche Aende¬
rung oder richtiger Weiterbildung meiner politischen Sinnesart ich erführest anderswo
zu lesen. Ich könnte hier nun noch Manches nachholen, was an jenem Orte als
ungehörig ausgelassen; aber ich gestehe offen, daß das Durchhecheln von Persön¬
lichkeiten, um die öffentliche Neugierde zu befriedigen und das Wiederholen von
TagesgeMtsch uicht meine Sache ist. Was aus meinen: Aufenthalte in Frankfurt
a. M. von wirklichem Interesse ist, für andere und hinsichtlich meiner selbst, das
habe ich schon gegeben. Historisches und Politisches ließe sich zwar noch Manches
sagen, auch wohl ein und das andere nicht uninteressante Werk schreiben, aber ich
zweifle, ob ich jetzt noch dazu Muße und Neigung haben werde. Denn der Zweck,
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[0238] Wahrheit zu gestehe», war dies indessen nnr ein „preußischer Pfiff" (siehe PH. Hackert's Leben von Goethe), denn ich schäme mich fast der Weise, in welcher diese Sprachproben von unsern Sprachkenntnissen Zeugniß geben sollten. Aus der an¬ dern Seite darf ich jetzt aber aus Erfahrung behaupten, daß sich Jemand voll¬ kommen zufrieden geben kann, der eine einzige Sprache, d. h. seine Muttersprache, von Grund aus versteht und mit Gewandtheit im schriftlichen wie mündlichen Ausdrucke handhabt. Wenn er sich dabei noch einigermaßen fließend und vollkom¬ men natürlich in einer oder zwei lebenden Sprachen ausdrücken kauu, so ist das Alles, was man selbst von dem Tüchtigsten und Talentvollsten mit Billigkeit er¬ warten darf. Indessen verfehlte dieser „preußische Pfiff" seiue Wirkung nicht. Ancillon, von dessen politischen Gaben und politischer Stellung ich an einem andern Orte ausführlicher und wie er es verdiente, etwas scharf gesprochen habe, war als Privatmann liebenswürdig und verbindlich, uur fehlte ihm angeborne Würde, die er zuweilen durch Affectation zu ersetzen suchte. Auch nahm seine Güte und Freundlichkeit gegen Untergebene nicht selten die Form von beleidigen¬ der Herablassung an; ebenso mangelte es ihm durchweg an Tact. Im Aeußern hatte er eine auffallende Aehnlichkeit mit Louis Philipp. Gegen mich benahm er sich äußerst gütig, und in Bezug auf meine Zukunft sprach er sich sehr ermuthigend aus. Für alles dies bin ich ihm dankbar verbun¬ den, aber die Schwäche, welche er späterhin in meinen Angelegenheiten, bedeuten¬ dem Einfluß gegenüber, bewies, hat theilweise dies vortheilhafte Bild persönliche» Wohlwollens in mir wieder ausgelöscht. Er wollte mich anfangs zur Gesandtschaft nach Constantinopel schicken. Wie da alle meine Pulse schlugen! aber das Schicksal vergönnte mir noch Besseres. Er änderte plötzlich seine Ansicht, da ein naher Verwandter, jetzt General-Consul in Aegypten, wenn ich nicht irre, diese Stelle wünschte, und nachdem man mich eine Zeitlang in Ungewißheit gelassen hatte, wo und wie mau mich verwenden wollte, ward ich auf einmal nach Frankfurt geschickt. Was konnte einem streben¬ den, sich für die Geschicke seines Volkes so tief intcresstrenden jungen Manne ge¬ legener kommen? Wie ich in dieser Beziehung enttäuscht ward und welche Aende¬ rung oder richtiger Weiterbildung meiner politischen Sinnesart ich erführest anderswo zu lesen. Ich könnte hier nun noch Manches nachholen, was an jenem Orte als ungehörig ausgelassen; aber ich gestehe offen, daß das Durchhecheln von Persön¬ lichkeiten, um die öffentliche Neugierde zu befriedigen und das Wiederholen von TagesgeMtsch uicht meine Sache ist. Was aus meinen: Aufenthalte in Frankfurt a. M. von wirklichem Interesse ist, für andere und hinsichtlich meiner selbst, das habe ich schon gegeben. Historisches und Politisches ließe sich zwar noch Manches sagen, auch wohl ein und das andere nicht uninteressante Werk schreiben, aber ich zweifle, ob ich jetzt noch dazu Muße und Neigung haben werde. Denn der Zweck, welchen ich mit früheren Schriftstellereien der Art verband, ist mir zwar nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/238>, abgerufen am 03.07.2024.